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Klimakrise treibt Tiere in Stadt:In Churchill klopfen die Eisbären ans Fenster
von Katharina Schuster, Washington, D.C.
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"Hey, wir wollen Eisbären sehen" - in Churchill kein Problem. Dort leben Menschen und Bären in friedlicher Koexistenz. Doch der Klimawandel nimmt den Tieren die Lebensgrundlage.
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Mein Nachbar, der Eisbär - was nach einem Einstieg in einen fiktiven Abenteuer-Roman klingt, könnte in Churchill Auszug eines Tagebucheintrags sein. "Welthauptstadt der Eisbären" - so nennt sich die kanadische Kleinstadt an der Küste der Hudson Bay, und das ist keine Übertreibung. In dem 800-Seelen-Ort leben Menschen "Tür an Tür" mit den größten Landraubtieren der Welt.
"Theoretisch besteht das ganze Jahr über die Möglichkeit, beim Wandern auf einen Eisbären zu treffen", erzählt die Österreicherin Claudia Grill, die seit 2016 in Churchill lebt. "Doch, auch wenn die Bären hin und wieder vor meinem Schlafzimmerfenster auftauchen könnten", im Winter beschäftigen sich die Raubtiere vor allem mit der Jagd auf Robben.
Churchill liegt etwa 1.700 km nördlich von Winnipeg, direkt am arktischen Binnenmeer.
Quelle: ZDF
Mehr als 800 Eisbären wandern im Herbst jährlich vom Landesinneren an die Küste Churchills. Sie warten dort, bis das Meer zufriert und ihre Beute auftaucht. Den ganzen Sommer über haben sie kaum etwas gefressen, entsprechend groß ist der Hunger.
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Erderwärmung treibt Eisbären in die Stadt
Die Wartezeit der Eisbären ist die gefährlichste Zeit für Churchill. Dann gehört es zur Tagesordnung, dass auch mal ein hungriger Bär durch die Stadt trottet. Seit den 1960er-Jahren kamen immer mehr Tiere in die Stadt, die Einwohner*innen dachten an eine Zunahme des Eisbären-Bestandes. Doch:
Die traurige Wahrheit: Untersuchungen der Weltnaturschutzunion IUCN ergaben, dass sich Churchills wachsende Attraktivität bei den Eisbären nicht durch ihre größer werdende Population erklärt, sondern eine Folge des Klimawandels ist.
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Später einsetzende Eisschmelze verkürzt Jagdzeit
Die wegen der globalen Erderwärmung immer früher einsetzende Eisschmelze und die immer später einsetzende Eisbildung verkürzt die Jagdzeit der Tiere, macht Sybille Klenzendorf klar.
25 Jahre lang hat sie für die Umweltorganisation WWF die Artenschutz-Abteilung in den USA geleitet. Mindestens einmal im Jahr war sie dafür in Churchill. "Weil die Bucht immer länger eisfrei bleibt, bleiben die Bären länger an Land und das begünstigt auch, dass sie öfter in die Kleinstadt kommen."
Die Eisbären haben somit weniger Zeit, um sich eine Fettschicht für die Sommer- und Herbstmonate anzufressen. Die Folge: Die Tiere verlieren kontinuierlich Gewicht und bekommen deshalb auch weniger Nachwuchs. "Wenn die erwachsene Generation stirbt, kommt keine neue nach - deshalb ist der Rückgang sehr abrupt", sagt Klenzendorf. Und:
Achtung Eisbären!
In Churchill hat man sich mit den Bären arrangiert. Oft sind es männliche Jungbären, die sich dem Menschen nähern. Auch, weil sie einen höheren Bewegungsradius haben.
Quelle: privat/Claudia Grill
Zukunft der Churchill-Eisbären
"Grundsätzlich haben die Menschen großen Respekt vor den Bären, nicht nur, weil sie Raubtiere sind, denen man besser nicht zu nahekommt", erzählt Grill. Sondern auch, so sagen viele, weil sie einfach zuerst hier waren und ihnen Churchill quasi mitten auf ihre jährliche Migrationsroute gesetzt worden ist.
Das Zusammenleben von Mensch und Raubtier, das funktioniere sehr gut, so Grill. Doch wie lange noch, wenn die globale Erderwärmung die Hudson Bay immer später zufrieren lässt? "Die Eisbären sind wahrlich die Könige der Arktis, mächtig und respekteinflößend - und gleichzeitig so fragil", sagt sie.
"Ich finde es immer noch sehr erdend und berührend, diese eindrucksvollen Tiere manchmal sehen zu dürfen, nicht im Zoo, sondern in ihrem Lebensraum", sagt Claudia Grill.
Quelle: privat/Claudia Grill
Artenschutzexpertin: Bis 2050 geht ein Drittel verloren
"Früher wurden Eisbären, die zu gefährlich wurden, geschossen, heute versucht man jeden Einzelnen zu retten", sagt Artenschutzexpertin Klenzendorf und wird dann grundsätzlich: "Vorhersage ist, dass wir bis 2050 ungefähr ein Drittel der Eisbär-Population verlieren werden."
Das Drittel zu verlieren könne niemand mehr aufhalten. Aber dass die ganze Art verloren ginge, dass könne man mit Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens noch verhindern.
Quelle: privat/Claudia Grill
Eisbären, die für die Futtersuche oder aus Neugier immer wieder in die Stadt kommen, werden "Problembären" genannt. Um sie kümmert sich die sogenannte Eisbärenpolizei. "Das sind im Grunde Wildhüter, die vom Spätsommer bis Anfang Winter mehr oder weniger 24 Stunden im Einsatz sind", erzählt Grill. "Sie patrouillieren rund um die Stadt, um sicherzustellen, dass sich keine Bären in die "sichere" Zone begeben. Falls ja, werden sie mit Schreckschusspistolen verjagt."
Funktioniert das nicht, werden sie betäubt und in die sogenannte Polar Bear Holding Facility gebracht. In der Halle bleiben die Tiere etwa 30 Tage. "Von dort werden sie dann per Helikopter weiter im Norden ausgesetzt – in der Hoffnung, dass sie auf dem Weg zurück einen Bogen um die Stadt machen bzw. erst wiederkommen, bis das Meereis gefroren ist." Das System funktioniert - seit mehr als 30 Jahren hat es keine Todesopfer wegen Eisbären gegeben.
Für Artenschutz-Expertin Klenzendorf stellt die Halle kein Eisbärengefängnis dar, sondern dient dem Schutz von Menschen und Eisbären. Es sei eine Art Überwinterungs- bzw. Übersommerungslager, denn während sich andere Tiere im Sommer den Bauch vollschlagen, leben Eisbären von der Substanz und werden im Winter aktiv. Sie halten Sommerruhe, um weniger Energie zu verbrauchen.
Funktioniert das nicht, werden sie betäubt und in die sogenannte Polar Bear Holding Facility gebracht. In der Halle bleiben die Tiere etwa 30 Tage. "Von dort werden sie dann per Helikopter weiter im Norden ausgesetzt – in der Hoffnung, dass sie auf dem Weg zurück einen Bogen um die Stadt machen bzw. erst wiederkommen, bis das Meereis gefroren ist." Das System funktioniert - seit mehr als 30 Jahren hat es keine Todesopfer wegen Eisbären gegeben.
Für Artenschutz-Expertin Klenzendorf stellt die Halle kein Eisbärengefängnis dar, sondern dient dem Schutz von Menschen und Eisbären. Es sei eine Art Überwinterungs- bzw. Übersommerungslager, denn während sich andere Tiere im Sommer den Bauch vollschlagen, leben Eisbären von der Substanz und werden im Winter aktiv. Sie halten Sommerruhe, um weniger Energie zu verbrauchen.
Der Artikel wurde erstmals am 27. Februar 2021 publiziert.
Katharina Schuster ist Redakteurin im ZDF-Studio Washington.
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