Forschung zum Anthropozän :Eine neue Epoche der Erdgeschichte
von Elmar Theveßen
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An einem kleinen See in Kanada wird der Einfluss des Menschen auf den Planeten deutlich. Forscher wollen deshalb ein neues Kapitel der Erdgeschichte ausrufen.
Der Crawford Lake in Kanada: Hier werden die Spuren, die der Mensch in der Natur hinterlassen hat, besonders deutlich.
Quelle: AP/Cole Burston/The Canadian Press
Ihre Augen leuchten, wenn sie über ihre Forschung spricht: "Jede Gesteinsprobe, die wir hochholen, ist wie ein neugeborenes Baby", sagt Francine McCarthy. Wir stehen am Ufer des Crawford Lake in Kanada. Die Geowissenschaftlerin der Brock University Toronto liebt ihren Beruf, und ganz besonders liebt sie diesen kleinen, unscheinbaren See, in dem sie mit ihrem Team Beweise sammelt, dass ein neues Kapitel der Erdgeschichte begonnen hat – das Anthropozän.
Es beschreibt einen Zeitraum von bisher 73 Jahren, in denen erstmals der Mensch die Entwicklung des Planeten dramatisch beeinflusst.
Forscher wollen neues Zeitalter ausrufen
Es hört sich gewagt an, aber Wissenschaftler rund um den Erdball sehen es ähnlich. Was Menschen seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts angerichtet haben, könnte ähnlich zerstörerische Folgen haben wie einst der Einschlag des Asteroiden. Es gibt rund ein Dutzend Messpunkte auf allen Kontinenten, an denen die Veränderungen deutlich werden, aber keiner liefert so klare Ergebnisse wie der Grund des Crawford Lake.
Bei den jährlichen Bohrungen füllen die Wissenschaftler Stahlröhren mit Trockeneis und Äthanol, versenken sie im See: Die Sedimente, die dann an der Röhre festfrieren, dokumentieren menschliches Handeln, das die Natur massiv beschädigt hat. Deshalb wollen die Forscher nun die Epoche des Anthropozän ausrufen. "Wir bemerken ja alle die Veränderungen in der Umwelt", so Francine McCarthy, "warum sollte das nicht in der Erdgeschichte so vermerkt werden."
Gesteinsproben zeigen Spuren des Menschen
Stolz führt uns am nächsten Tag Professor Tim Patterson in seine Kühlkammer an der Carleton University Ottawa. Der Geologe zieht ein knapp ein Meter langes Brett heraus, das mit Klarsichtfolie eingewickelt ist; darin die Gesteinsproben aus dem See. "Das hier sind 1.000 Jahre", sagt Patterson.
Die Gesteinsproben aus dem Lake Crawford haben sichtbare Jahreslinien.
Quelle: dpa/Tim Patterson/Carleton University
Gleich nebenan werden die Sedimentschichten, die aussehen wie Jahresringe eines Baumes, sorgfältig fotografiert, chemische und biologische Stoffe analysiert. An einem riesigen Foto zeigt uns Professor Patterson, wie ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts durch sauren Regen jährlichen Kalzidablagerungen verschwanden.
Industrielle Luftverschmutzung, massiver Düngereinsatz, Atombombentests – alles hinterließ Spuren. "Das war ein Kipp-Punkt", meint er, "aus diesen Anhaltspunkten und vielen anderen, die mit der enormen Bevölkerungsmenge heute zu tun haben, schließen wir, dass der Zustand der Erde nie wieder so sein wird, wie er vorher war."
Wetterextreme werden zunehmen
Auch wenn der Kampf gegen den Klimawandel in den vergangenen Jahren die Entwicklung etwas abbremst, werden die Auswirkungen sich erstmal weiter verschärfen. Es ist schon zu viel durcheinandergeraten. Die Häufigkeit von Katastrophen nimmt weiter zu. Die Temperaturen steigen. Anhaltende Extremwetterlagen, auch weil sich der Golfstrom verlangsamt, der Jet-Stream wirr aussieht, wie ein Gemälde von van Gogh, meinten Klimawissenschaftler wie Marco Tedesco von der Columbia University New York: "Die Art der Extreme, ihre Häufigkeit, auch ihr Auftauchen in der Zukunft, diese Dinge sind eng verbunden mit dem Klimawandel und dem menschlichen Handeln über die letzten 100, 150 Jahre."