Todesfälle in Deutschland: So gefährlich ist Hitze
Interview
Gefährliche Extremtemperaturen:Arzt: Alle Menschen durch Hitze bedroht
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Gesundheitsrisiko durch Hitze: Für wen sie am gefährlichsten ist und wie ein gesundheitlicher Kollaps bei Hitzewellen verhindert werden kann.
Mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle gab es einer neuen Berechnung zufolge in Europa im Sommer 2022. Deutschland stand mit mehr als 8.000 Toten an dritter Stelle. Der gelernte Arzt Martin Herrmann ist Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), seit 2019 Mitglied der AG Klima der Bundesärztekammer sowie Mitgründer des Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin.
Im Interview fordert er Hitzeschutzpläne, bessere Aufklärung der Bevölkerung und ein Umdenken im Städtebau - um einen gesundheitlichen Kollaps bei Hitzewellen zu verhindern.
ZDFheute: Wie werden sich Hitzeperioden in Zukunft mit dem Klimawandel entwickeln?
Martin Herrmann: Wir erleben schon jetzt stärkere Hitzewellen als früher, zum Beispiel in diesen Tagen der Hitzedom im Süden der USA oder auch in Italien. Das wird in den nächsten Jahren zunehmen.
Wie die genau aussehen, wissen wir nicht. Wir können aber noch verhindern, dass der Klimawandel so weit voranschreitet, dass es weltweit zu Hitze-Katastrophen kommt, mit denen wir nicht mehr umgehen können. Deswegen ist es extrem wichtig, dass wir Klimaschutz ernst nehmen und so schnell wie möglich aus den fossilen Energien rauskommen.
Gelingt uns das nicht, hält die Hitze langfristig an, können sehr viele Menschen versterben und viele Maßnahmen, die wir normalerweise ergreifen, funktionieren nicht mehr. Es kann zu einer Hitze-Katastrophe kommen, die weite Teile Deutschlands betrifft.
ZDFheute: Was kann man dagegen tun?
Herrmann: Wir können nicht verhindern, dass es in den nächsten Jahrzehnten heißer wird. Wir können uns aber viel besser vorbereiten. Wir lieben den Sommer, müssen aber alle miteinander lernen, zu verstehen, wann, wo und für wen Hitze gefährlich wird und wie wir uns schützen können.
Deswegen ist es auch sehr wichtig, dass Gesundheitsminister Lauterbach gemeinsam mit anderen Ministerien und den Gesundheitsakteuren einen nationalen Hitzeschutzplan entwickelt und umsetzt. Das muss genauso auch auf Länder- und kommunaler Ebene passieren.
Italien leidet zunehmend unter den Folgen des Klimawandels.12.07.2023 | 6:09 min
ZDFheute: Was können Gemeinden auf lokaler Ebene tun?
Herrmann: Es müssen in allen Kommunen, in allen Institutionen Hitzeschutzpläne entwickelt werden. Wir müssen uns ausbilden. Es braucht eine breite Aufklärung in der Bevölkerung. Kurzfristig geht es etwa darum, zu erkennen, wo es für wen gefährlich wird, wer die Risikogruppen sind und wie wir sie schützen können.
Mittel- und längerfristig geht es darum, Kühlräume zu identifizieren, Trinkbrunnen zu bauen, in den Städten zu entsiegeln und zu begrünen. Es geht darum, die Art und Weise, wie wir bauen zu verändern und dafür zu sorgen, dass die Gebäude und unsere Gemeinden hitzeresilient sind.
ZDFheute: Wie wirkt sich die Hitzewelle auf den Körper aus?
Herrmann: Die Hitzewelle wirkt sich potenziell auf alle Menschen aus, weil unsere Fähigkeit, uns anzupassen, begrenzt ist. Durch eine Hitzewelle können alle eine Verschlechterung ihrer Gesundheit erleben. In Hitzesommern kommt es in Deutschland zu Tausenden hitzebedingten Todesfällen, Hunderttausende Menschen entwickeln massive Symptome, Millionen von Menschen sind in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt.
Es kann zu Hitzschlag oder zu Hitzeerschöpfung kommen. Erkrankungen der Atemwege, Nieren, Herz- und Kreislauf, Diabetes, Haut, Nerven und Psyche können sich verschlimmern. Es kann zu einem Schlaganfall oder Herzinfarkt kommen.
ZDFheute: Wer ist besonders von Hitze gefährdet?
Herrmann: Sie kann auch für ganz gesunde Menschen zum Problem werden, zum Beispiel wenn sie draußen arbeiten oder wenn sie Sport treiben. Wenn sie nicht auf sich achten, können auch ganz junge Menschen an einem Hitzschlag versterben. Aber natürlich sind kleine Kinder und alte Menschen sowie Hilfsbedürftige am meisten gefährdet.
In den meisten Gemeinden ist die Hitzegefährdung dort am größten, wo Gebäude nicht so gut gebaut sind. Das ist sehr stark eine soziale Frage. Dort, wo ärmere Schichten wohnen, ist oft auch die Luftverschmutzung höher. Das führt dann nochmal zu einer Verstärkung der Gefährdung.
Das Interview führte Elisa Miebach, Reporterin der Umweltredaktion.
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