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Größter Eruv der Welt:Was die Angelschnur von Manhattan bedeutet
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Die meisten New Yorker wissen wohl nichts von der hoch über ihren Köpfen gespannten Angelschnur. Doch sie ist für die jüdischen Bewohner Manhattans am Sabbat nicht unwesentlich.
New York: Rabbi Moshe Tauber kontrolliert den Zustand des Eruvs in Manhattan.
Quelle: dpa/Christina Horsten
Die Sonne ist noch nicht über dem East River aufgegangen, als Moshe Tauber seinen leicht verbeulten schwarzen Kleinbus über die George-Washington-Brücke nach Manhattan lenkt. Am Riverside Drive, Ecke 145th Street nimmt er pünktlich um halb fünf die Fährte einer Nylonschnur auf - wie jeden Donnerstag seit rund 25 Jahren. Nicht einen Donnerstag habe er ausgelassen.
Tauber ist zwölffacher Vater, betreibt mit seiner Frau eine Kinderkrippe und lehrt als Rabbiner an einer jüdischen Schule. Jeden Donnerstag fährt der 50-Jährige von seinem Heimatstädtchen Monsey aus rund eine Stunde in die Metropole New York, um den Eruv von Manhattan zu kontrollieren - ein Faden, der aufgehängt unter anderem an Straßenpfosten große Teile von Manhattan umspannt.
New York: Ein Stück Eruv in Manhattan ist entlang des Pfostens einer Straßenlaterne gespannt.
Quelle: dpa/Christina Horsten
Eruv hebt Einschränkungen am Sabbat auf
"Am jüdischen Sabbat - also von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am Samstag - gibt es bestimmte Sachen, die nicht erlaubt sind", sagt Adam Mintz, der in Manhattan als Rabbiner arbeitet. "Eine solche Sache ist das Tragen von Objekten außerhalb des eigenen Hauses - darunter fällt zum Beispiel auch das Schieben von Kinderwagen oder Baseball spielen", sagt er.
"Deswegen kamen schon vor fast 2.000 Jahren Rabbiner auf die Idee, dass man ein Gebiet umgrenzen könnte, das dann quasi kein öffentlicher Raum mehr ist, sondern ein privater. Dann ist da alles dort wieder erlaubt", erzählt Mintz. Ursprünglich - zur Zeit der Römer - seien dafür echte Mauern errichtet worden. "Aber das war irgendwann nicht mehr praktisch, deswegen benutzt man jetzt Schnüre und Pfosten."
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Kein Eruv in Deutschland
Heutzutage haben Städte weltweit, in denen größere Gemeinschaften streng praktizierender Juden leben, ihren eigenen Eruv - Antwerpen etwa, London, Toronto oder Wien. In Deutschland gibt es nach Angaben des Zentralrats der Juden derzeit keinen dauerhaften Eruv. In den verschiedenen Stadtvierteln New Yorks, wo sich Schätzungen zufolge insgesamt mehr als eine Million Menschen zum jüdischen Glauben bekennen, gibt es gleich mehrere Eruvs.
Der in Manhattan aber, den Moshe Tauber jeden Donnerstag mit seinem Kleinbus abfährt, sei der größte der Welt, sagt Rabbiner Mintz. Von der 145th Street geht er bis ganz an die Südspitze Manhattans und umfasst auf diesem Stück fast das komplette Inselgebiet. Nicht überall besteht er aus aufgespannter Angelschnur, es zählen auch zuvor bereits für andere Zwecke errichtete Zäune oder Mauern dazu.
Der Eruv von Manhattan kostet 150.000 Dollar im Jahr
Seit der Begründung des Eruvs in Manhattan 1999 ist Rabbiner Mintz im Auftrag von rund einem Dutzend jüdischer Einrichtungen und Organisationen offiziell dessen Präsident - und Rabbiner Tauber der Hausmeister.
"Das läuft alles sehr rund", sagt Mintz. "Ich muss gar nicht viel machen, nur die Finanzierung zusammentreiben." Etwa 150.000 Dollar sind das pro Jahr, die hauptsächlich aus Spenden von jüdischen Einrichtungen und Privatleuten zusammenkommen. "Die ganze schwere Arbeit macht Rabbiner Tauber."
Wirbelsturm "Sandy" beschädigte Eruv schwer
Schäden am Eruv entstünden etwa durch Bauarbeiten oder Stürme, so Tauber, insbesondere Schneestürme. Nach Wirbelsturm "Sandy" 2012 reparierten Handwerker mehrere Tage lang den Eruv - und schafften es pünktlich zum Beginn des Sabbats.
Er sei in seinem Heimatstädtchen Monsey ohne einen Eruv aufgewachsen, sagt Tauber. "Das bekommt man schon hin." Inzwischen gebe es aber auch dort einen.
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Mit seinem schwarzen Kleinbus ist Tauber inzwischen an der Südspitze Manhattans vorbeigekommen und fährt wieder nach Norden. Um ihn herum erwacht die Stadt langsam zum Leben. Erste Jogger und Fahrradfahrer tauchen auf, aus Bars und Clubs purzeln übernächtigte Partygänger.
Die meisten von ihnen wissen wohl nichts von der hoch über ihren Köpfen gespannten Angelschnur. Die Gleichzeitigkeit dieser Welten sei faszinierend, sagt Rabbiner Mintz. "Und es ist einfach so schön zu sehen, dass es so etwas wie den Eruv heute noch geben kann."
Quelle: KNA
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