mit Video
Gewalt gegen Ärzte:So schlimm ist es in Praxen und Kliniken
von Oliver Klein
|
Patienten, die Klinikzimmer verwüsten, in Arztpraxen das Personal anpöbeln oder sogar attackieren - immer häufiger kommt es zu Gewalt gegen Ärzte. Wie groß ist das Problem?
Patienten im Wartezimmer einer Arztpraxis - die Lage "eskaliert immer öfter".
Quelle: dpa
Ärzte schlagen Alarm: Die Gewalt in Praxen und Kliniken nimmt zu, Patienten werden immer häufiger aggressiv, bedrohen oder attackieren das Personal. "Nicht nur in Notaufnahmen, auch bei den Niedergelassenen eskaliert die Lage immer öfter", sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV, Andreas Gassen, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Kaum valide Statistiken verfügbar
Doch wie schlimm ist die Situation tatsächlich? Aktuelle, valide Statistiken zu den Vorfällen gibt es kaum, dafür umso mehr einzelne Erlebnisberichte. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung räumt ein, dass sie keine aktuellen Zahlen vorlegen kann.
Deren Sprecher Roland Stahl erklärt gegenüber ZDFheute, Gassen beziehe sich auf die Erfahrungsberichte der Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und von Berufsverbänden, die im direkten Kontakt mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten stünden. "Die spiegeln uns das wider. Das sind natürlich zunächst subjektive Berichte - aber die nehmen ständig zu."
An deutschen Krankenhäusern ist die Zahl von Gewalttaten drastisch gestiegen. Nun fordert ein Ärzteverband mehr Maßnahmen. Wie lassen sich Pflegekräfte und Ärzte schützen?04.03.2024 | 2:02 min
Berichte wie der von Stefan Windau, Allgemeinmediziner in Leipzig: Er beobachte seit 1997 eine Zunahme von verbalen und sogar körperlichen Angriffen durch Patientinnen und Patienten, erklärt er. Dazu käme vermehrt ein "forderndes Auftreten und ein Verlust von Anstand und Respekt, vor allem gegenüber meinen Mitarbeiterinnen am Tresen", so Windau.
Uniklinik-Chef: "Ganzes Zimmer kurz und klein geschlagen"
Auch die Arzthelferin einer Augenarzt-Praxis in Rheine in Nordrhein-Westfalen erzählt, dass Patienten bereits handgreiflich geworden seien, wie der "WDR" berichtet. Die Praxis hat inzwischen ein Schild mit der Aufschrift "Null Toleranz" aufgestellt: "Aggressives, beleidigendes und gewalttätiges Verhalten" würde nicht toleriert und "konsequent zur Anzeige gebracht", heißt es.
In einem Interview mit der "Sächsischen Zeitung" berichtet der kaufmännische Vorstand des Uniklinikums Dresden Frank Ohi, seine Sicherheitsleute müssten pro Monat zu 40 bis 50 Einsätzen, "die sich aus auffälligen Situationen ergeben". Ein Patient habe "ein ganzes Zimmer kurz und klein geschlagen", ein anderer habe in seinem Gepäck für den stationären Aufenthalt eine Machete mitgebracht. "Das Aggressionspotential ist heute wesentlich höher als noch vor 25 Jahren", so Ohi.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert mehr Schutz für Ärzte und Pflegepersonal gegen zunehmende Gewalt. Fast jede zweite Klinik beschäftigt inzwischen Sicherheitsdienste.12.04.2024 | 0:24 min
Schon 2018: Jeder vierte Arzt angegriffen oder bedroht
Aber der Trend Richtung Respektlosigkeit bis hin zu roher Gewalt ist nicht neu: 2018 veröffentlichte die KBV zusammen mit dem Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands NAV-Virchow-Bund alarmierende Zahlen in ihrer Umfrage "Ärztemonitor". Schon damals hatte jeder vierte Arzt angegeben, schon einmal körperlich angegriffen oder physisch bedroht worden zu sein.
Eine Befragungsstudie der TU München kam 2016 zu einem ähnlichen Ergebnis: Über 90 Prozent der Mediziner gaben an, dass sie schon mit aggressivem Verhalten konfrontiert waren, 23 Prozent hatten sogar Gewalterfahrung.
Corona verschärfte das Problem
Die Corona-Pandemie hat das Problem offenbar verschärft. So sehr, dass sich auch der Deutsche Ärztetag 2021 mit dem Thema befasste:
In der Notaufnahme der Ludwigsburger Klinik helfen Ehrenamtliche aus, wenn Pflegekräfte und Ärzte an ihre Grenzen stoßen. Die Freiwilligen leisten vor allem emotionale Unterstützung und erhalten dafür hohe Wertschätzung.10.07.2024 | 1:54 min
Solche Berichte "werden stetig mehr", hieß es in einem damaligen Beschluss. Dass Beschäftigte im Gesundheitswesen Aggressivität erleben, gehöre für viele "zunehmend zum beruflichen Alltag" - etwa, wenn sie Patientinnen und Patienten darauf hinweisen, die Corona-Regeln einzuhalten, oder sie nach ihrem Impfstatus befragen.
Gassen fordert Verschärfung von Gesetzen
Diese Entwicklung bestätigt auch die Polizei: Das Magazin "Spiegel" berichtete Anfang des Jahres über eine Anfrage an alle 16 Landeskriminalämter zu Gewalttaten in Krankenhäusern. Demnach stieg die Zahl dieser sogenannten "Rohheitsdelikte" zwischen 2019 und 2022 um rund 20 Prozent. In manchen Bundesländern war der Anstieg teilweise drastisch: Im Saarland waren es 67 Prozent mehr, in Bremen 55 Prozent, in Niedersachsen 46 Prozent mehr.
Gassen fordert nun "deutliche und schnelle Strafen", um dem Problem entgegenzuwirken. Karl Lauterbach (SPD) sieht das offenbar ähnlich: Im Kurznachrichtendienst X schreibt der Gesundheitsminister, dass Gewalt und Gewaltandrohungen gegen Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte stärker bestraft werden müsse. Die Regierung arbeite an einem Gesetz zur Strafverschärfung.
Karl Lauterbach bei X
Ein Klick für den Datenschutz
Erst wenn Sie hier klicken, werden Bilder und andere Daten von X nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von X übertragen. Über den Datenschutz dieses Social Media-Anbieters können Sie sich auf der Seite von X informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Mehr zum Thema Ärzte und Pflege
mit Video
Gewalt in Notaufnahmen:Italien: Krankenhauspersonal in Gefahr
A. Hilsenbeck und J. Grethel, Rom
mit Video
Fachkräftemangel :Bis 2039 fehlen mehr Ärzte und Pfleger
von Dominik Rzepka
Grafiken
Gibt es zu wenig Ärzte?:Warum der Ärztemangel komplexer ist
von Luisa Billmayer