Heiße Sommer in Deutschland:Hitze: Das unterschätzte Gesundheitsrisiko
von Michael Kniess
|
Hohe Temperaturen über viele Tage sind keine Seltenheit mehr. Die Hitze macht vielen körperlich zu schaffen. Wie steht es um Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung?
Bei großer Hitze steigt nicht nur in den Städten das Gesundheitsrisiko.
Quelle: dpa
- Wer sein Risiko nicht kennt, schützt sich weniger: In der Gesellschaft fehlt es an Problembewusstsein
- Deutschland hinkt in puncto Hitzeschutz hinterher: Es fehlt an gesetzlichen Vorgaben
- Erster, wichtiger Schritt mit Luft nach oben: der Hitzeplan des Bundesgesundheitsministeriums für Deutschland
Hitzewellen werden immer häufiger, halten länger an und werden intensiver. Gleichzeitig nimmt der Anteil älterer Menschen zu, die besonders gefährdet sind.
Doch auch kleine Kinder sind betroffen, genauso wie Schwangere, Draußenarbeitende oder Beschäftigte, die Arbeitskleidung tragen müssen oder schwere Tätigkeiten ausüben; und natürlich Menschen, die in Einsatzbereitschaft sind, wie Polizei, Feuerwehr, Pannenhilfe, Rettungs- und Pflegedienste.
Die Weltorganisation für Meteorologie rechnet in den kommenden Monaten mit mit neuen Hitzewellen. 12.05.2023 | 4:17 min
Auch Helfer gegen Hitze von Hitzefolgen betroffen
Wieder andere leben in prekären Verhältnissen und haben kaum Möglichkeiten, Hitzeschutz umzusetzen - so wie auch Obdachlose, die der Hitze schutzlos ausgeliefert sind. Kurzum: Die Hitze betrifft fast jeden. Medizinpädagogin Julia Schoierer unterstreicht:
Die Projektleiterin am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der Universität München hat ihren Forschungsschwerpunkt in den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.
Studie: Eigenes Hitzerisiko oft unterschätzt
Hinzu kommt ein fehlendes Problembewusstsein in der Bevölkerung. Eine Sondererhebung zum Thema Hitze der Universität Erfurt ist jüngst zum Ergebnis gekommen: Bei zwei Dritteln der Befragten lagen Risikofaktoren vor, häufig sogar mehrere.
Mindestens ein Drittel unterschätzte aber gleichzeitig sein eigenes Hitzerisiko. Die Folge: Wer sein Risiko nicht kennt, zeigt weniger Hitzeschutzverhalten.
Blitzdürre in Deutschland, große Waldbrände in Kanada und deutlich steigende Temperaturen in den Meeren. Klimaphysiker Helge Goessling über drohende Hitzerekorde bei ZDFheute live.14.06.2023 | 37:30 min
Wenn es darum geht, die Bevölkerung besser aufzuklären, gilt für Julia Schoierer: Die Menschen müssen dort erreicht werden, wo sie sich aufhalten - in Kitas, Schulen, an der Arbeitsstätte, in den Pflegeeinrichtungen, zu Hause über die ambulante Pflege oder Nachbarschaftshilfe oder auch auf der Straße über das Streetworking.
Hitzewarn-Apps, Hitzetelefon und Städtebau
Nötig sind dafür verschiedenste Kommunikationswege - angefangen von Hitzewarn-Apps über Stadtpläne mit Orten, wo es möglich ist, sich an heißen Tagen etwas abzukühlen bis zum Hitzetelefon.
- Ab wann Hitze gefährlich wird, hängt nicht nur von der Außentemperatur ab. Kommt zur Hitze noch eine hohe Luftfeuchte, ist das für den Körper zusätzlich belastend.
- Hitze ist auch dann besonders gefährlich, wenn sie früh im Jahr kommt und wir noch gar nicht richtig akklimatisiert sind.
- Auch die Dauer der Hitzewelle spielt eine Rolle. Je länger, desto eher heizen sich die Innenräume und Städte auf. Die Folge: Es gibt immer weniger Möglichkeiten, um den Körper von der Hitze zu entlasten.
- Hitze belastet den ganzen Organismus - angefangen vom Herz-Kreislauf-System über die Lungen bis zu den Nieren.
- Auch das Gehirn leidet unter der Hitze, wenn man zum Beispiel nicht genug trinkt. Es kann die lebensnotwendigen Kühlmechanismen (Schwitzen, Wärmeabgabe über die Haut) nicht mehr richtig steuern, und der Körper überhitzt. Die Folgen: lebensbedrohliche Hitzeerkrankungen.
Hinzu kommen neue (städte-) bauliche Maßnahmen. Julia Schoierer gibt zu bedenken: "Grundsätzlich sind kluge und differenzierte Maßnahmen gefragt, um Zielkonflikte zu vermeiden.
Denn es hilft nichts, durch die kühlenden Effekte von mehr Grünflächen zwar Wärmeinseln zu reduzieren, wenn dadurch aber ein Bewässerungsproblem entstehen könnte."
Deutschland: Handlungsempfehlungen statt Hitzeaktionspläne
Während Nachbarländer wie Frankreich oder Italien direkt nach der starken Hitzewelle 2003 nationale Hitzeaktionspläne entwickelt haben, gab es in Deutschland erst 2017 entsprechende Handlungsempfehlungen. Deshalb kritisiert Ärztin Nathalie Nidens:
"Hessen ist das erste Bundesland, in dem dieses Jahr ein solcher auf den Weg gebracht wurde", ergänzt Nidens, ihres Zeichens wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), im Arbeitsbereich Hitzeschutz. "Während es für Arbeitsplätze in Innenräumen genaue Vorgaben gibt, wie heiß es werden darf, sind solche konkreten Ausarbeitungen für Arbeitsplätze im Freien erst in der Entwicklung."
- Öffnen Sie nachts und frühmorgens alle Fenster und Fensterläden, wenn die Außentemperatur niedrig (und dies gefahrlos möglich) ist.
- Tagsüber: Fenster und Fensterläden schließen, um keine Hitze hereinzulassen.
- Wenn möglich: Bringen Sie Rollos, Vorhänge, Markisen oder Jalousien an Fenstern an, die der Sonne ausgesetzt sind.
- Schalten Sie das Licht und so viele elektrische Geräte wie möglich aus.
- Hängen Sie nasse Handtücher auf, um die Raumluft herunterzukühlen.
- Teppiche wegräumen - sie sind Wärmespeicher.
- Ventilatoren können helfen. Stellen Sie als "Kühlmittel" ein Gefäß mit Eiswürfeln vor den Ventilator, dann verstärkt sich die Wirkung noch.
- Im Schatten bleiben, direkte Sonne meiden.
- Leichte und lockere, helle Kleidung tragen, außerdem Hut oder Kappe und eine Sonnenbrille.
- Große Asphalt- oder Betonflächen meiden - diese Materialien speichern die Wärme.
- Sonnenschutz auftragen.
- Duschen oder kalt baden.
- Alternativ: kalte Packungen oder Wickel, feuchte Handtücher oder Schwämme, Fußbäder.
- Mit Wasser besprühen, z.B. mit einer Sprühflasche.
- Leichte Bettwäsche und keine schweren Decken verwenden.
- Regelmäßig trinken, Alkohol meiden. Koffein- und Zucker-Konsum begrenzen.
- Häufiger essen, dafür weniger und keine eiweißreiche Kost.
Initiativen und Projekte zum Hitzeschutz
Erschwerend kommt für sie hinzu, dass der Hitzeschutz für Kommunen keine gesetzliche Pflichtaufgabe ist, was dazu führe, dass er meist nicht die größte Priorität habe. Dennoch wurden seit letztem Jahr viele einzelne Initiativen und Projekte zum Hitzeschutz ins Leben gerufen.
Ein Beispiel ist die unter anderem vom Klinikum der Universität München entwickelte Onlineplattform Hitzeservice.de. Diese enthält eine Vielzahl an möglichen Hitzeschutzmaßnahmen für die Kommunen.
Nidens: Lauterbachs Hitzeplan darf "nicht beim Papier bleiben"
Im Hitzeplan von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sehen die beiden Expertinnen Julia Schoierer und Nathalie Nidens einen wichtigen Schritt für den Hitzeschutz auf nationaler Ebene.
Für Nathalie Nidens ist entscheidend, dass der bisherige Entwurf weiter konkretisiert wird und vor allem zur Umsetzung kommt: "Wichtig wird sein, dass es nicht beim Papier bleibt."
Thema
Mehr über extreme Hitze
FAQ
Homeoffice und Hitzefrei?:Hitze: Diese Regeln gelten bei der Arbeit
von Larissa Hamann
mit Video
Tipps gegen Hitze:Wie man den Körper kühlen kann
von Jacqueline Vieth
mit Video
Heiße Sommernächte:Bei Hitze besser schlafen
von Aaron Wörz