Heiße Sommer: Wenn Hitze zum Gesundheitsrisiko wird

    Heiße Sommer in Deutschland:Hitze: Das unterschätzte Gesundheitsrisiko

    Michael Kniess
    von Michael Kniess
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    Hohe Temperaturen über viele Tage sind keine Seltenheit mehr. Die Hitze macht vielen körperlich zu schaffen. Wie steht es um Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung?

    Die Hitze erzeugt ein Flimmern über der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor.
    Bei großer Hitze steigt nicht nur in den Städten das Gesundheitsrisiko.
    Quelle: dpa

    • Wer sein Risiko nicht kennt, schützt sich weniger: In der Gesellschaft fehlt es an Problembewusstsein
    • Deutschland hinkt in puncto Hitzeschutz hinterher: Es fehlt an gesetzlichen Vorgaben
    • Erster, wichtiger Schritt mit Luft nach oben: der Hitzeplan des Bundesgesundheitsministeriums für Deutschland

    Hitzewellen werden immer häufiger, halten länger an und werden intensiver. Gleichzeitig nimmt der Anteil älterer Menschen zu, die besonders gefährdet sind.
    Doch auch kleine Kinder sind betroffen, genauso wie Schwangere, Draußenarbeitende oder Beschäftigte, die Arbeitskleidung tragen müssen oder schwere Tätigkeiten ausüben; und natürlich Menschen, die in Einsatzbereitschaft sind, wie Polizei, Feuerwehr, Pannenhilfe, Rettungs- und Pflegedienste.
    Vertrocknete Sonnenblumen vor strahlend blauem Himmel
    Die Weltorganisation für Meteorologie rechnet in den kommenden Monaten mit mit neuen Hitzewellen. 12.05.2023 | 4:17 min

    Auch Helfer gegen Hitze von Hitzefolgen betroffen

    Wieder andere leben in prekären Verhältnissen und haben kaum Möglichkeiten, Hitzeschutz umzusetzen - so wie auch Obdachlose, die der Hitze schutzlos ausgeliefert sind. Kurzum: Die Hitze betrifft fast jeden. Medizinpädagogin Julia Schoierer unterstreicht:

    Die Tatsache, dass die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung während Hitzewellen intensiver wird, aber gleichzeitig Mitarbeitende des Gesundheits- und Pflegesektors ebenso zur besonders betroffenen Gruppe zählen, macht die Handlungsdringlichkeit umso deutlicher.

    Julia Schoierer, Medizinpädagogin

    Die Projektleiterin am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der Universität München hat ihren Forschungsschwerpunkt in den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.

    Studie: Eigenes Hitzerisiko oft unterschätzt

    Hinzu kommt ein fehlendes Problembewusstsein in der Bevölkerung. Eine Sondererhebung zum Thema Hitze der Universität Erfurt ist jüngst zum Ergebnis gekommen: Bei zwei Dritteln der Befragten lagen Risikofaktoren vor, häufig sogar mehrere.
    Mindestens ein Drittel unterschätzte aber gleichzeitig sein eigenes Hitzerisiko. Die Folge: Wer sein Risiko nicht kennt, zeigt weniger Hitzeschutzverhalten.
    Zu sehen sind Feuerwehrmänner, die einen Waldbrand in Griechenland bekämpfen.
    Blitzdürre in Deutschland, große Waldbrände in Kanada und deutlich steigende Temperaturen in den Meeren. Klimaphysiker Helge Goessling über drohende Hitzerekorde bei ZDFheute live.14.06.2023 | 37:30 min
    Wenn es darum geht, die Bevölkerung besser aufzuklären, gilt für Julia Schoierer: Die Menschen müssen dort erreicht werden, wo sie sich aufhalten - in Kitas, Schulen, an der Arbeitsstätte, in den Pflegeeinrichtungen, zu Hause über die ambulante Pflege oder Nachbarschaftshilfe oder auch auf der Straße über das Streetworking.

    Hitzewarn-Apps, Hitzetelefon und Städtebau

    Nötig sind dafür verschiedenste Kommunikationswege - angefangen von Hitzewarn-Apps über Stadtpläne mit Orten, wo es möglich ist, sich an heißen Tagen etwas abzukühlen bis zum Hitzetelefon.



    Hinzu kommen neue (städte-) bauliche Maßnahmen. Julia Schoierer gibt zu bedenken: "Grundsätzlich sind kluge und differenzierte Maßnahmen gefragt, um Zielkonflikte zu vermeiden.
    Denn es hilft nichts, durch die kühlenden Effekte von mehr Grünflächen zwar Wärmeinseln zu reduzieren, wenn dadurch aber ein Bewässerungsproblem entstehen könnte."

    Deutschland: Handlungsempfehlungen statt Hitzeaktionspläne

    Während Nachbarländer wie Frankreich oder Italien direkt nach der starken Hitzewelle 2003 nationale Hitzeaktionspläne entwickelt haben, gab es in Deutschland erst 2017 entsprechende Handlungsempfehlungen. Deshalb kritisiert Ärztin Nathalie Nidens:

    Hierzulande wurde das Risiko lange unterschätzt. Es gibt nur in wenigen deutschen Städten überhaupt Hitzeaktionspläne.

    Nathalie Nidens, Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit

    "Hessen ist das erste Bundesland, in dem dieses Jahr ein solcher auf den Weg gebracht wurde", ergänzt Nidens, ihres Zeichens wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), im Arbeitsbereich Hitzeschutz. "Während es für Arbeitsplätze in Innenräumen genaue Vorgaben gibt, wie heiß es werden darf, sind solche konkreten Ausarbeitungen für Arbeitsplätze im Freien erst in der Entwicklung."




    Initiativen und Projekte zum Hitzeschutz

    Erschwerend kommt für sie hinzu, dass der Hitzeschutz für Kommunen keine gesetzliche Pflichtaufgabe ist, was dazu führe, dass er meist nicht die größte Priorität habe. Dennoch wurden seit letztem Jahr viele einzelne Initiativen und Projekte zum Hitzeschutz ins Leben gerufen.
    Ein Beispiel ist die unter anderem vom Klinikum der Universität München entwickelte Onlineplattform Hitzeservice.de. Diese enthält eine Vielzahl an möglichen Hitzeschutzmaßnahmen für die Kommunen.

    Nidens: Lauterbachs Hitzeplan darf "nicht beim Papier bleiben"

    Im Hitzeplan von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sehen die beiden Expertinnen Julia Schoierer und Nathalie Nidens einen wichtigen Schritt für den Hitzeschutz auf nationaler Ebene.

    Auf diese Weise können die bisher bestehenden Initiativen und Projekte gebündelt werden, um kluge Entscheidungen in Sachen Hitzeschutz zu treffen.

    Julia Schoierer, Medizinpädagogin

    Für Nathalie Nidens ist entscheidend, dass der bisherige Entwurf weiter konkretisiert wird und vor allem zur Umsetzung kommt: "Wichtig wird sein, dass es nicht beim Papier bleibt."

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