Regieren unter Protest – Migrationskrise ungelöst?

Fakten-Box | 18. Januar 2024

• Migrationsstatistik

  

  Die Anzahl der Personen, die 2023 erstmals einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben, ist mit 329.120 im Vergleich zum Vorjahr um über 50 Prozent gestiegen. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mitteilte, stellten im vergangenen Jahr insgesamt 352.000 Personen einen Asylantrag, darunter sind rund 22.800 Folgeanträge. Deutschland ist der EU-Staat mit den meisten Asylanträgen.
  
  Hauptherkunftsländer der Asylantragsteller im vergangenen Jahr waren Syrien (104.561 Asylanträge), Türkei (62.624) und Afghanistan (53.582). Es folgen Irak, Iran unds Georgien. Das BAMF hat 2023 über insgesamt 261.601 Erst- und Folgeanträge entschieden, die Gesamtschutzquote lag bei 51,7 Prozent.
  
  Zu den Schutzsuchenden, die nach Deutschland gekommen sind, addieren sich ukrainische Kriegsflüchtlinge. Bis zum 30. November 2023 waren mehr als 1,1 Millionen Ukrainer in Deutschland registriert.
  
  Nahezu ein Viertel der 2022 in Deutschland lebenden Menschen hat eine Einwanderungsgeschichte (20,2 Mio.). Das waren laut Statistischem Bundesamt sechseinhalb Prozent mehr als 2021. Damit machten „Migranten“ einen Anteil von 24,3 Prozent an der deutschen Bevölkerung aus. Zu der Gruppe zählen Menschen, die entweder selbst einwanderten oder deren Eltern nach Deutschland migrierten. 2022 wurden in Deutschland 168.775 Eingewanderte eingebürgert.
  
  Von den 15,3 Millionen Eingewanderten, die selbst nach Deutschland kamen, wanderten knapp 6,1 Millionen – 40 Prozent – seit dem Jahr 2013 ein. 47 Prozent davon sind Frauen und 53 Prozent sind Männer.
  
  In den einzelnen Bundesländern leben unterschiedlich viele Menschen mit Migrationshintergrund. Besonders hoch ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in den drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sowie in Hessen und Baden-Württemberg. In Bremen ist er mit rund 41,7 Prozent am höchsten. In den ostdeutschen Flächenländern – ohne Berlin – machen Menschen mit Migrationshintergrund nur rund 10,3 Prozent der Bevölkerung aus. Ihr Anteil ist hier deutlich geringer als in den westdeutschen Ländern einschließlich Berlin (31,9 Prozent), da keine vergleichbare Zuwanderungstradition besteht.
  
  Hauptgründe für die Einwanderung in den zurückliegenden zehn Jahren waren laut der Statistikbehörde Flucht, Asyl und internationaler Schutz (27,9 Prozent). Andere häufig genannte Gründe sind Erwerbstätigkeit (24,2 Prozent) sowie eine Familienzusammenführung (23,9 Prozent).
  
  Deutschland ist auch ein beliebtes Ziel für ausländische Studierende. Im Wintersemester 2022-2023 studierten hier fast eine halbe Million Menschen aus aller Welt inklusive EU. Sie stellen damit 15,7 Prozent aller Studierenden. Laut dem Statistischen Bundesamt bleibt jeder dritte ausländische Studierende nach seinem Studium in Deutschland. Von denjenigen, die zwischen 2006 und 2011 in Deutschland studiert hatten, blieben 38 Prozent im Land. Nach zehn Jahren hatten 28 Prozent der ehemaligen Studierenden, die noch in Deutschland lebten, die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.
  
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

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• Irreguläre Migration

  

  Der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für die Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), hat das Ziel der deutschen Asyl- und Migrationspolitik auf eine Formel gebracht: „reguläre Migration stärken, irreguläre Migration reduzieren“.
  
  Die „reguläre“ Migration ist weit überwiegend mit der dauerhaften Einreise von Fachkräften verknüpft. Die deutsche Wirtschaft wirbt um ausländische Fachkräfte, weil der beklagte Mangel immer größer wird. Die Einreise erfolgt in der Regel nach vorheriger Antragstellung mit erfolgter Aufenthaltsgenehmigung. Beispiele sind IT-Fachleute aus Indien, internationale Wissenschaftler mit Aufträgen an deutschen Forschungseinrichtungen, aber auch angeworbene Pflegekräfte aus Drittstaaten.
  
  Auch Studierende aus Nicht-EU-Staaten reisen „regulär“ ein – in der Regel mit einem Visum für die Zeit ihres Studiums in Deutschland. Im Wintersemester 2022/2023 waren an deutschen Hochschulen allein 85.000 Studierende aus Indien und China immatrikuliert. Man würde sie jedoch kaum als „Migranten“ bezeichnen, weil sie nach ihrem Studium in Deutschland wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Es sei denn, sie überziehen ihren zeitlich begrenzten Aufenthalt und halten sich nach dem Ablauf ihres Visums „illegal“ in Deutschland auf. Dann werden sie zu „irregulären Migranten“.
  
  Der Mediendienst Integration erklärt: „Menschen, die sich ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland befinden, werden als irreguläre Migranten bezeichnet.“ Über ihre Anzahl und Lebensverhältnisse liegen verhältnismäßig wenig gesicherte Informationen vor. Sie sind häufig nicht registriert.
  
  Das Beispiel eines abgelaufenen Visums verdeutlicht, wie leicht der Wechsel von einem „legalen“ zu einem „illegalen“ Aufenthaltsstatus passieren kann und wie aufwendig es ist, diese – im Einzelfall mehrfach wechselnden – Status statistisch nachzuhalten. 
  
  „Irreguläre“ Migranten können ihren illegalen Aufenthaltsstatus mit einem Antrag auf Asyl „legalisieren“. Sie sind dann im Asylverfahren und verfügen während dieser Zeit über eine legale Aufenthaltsberechtigung. Wird der Antrag auf Asyl abgelehnt, verlieren sie ihren legalen Aufenthaltsstatus, werden damit zwar „ausreisepflichtig“, aber aus unterschiedlichen Gründen häufig nicht abgeschoben. Ein Grund für den Verbleib von ausreisepflichtigen Ausländern in Deutschland ist ein Folgeantrag auf Asyl, womit sie erneut ins Asylverfahren kommen. 
  
  Politisch bezieht sich die Rede von der „irregulären Migration“ meist auf die unkontrollierte Einreise an der EU-Außengrenze. Gemeint sind damit die zigtausend Menschen, die über die Mittelmeer- bzw. Balkanroute nach Europa fliehen, die meisten davon mit dem erklärten Ziel, nach Deutschland zu gelangen. Allein 2023 haben 352.000 Schutzsuchende in Deutschland Anträge auf Asyl gestellt.
  
  Diesen Geflüchteten eine „reguläre“ Einreisemöglichkeit zu gewähren, ist nicht nur unter den Parteien in Deutschland umstritten, auch innerhalb der EU wird von den Mitgliedsländern darunter etwas Unterschiedliches verstanden.In einem Asylkompromiss vom Dezember vergangenen Jahres verständigten sich die Mitgliedsländer der EU erstmals auf die Durchführung von Asylverfahren an den EU-Außengrenzen. Ziel ist zuvorderst, den Schutzsuchenden die Einreise zu verwehren. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte: „Wir entscheiden, wer in die EU kommt, nicht die Menschenhändler.“
  
  Unklar ist, was mit Schutzsuchenden passiert, deren Asylverfahren außerhalb der EU erfolgreich ist. Dänemark zum Beispiel präferiert das sogenannte Ruanda-Modell (siehe Faktenbox) nach britischem Vorbild, das heißt, selbst anerkannte Asylbewerber werden nicht aufgenommen. Sie dürfen allenfalls in dem Drittland bleiben, in dem das Asylverfahren durchgeführt wurde. Dänemarks Ministerpräsidentin hat ihre Migrationspolitik auf den Punkt gebracht: „Null Asyl“.
  
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

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• Gemeinsames Europäische Asylsystem (GEAS)

  

  Am 20. Dezember 2023 haben sich EU-Staaten, EU-Parlament und EU-Kommission auf neue Regeln im europäischen Asylsystem geeinigt. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) gibt EU-weit geltende Mindeststandards für die Behandlung aller Asylsuchender und die Bearbeitung aller Asylanträge vor.
  
  Der Kompromiss sieht vor, dass die Asylbestimmungen deutlich verschärft werden und Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland entlastet werden sollen. Vor dem Inkrafttreten bedarf es noch formeller Beschlüsse der Mitgliedsländer und des EU-Parlaments.
  
  Die Kernpunkte der Reform:
  
  Erstmals sollen Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden. Es sind Asylzentren in Grenznähe geplant, in denen die Identität von Schutzsuchenden überprüft wird. Mit diesem sogenannten „Screening” soll erreicht werden, dass Migranten mit geringen Aufnahmechancen erst gar nicht in die EU gelangen.
  
  Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können – auch Familien mit Kindern. Das war bis zuletzt umstritten. Ankommende Menschen können dem Vorhaben zufolge mit Fingerabdrücken und Fotos registriert werden, um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind.
  
  Die Kriterien für sogenannte sichere Drittstaaten sollen geändert und deutlich ausgeweitet werden. Damit gibt es deutlich mehr Länder, die als sicher eingestuft werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen auf der Flucht durch einen solchen Staat gekommen sind, ist groß. Sichere Drittstaaten sind Länder wie etwa Tunesien oder Albanien. Geplant sind in diesem Zusammenhang weitreichende Kooperationsprojekte mit Nicht-EU-Ländern.
  
  Einzige Voraussetzung für eine Abschiebung in sichere Drittstaaten soll sein, dass die Menschen eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind.
  
  Ein weiterer Punkt der Reform ist die Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU. Die EU-Mitgliedsländer sollen künftig die Aufnahme von Migranten zusagen. Anhand einer Quote soll eine bestimmte Anzahl von Schutzsuchenden festgelegt werden. Staaten, die keine oder weniger geflüchtete Menschen aufnehmen, sollen entweder Sachleistungen erbringen oder pro nicht aufgenommenen Geflüchteten 20.000 Euro zahlen.
  
  Kommen besonders viele Schutzsuchende an, greift eine sogenannte Krisenverordnung. Sie erlaubt einem EU-Mitgliedsland, gegebenenfalls eine Notlage zu erklären. Dann sollen sogar Migranten mit höheren Anerkennungschancen die Grenzverfahren durchlaufen. Dabei können sie sogar 18 statt 12 Wochen festgehalten werden.
  
  Reaktionen und Kritik:
  
  EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erleichtert über die Einigung: „Sie bedeutet, dass die Europäer entscheiden, wer in die EU kommt und wer bleiben darf, nicht die Menschenhändler. Damit schützen wir diejenigen, die in Not sind.“Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete die Einigung als „dringend notwendig und längst überfällig“. 
  
  Menschenrechtsorganisationen reagierten bestürzt. „Ich bin entsetzt: Die heute erzielte Einigung ist ein menschenrechtlicher Dammbruch“, erklärte Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. Der Migrationsforscher Ruud Koopmans ist überzeugt, dass das neue EU-Asylrecht nichts an den derzeit katastrophalen Zuständen ändern wird: „Die Menschen werden weiterhin im Mittelmeer sterben.“ 
  
  Ungarn will sich nicht an den erneuerten Asylpakt halten: „Niemand aus Brüssel oder sonst woher kann uns sagen, wen wir reinlassen. Und wir weigern uns aufs Schärfste, dafür bestraft zu werden“, sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto.
  
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

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• Asylkompromiss Bund-Länder

  Bundesregierung und Bundesländer hatten sich im November 2023 nach langen Verhandlungen auf ein Maßnahmenpaket in der Asylpolitik verständigt. Die Maßnahmen sollen irreguläre Migration begrenzenund Kommunen bei der Versorgung der hohen Zahl an Schutzsuchenden entlasten. Viele Punkte des Kompromisses sind umstritten.
  
  Der Bund hat zugesagt, Ländern und Kommunen im kommenden Jahr 7.500 Euro pro Flüchtling und Jahr zu zahlen. Die 16 Ministerpräsidenten hatten deutlich mehr Geld gefordert. Als Entlastungsvolumen für die Kommunen werden in dem Beschluss 3,5 Milliarden Euro genannt. Im Haushalt 2024 muss der Bund deshalb mehr als geplant einstellen. Was sich der Bund in diesem Haushaltsjahr leisten kann, wird derzeit im Haushaltsausschuss beraten und soll Anfang Februar vom Bundestag verabschiedet werden.
  
  Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weist daraufhin, dass das Entlastungsvolumen nur eine Orientierungsgröße sei: Denn die finanzielle Unterstützung pro Flüchtling sinke, wenn es wie geplant gelingt, die Zahl von geschätzten 300.000 Asylanträgen 2023 im kommenden Jahr deutlich zu senken.
  
  Eine zentrale Forderung sowohl der Union als auch der Regierungspartei FDP ist es, die sogenannten „Pullfaktoren“ zu begrenzen, die Deutschland nach Ansicht dieser Parteien als Zielland attraktiv machen. Zum einen wurde beschlossen, dass Asylbewerber erst nach 36 statt 18 Monaten eine dem Bürgergeld gleichgestellte staatliche Leistung erhalten.
  
  Zum anderen wurde vereinbart, bundesweit eine Bezahlkarte einzuführen, die potenziell auch den Übergang von Geld- zu Sachleistungen erleichtern kann. Kommunen sollen die Versorgung in Gemeinschaftsunterkünften mit den Zuweisungen an Flüchtlinge verrechnen können. Die Grünen verweisen jedoch auf verfassungsrechtliche Bedenken. Die Union kritisiert, dass gar nicht festgelegt wurde, wann die Bezahlkarte überhaupt eingeführt wird.
  
  Umstritten sind weiterhin Asylverfahren in außereuropäischen Staaten. Dabei geht es zum einen um die Frage, ob man Flüchtlinge bereits in den Staaten Asylanträge stellen lässt, durch die sie „hindurchfliehen“ – sogenannte „Transitstaaten“ –, oder ob sie aus Deutschland in andere Staaten gebracht werden dürfen. Die Bundesregierung hat eine „Prüfung“ zugesagt. Als schwierig gilt es neben rechtlichen Fragen, Länder zu finden, die solche Asylverfahren akzeptieren.
  
  Verabredet haben Bund und Länder beschleunigte Asylverfahren. Im Schnitt sollen sie nur noch sechs Monate beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf) und sechs Monate im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren dauern. Für Antragsteller aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent sollen es nur jeweils drei Monate sein.
  
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

• Rückführungsverbesserungsgesetz

  

  Zur Erleichterung von Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber hat der Bundestag mit der Mehrheit der Ampel-Fraktionen an diesem Donnerstag das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen. Neben AfD und Union sowie fraktionlosen Abgeordneten der ehemaligen Linksfraktion stimmten auch einige grüne Abgeordnete gegen den Regierungsentwurf.
  
  Das Gesetzespaket sieht unter anderem vor, die Höchstdauer für ein Ausreisegewahrsam von zehn auf 28 Tage zu verlängern sowie den Behörden das Auffinden abzuschiebender Personen zu erleichtern, indem auch andere Räumlichkeiten in einer Gemeinschaftsunterkunft durchsucht werden dürfen. In der Vergangenheit scheiterten Abschiebungen immer wieder daran, dass die Betroffenen nicht mehr auffindbar waren.
  
  Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte in der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs: „Wer vor Krieg und Terror flieht, kann auf unseren Schutz setzen. Klar ist aber auch, wer kein Bleiberecht in Deutschland hat, muss Deutschland auch wieder verlassen.“
  
  Der Gesetzentwurf war in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten kurzfristig von der Tagesordnung genommen worden, weil die Grünen noch Nachbesserungen gefordert hatten. Auf ihr Drängen wird nun etwa sichergestellt, dass den Betroffenen ein Anwalt zur Seite gestellt wird. Darüber hinaus sieht das Gesetz ein härteres Vorgehen gegen Schleuser vor. Wegen Protesten von Menschenrechtsorganisationen soll ein nachträglich eingefügter Passus dabei klarstellen, dass die Seenotrettung von Flüchtlingen nicht kriminalisiert wird.
  
  Die Opposition kritisierte das Gesetz scharf. Es löse die Migrationskrise „nicht ansatzweise“, sagte CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries. Sein Fraktionskollege Philipp Amthor (CDU) ergänzte, die Ampel feiere sich für die Erwartung von „600 mehr Abschiebungen pro Jahr gegenüber 700 neuen Asylsuchenden pro Tag“. Der Name des Gesetzes – „Rückführungsverbesserungsgesetz“ – sei „Wählertäuschung“. Der AfD-Obmann im Innenausschuss, Gottfried Curio, wiederholte die Forderung nach einer „Remigration“ der Geflüchteten. (Zum Begriff „Remigration“ siehe Faktenbox zu „Geheimtreffen“). Sebastian Hartmann (SPD) warf der Unionsfraktion vor, mit ihrer Rhetorik „Wasser auf die Mühlen der AfD zu gießen“.
  
  Faeser hatte vor der Verabschiedung des Gesetzes darauf verwiesen, dass die Abschiebungen schon im vergangenen Jahr durch bisherige Maßnahmen um 27 Prozent auf 16.430 gestiegen sei. Sie erwarte, dass das Maßnahmenpaket in diesem Jahr für „deutliche Zahlen“ bei den Abschiebungen sorgen werde.
  
  Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages befinde sich die Ampelregierung mit einer Maßnahme dieses Gesetzes jedoch auf Kollisionskurs mit dem Grundgesetz, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Das Gutachten vom Dezember bezieht sich auf die jetzt beschlossene Verlängerung der Wartezeit der Asylbewerber bis zum Empfang der vollen Sozialleistungen von 18 auf 36 Monate. Das Bundesverfassungsgericht hätte bereits 2012 klargestellt, dass auch Asylsuchende einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben.
  
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

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• Ruanda-Modell

  

  Zu den Vorschlägen für eine neue Asylpolitik gehört auch das sogenannte Ruanda-Modell zur Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten. Urheber dieses Modells ist Großbritannien. Demnach soll jeder, der irregulär eingereist ist, in einen sicheren Staat außerhalb Europas überführt werden und dort ein Asylverfahren durchlaufen. Fällt das Asylverfahren positiv aus, soll dem Antragsteller dort, im Verfahrensland, Schutz gewährt werden, nicht jedoch im Zielland des Schutzsuchenden.
  
  Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefs der Länder hatten sich Anfang November darauf verständigt, dass die Bundesregierung prüft, ob solche Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Scholz dämpfte damals die Erwartungen: Vieles, was gerade öffentlich diskutiert werde, sei unter anderem mit EU-Recht „nicht vereinbar“ und auch „praktisch sehr schwierig“. Die Debatte aber liege „in der Luft, und es wäre doch ganz absurd, sich damit nicht zu befassen“.
  
  Namensgebend für das Ruanda-Modell ist eine Vereinbarung zwischen Großbritannien und Ruanda, die vorsieht, dass irregulär eingereiste Flüchtlinge künftig ohne Prüfung ihres Asylantrags aus Großbritannien in das afrikanische Land geschickt werden. Ruanda erhält dafür laut „The Guardian“ umgerechnet rund 330 Millionen Euro. Ein Aufnahmelager in Ruanda ist bereits gebaut. Der Abschiebeplan scheiterte jedoch im November vor dem Obersten Gericht in London.
  
  In der Nacht auf Donnerstag hat das britische Unterhaus das umstrittene Gesetz zur Abschiebung nach Ruanda in einer geänderten Fassung gebilligt. Damit sollen rechtliche Hürden umgangen werden. Der Oberste Gerichtshof hatte mit der Menschenrechtslage in Ruanda argumentiert. Das neue Gesetz erklärt Ruanda nun zum sicheren Drittstaat. Menschenrechtsorganisationen und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sehen darin eine Verletzung internationaler Vereinbarungen, darunter der Genfer Flüchtlingskonvention.
  
  In Deutschland drängen vor allem Vertreter der Union und der FDP auf Verfahren in Drittstaaten. Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) hatte gefordert, alle irregulär in die EU gelangenden Flüchtlinge nach Ghana, Ruanda oder in osteuropäische Nicht-EU-Länder zu schicken. „Wenn wir das vier, sechs, acht Wochen lang konsequent durchziehen, dann werden die Zahlen dramatisch zurückgehen“, sagte Spahn der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. In der Genfer Flüchtlingskonvention stehe nicht, dass Schutz vor Kriegsverfolgung in der EU gewährt werden müsse. Auch der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai äußert sich positiv zu einem solchen Modell: „Einige haben diesbezüglich rechtliche Bedenken, die aber ausgeräumt werden können.“
  
  Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken positionierte sich deutlich gegen diese Pläne: „Die zwangsweise Externalisierung von Asylverfahren verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die im Übrigen als Reaktion auf die Massenvertreibungen durch die Nazis geschaffen wurde“. Esken zählte neben der Genfer Flüchtlingskonvention weitere Gründe auf, warum sie das sogenannte Ruanda-Modell nicht für realisierbar hält: „Die Europäische Kommission hat die Pläne als nicht vereinbar mit dem EU-Recht verworfen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die britischen Ruanda-Pläne gestoppt, der UNHCR hat jegliche Mitarbeit an Ruanda-Modellen abgelehnt.“ Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) distanzierte sich vom Ruanda-Modell.
  
  Italien hat sich für sein Flüchtlingsproblem einen Partnerstaat innerhalb Europas ausgesucht. Mit Albanien schloss Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni im November ein Migrationsabkommen ab. Die umstrittene Vereinbarung sieht die Errichtung von zwei Aufnahmezentren für Migranten in Albanien vor, die über das Mittelmeer in Italien ankommen. Das albanische Verfassungsgericht hat die Ratifizierung des Abkommens durch das Parlament in Tirana jedoch vorläufig blockiert.
  
  Aktuell werden in der EU keine organisierten Transporte in Drittländer praktiziert, jedoch sogenannte „Pushbacks“ an Grenzen zu nicht-EU-Ländern. So werfen Menschenrechtler Kroatiens Grenzpolizei vor, Migranten mit Gewalt nach Bosnien-Herzegowina zurückzutreiben. Und der Europäische Gerichtshof hat in einer Entscheidung von Ende September erklärt, dass die französische Praxis gegen die Rückkehr-Richtlinie verstößt”. Geflüchtete haben zwischen 7 und 30 Tagen Zeit, Frankreich zu verlassen, werden aber oft sofort von der Grenzpolizei zurückgeschickt, ohne die Möglichkeit zu haben einen Asylantrag zu stellen.
  
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

  Bildquelle: imago/Daniel Kubirski

• Geheimtreffen „Remigration”

  

  Vertreter der AfD haben Ende November gemeinsam mit Rechtsextremisten einen Plan zur Deportation von Millionen Migranten aus Deutschland beraten. Das hat das Recherchenetzwerk „Correctiv“ herausgefunden. Das Geheimtreffen fand in einem Landhotel bei Potsdam statt.
  
  Auch Vertreter der Werteunion sowie mindestens ein Mitglied der CDU aus Nordrhein-Westfalen seien bei den Gesprächen dabei gewesen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verurteilte das: „Für ein solches Gedankengut ist in unserer Partei kein Platz. Wir werden Konsequenzen prüfen und hart durchgreifen.“
  
  Bei dem Geheimtreffen soll ein „Masterplan“ besprochen worden sein, der die Abschiebung von Migranten sowie die Ausbürgerung von Deutschen mit Migrationshintergrund vorsieht. Das Konzept für eine sogenannte „Remigration” wurde von Martin Sellner vorgestellt, einem früheren Kopf der rechtsextremistischen Identitären Bewegung in Österreich. Er sprach nach eigenen Angaben darüber, wie erreicht werden könne, dass mehr Ausländer und sogar Menschen mit deutschem Pass Deutschland verlassen und wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte zur Assimilation gedrängt werden könnten.
  
  Von der AfD nahmen der frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig, die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy sowie der AfD-Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, an dem Treffen teil. Hartwig war zuletzt persönlicher Referent der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel, die sich nach der „Correctiv“-Enthüllung von ihrem Mitarbeiter getrennt hat. Zu dem Treffen eingeladen hatte Gernot Mörig, ein ehemaliger Zahnarzt aus Düsseldorf, der früher Vorsitzender des rechtsextremen Bundes Heimattreuer Jugend (BHJ) war.
  
  Der sozialwissenschaftliche Begriff „Remigration” bezeichne die Rückwanderung von Menschen in ihr Heimatland, aus dem sie ursprünglich migriert seien, erklärt die Frankfurter Extremismusforscherin Alice Blum. Die Neue Rechte habe den Begriff in den vergangenen Jahren für ihre Propaganda-Zwecke genutzt, so Blum. Sie versuche nicht in „den alten gewaltvollen Neonazi-Sprech“ zu verfallen, sondern sich intellektueller auszudrücken. Wer den scheinbar harmlosen Begriff nutze oder in der Berichterstattung unkritisch weiterverbreite, verschleiere die gewaltvolle und sehr bedrohliche Forderung der Neuen Rechten, die damit verbunden sei, erklärte Blum laut dem Evangelischen Pressedienst. Eine Jury aus Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern hat den Begriff in dieser Woche zum Unwort des Jahres 2023 gewählt.
  
  Bundesweit sind in den vergangenen Tagen Zehntausende gegen die AfD auf die Straße gegangen. Auch die Debatte um ein AfD-Verbot hat Fahrt aufgenommen. Fast alle Spitzenpolitikerinnen und -politiker haben sich inzwischen zu einem eventuellen Verbotsverfahren geäußert, doch die Meinungen gehen auseinander: Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) schließt ein Verbot nicht aus. „Die Hürden sind zu Recht sehr hoch, der Schaden durch ein gescheitertes Verbotsverfahren wäre massiv. Daher müsste alles absolut gerichtsfest sein“, sagte Habeck. CDU-Chef Friedrich Merz hat eine harte inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD angekündigt. Merz warnte, ein solches Verfahren werde Jahre dauern und die AfD nur „in ihrer Märtyrerrolle“ bestärken. SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken hat sich offen für ein Verbotsverfahren gezeigt.
  
  
  Quellen:  Red. / dpa / reuters / afp / ap / epd / kna

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