Milliardenerfolg aus China: Was macht Temu so günstig?
Online-Angriff aus China:Milliardenerfolg: Was macht Temu so günstig?
von Peter Böhmer
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Lilli war klar, an Karneval geht sie als Barbie. Ein pinkes Shirt hatte sie, den Rock bestellte sie für nur 7,49 Euro bei Temu. Was aber macht die umstrittene Plattform so billig?
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Billig ist alles bei Temu und darum ist dieses Online-Kaufhaus so erfolgreich. Die Preise wirken wie aus einer anderen Konsumwelt: 1,38 Euro, 6,07 Euro oder 3,57 Euro für einen Markenrasiererkopf oder auch nur 68 Cent für 1.000 bunte Haargummis. Es gibt Drohnen, Fensterputzequipment, LED-Leuchtsterne und natürlich Kleidung und Schuhe - und alles unschlagbar günstig.
Und das ist Strategie, sagt Christian Rusche vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln:
Rusche weiter: "Deswegen punkten sie am Anfang, wollen Nutzer gewinnen und später holen sie das dann über höhere Preise, über höhere Gebühren wieder rein."
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15 Millionen Besucher pro Monat
Temu ist eine Tochterfirma des Digitalriesen PDD aus Shanghai. Erst seit knapp zwei Jahren ist Temu aktiv, mit Riesenerfolg: Mittlerweile liegt der Bruttowarenumsatz, also der Gesamtwert der verkauften Waren, bei über einer Milliarde US-Dollar - pro Monat.
In Deutschland hat die Plattform 15 Millionen Besucher pro Monat - das ist bereits Platz vier hinter Amazon, Ebay und Otto - aber vor Kaufland, Mediamarkt oder Tchibo. "Temu ist mittlerweile, wenn man die Muttergesellschaft PDD hinzuzählt, größer als Amazon. Sie ist sehr viel schneller gewachsen und hat das Potenzial, Amazon-Killer zu werden", sagt Gerrit Heinemann, Handelsexperte der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach.
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Vertrieb läuft über Marktplatzpartner
Temu hat dabei ein ganz neues Logistiksystem - nämlich: gar keins. "Temu delegiert alles, was mit dem Produkt und der Logistik zu tun hat, an ihre Marktplatzpartner, und vermittelt lediglich das Geschäft und vermarktet auch die Produkte." Temu ist also nur eine Art Makler, und damit billiger als die Konkurrenz.
Nachhaltig ist das Konzept ganz sicher nicht, denn die hunderttausenden Pakete, die jeden Tag aus China nach Europa kommen, werden per Flieger transportiert. Martin Franz ist Wirtschaftsgeograph an der Universität Osnabrück, er beschäftigt sich mit den räumlichen Beziehungen zwischen Unternehmen und Ländern, also auch dem Transport:
"Wenn wir es vergleichen mit dem Versand, wie er normalerweise stattfindet, dass eben Waren über Container erstmal nach Europa kommen und hier dann eben über LKW verbreitet werden, kann man davon ausgehen, dass wir einen etwa 50-mal so hohen CO2-Ausstoß haben, wenn die Waren per Flugzeug nach Europa kommen", sagt Franz.
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Temu profitiert von alter Vereinbarung
Und auch bei der Qualität der Waren machen viele Experten große Fragezeichen. Aber die schiere Masse der Pakete macht es den Ländern praktisch unmöglich, die Waren adäquat zu testen.
Die Chinesen profitieren zudem von einer alten Vereinabrung zwischen den Ländern des 1874 gegründeten "Weltpostvereins": Die Postunternehmen der Mitgliedsländer regeln darin die unterschiedlichen Beziehungen. China gilt dort immer noch als Entwicklungsland und zahlt damit immer noch verbilligte Portosätze.
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Wie Temu Zollgebühren spart
Unternehmen wie Temu wird zudem vorgeworfen, auch beim Thema Zoll sehr kreativ vorzugehen: In der EU müssen Waren erst ab einem Wert von 150 Euro versteuert werden. "Es ist so, dass die Pakete eben in dieser schieren Zahl vom Zoll gar nicht ausreichend kontrolliert werden können, man aber feststellt, dass eben immer wieder Waren, die einen höheren Wert haben, aufgeteilt werden, auf mehrere Pakete, zum Beispiel Fahrräder", sagt Franz.
Wobei Temu abstreite, dass diese Aufteilung stattfindet, um Zollgebühren zu sparen: "Da wird gesagt, es hätte einfach logistische Gründe, dass so ein Fahrrad zum Beispiel auf mehrere Pakete aufgeteilt wird.", sagt Franz. Für den Einzelhandel ist das Billigkonzept jedenfalls eine ernste Bedrohung.
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Rücksendung lohnt sich für Temu oft nicht
Und Lilli? Die hat ihren pinken Rock wieder zurückschicken wollen, er war ihr schlicht zu kurz. Die Online-Bearbeitung der Retoure ging auch schnell vonstatten. "Aber dann haben die mir per Mail geschrieben, ich könnte den Rock behalten, und würde meine 7,49 Euro trotzdem erstattet bekommen." Offenbar war die Rückabwicklung für Temu teurer als der Warenwert des Rocks.
Peter Böhmer ist Reporter im ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.
Es gibt eine neue Billig-App aus China, bei der man sich beim Shoppen angeblich fühlt wie ein Milliardär. Sie ist sehr erfolgreich. Kritik gibt es jede Menge.