Zucker: Was die Wissenschaft (noch) nicht weiß | Terra-X-Kolumne

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Terra X - die Wissens-Kolumne:Zucker: Was die Wissenschaft (noch) nicht weiß

von Lars Dittrich
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Widersprüchliche Aussagen über Zucker gehen auf ungeklärte Fragen in der Forschung zurück. Doch die Schlussfolgerungen für unseren Alltag sind eindeutiger, als es den Anschein hat.

Terra X - Die Wissens-Kolumne: Lars Dittrich

Tipps für "die gesunde Ernährung" sind ein wahrer Evergreen der Medienlandschaft. Doch Menschen wie ich, die sich gesünder ernähren wollen, stehen vor einem Problem: Die Ratschläge widersprechen sich teilweise grundlegend.

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

Aktuell sieht man das anschaulich am Beispiel Zucker. Mal ein wahres Gift, mal sei erst ein Kalorienüberschuss ungesund, egal ob mit Zucker oder ohne. Aus diesen unterschiedlichen Botschaften könnte man unterschiedliche Konsequenzen ziehen. Wenn Zucker giftig ist, sollte ich doch möglichst ganz auf ihn verzichten. Zählen aber nur die Kalorien, wäre es vielleicht zielführender, insgesamt weniger zu essen.

Zucker: Ursache oder Symptom?

Tatsächlich kommen diese widersprüchlichen Botschaften direkt aus der Wissenschaft: Zunächst werden viele Menschen und ihre Ernährungsweisen untersucht. Man sieht: Je höher der Anteil von Zucker in der Ernährung, desto früher wird eine Person im Durchschnitt krank und stirbt. Das alleine beweist aber noch nicht, dass Zucker die Ursache dafür ist.
Denn Zuckerkonsum korreliert auch mit anderen Lebensgewohnheiten und Merkmalen. Unter anderem mit dem Körperfettanteil. Es wäre also genauso denkbar, dass Zucker lediglich eine Art Erkennungsmerkmal für eine ungesunde Lebensweise ist, aber nicht selbst der Übeltäter.
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Das unmögliche Zucker-Experiment

Um das herauszufinden, könnte man - rein theoretisch - ein Experiment durchführen. Menschen würden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt, die sich nur in einem Punkt voneinander unterschieden: Die einen müssten mit Zucker einen ordentlichen Teil der täglichen Kalorienzufuhr decken, die anderen kriegten gar keinen. Dann würde sich zeigen, ob Zucker - unabhängig von anderen Faktoren - krank macht. Ein solches Experiment ist natürlich aus moralischen Gründen ausgeschlossen.
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Zucker oder Kalorienüberschuss - der wahre Übeltäter

Daher nähert sich die Wissenschaft der Wahrheit auf dem zweiteffektivsten Weg: Sie untersucht die Plausibilität. Kann entweder für Zucker oder für einen allgemeinen Kalorienüberschuss nachgezeichnet werden, wie sie Schritt für Schritt zu Krankheit führen könnten?
Die Antwort ist: Ja. Für beide. Jeweils gleich auf mehrere Arten. Beispielsweise schütten vergrößerte Fettzellen - egal aus welchen Kalorien sie sich gebildet haben - Botenstoffe und andere Substanzen aus, die auf Dauer Blutgefäße schädigen und so zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen können.
Gleichzeitig führt auch ein kurzfristig erhöhter Blutzuckerspiegel, wie er ganz natürlich etwa nach dem Verzehr von Süßigkeiten auftritt, zu oxidativem Stress. Das könnte auch ganz ohne Gewichtszunahme Blutgefäße in Mitleidenschaft ziehen und zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.
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Was die Wissenschaft (noch) nicht über Zucker weiß

Diese und mehr Mechanismen sind nach aktuellem Wissensstand plausibel. Wie groß aber jeweils ihr Beitrag zur tatsächlichen Krankheitsentstehung ist, lässt sich heute nicht eindeutig beantworten. Und daran liegt es, dass auch von Forschenden unterschiedlich eingeschätzt wird, ob Zucker immer ungesund ist oder erst dann, wenn er zu einem Kalorienüberschuss beiträgt.
Was heißt das jetzt für meinen Plan, mich gesünder zu ernähren? Ich will natürlich nicht alles auf eine Karte setzen und eine Maßnahme ergreifen, die nur dann funktioniert, wenn eine der vielen wissenschaftlichen Sichtweisen sich als Volltreffer erweisen sollte. In diese Richtung gehen diverse "Zucker-Hacks", die einzig darauf abzielen, kurzfristig erhöhte Blutzuckerspiegel zu vermeiden.
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Fakten, die wir über Zucker wissen

Wünschenswert wäre eine Maßnahme, die einen geringen Aufwand bedeutet und mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit etwas bringt. Glücklicherweise gibt es die. Denn einige Fakten über Zucker wissen wir sicher:
  1. Zucker fördert die Gesundheit nicht.
  2. Ein hoher Anteil von Zucker in der Ernährung führt zu einem Kalorienüberschuss. Besonders deutlich zeigt sich das beim Konsum zuckerhaltiger Getränke wie Limonaden und Colas.
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Wenn Zucker, dann bewusst

Für die Praxis ist es kaum relevant, ob der Zucker meiner Gesundheit direkt schadet oder erst über den Umweg des Kalorienüberschusses. Daher überrascht es nicht, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO klar empfiehlt, den Zuckerkonsum stark einzuschränken - nicht mehr als 50 Gramm pro Tag für einen durchschnittlichen Erwachsenen.
Im Vergleich zu pauschalen Apellen wie "so wenig wie möglich" bietet diese Richtlinie einen konkreten Orientierungsrahmen. Wie ein tägliches Budget, welches in meinem Fall nicht für einen Snack oder ein Getränk zwischendurch verschwendet, sondern für einen bewussten Genussmoment aufgespart wird.

... hat in Neurowissenschaften promoviert und zur Frage geforscht, warum wir schlafen. Heute arbeitet er als Wissenschaftsjournalist für MAITHINK X. Er fragt sich oft, woher wir eigentlich wissen, was wir wissen und wie sicher wir uns da sein können.

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:Früchtemüsli: Zuckerbombe zum Frühstück

Viele betrachten Müsli als einen gesunden Start in den Tag. In den Früchtemüslis steckt jedoch sehr viel Zucker. Zudem hat Öko-Test in einigen Produkten Pestizide gefunden.
von Florence-Anne Kälble
Auf einem Holzlöffel ist Früchtemüsli zu sehen.
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