Vorstoß aus der CDU:Wird jetzt an der "Rente mit 63" gerüttelt?
von Jan Schneider
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Jens Spahn schlägt im Kampf gegen den Fachkräftemangel das Ende der "Rente mit 63" vor. Er bezieht sich dabei auf eine aktuelle Studie - lässt aber einige Faktoren außer Acht.
Um nach dem Berufsleben noch fit durchstarten zu können, nutzen einige Menschen die Möglichkeit, schon früher in Rente zu gehen.
Quelle: dpa
CDU-Politiker Jens Spahn hat das Pfingstwochenende genutzt, um die Diskussion über die Probleme des Rentensystems in Deutschland neu zu entfachen. Er fordert das Ende der "Rente mit 63", am besten sofort. Diese würde Wohlstand kosten, künftige Generationen belasten und "die falschen Anreize" setzen, so der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag.
Der Gegenwind ließ nicht lange auf sich warten: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer kritisierte den Vorschlag als "ungerecht und rücksichtslos".
Dem Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, fehlte in dem Vorstoß der Respekt für die Lebensleistung der Rentenanwärter:
Wie funktioniert die "Rente mit 63"?
Die aktuelle Regelung zur "Rente mit 63" war 2014 von der damaligen Bundesregierung aus SPD und Union eingeführt worden und zielt auf "besonders langjährig Versicherte", die mindestens 45 Jahre Beiträge eingezahlt haben. Diese können, sofern sie vor 1953 geboren wurden - ohne Abschläge mit 63 in Rente gehen.
Für Jüngere, die bis 1963 geboren wurden, steigt die Altersgrenze dafür schrittweise. Vom Geburtsjahrgang 1964 an liegt sie dann wieder bei 65 Jahren, wie es in generellen Informationen der Deutschen Rentenversicherung heißt.
Die Voraussetzungen für die einzelnen Rentenarten im Detail:
... können beantragt werden, wenn die jeweils gültige Altersgrenze erreicht worden ist und die Mindestversicherungszeit von fünf Jahren erfüllt ist. Die Regelaltersgrenze steigt seit 2012 schrittweise auf 67 Jahre: Für den Geburtsjahrgang 1947 (also im Jahr 2012) liegt die Altersgrenze bei 65 Jahren und einem Monat, für jeden weiteren Jahrgang bis zum Geburtsjahr 1958 kommt ein Monat dazu. Für spätere Jahrgänge steigt das Renteneintrittsalter um jeweils zwei Monate. Ab Jahrgang 1964 (bzw. ab 2031) gilt die Altersgrenze von 67 Jahren.
... werden geleistet, wenn Versicherte das 63. Lebensjahr vollendet und eine 35 Jahren in die Rentenkasse eingezahl haben. Sie können ab Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werden; bei einem vorzeitigen Renteneintritt fallen jedoch Abschläge an. Die Zahl der Abschlagsmonate richtet sich nach der jeweiligen Höhe der Regelaltersgrenze bzw. nach dem Geburtsjahrgang. Da die Regelaltersgrenze angehoben wird, erhöhen sich die Abschläge auf bis zu 14,4 %. Die ersten Versicherten, für die der Rentenabschlag von bisher maximal 7,2 Prozent schrittweise steigt, sind im Jahr 1949 geboren.
... sind 2012 eingeführt worden. Sie können mit Vollendung des 65. Lebensjahres ohne Abschläge in Anspruch genommen werden. Erforderlich sind hier 45 Pflichtbeitragsjahre. Dazu zählen vor allem auch Pflichtbeiträge aus Kindererziehung, nicht erwerbsmäßiger Pflege, Krankengeldbezug sowie Wehr- und Zivildienst. Nicht berücksichtigt werden Pflichtbeiträge, die wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Arbeitslosenhilfe gezahlt wurden.
... werden Versicherten gewährt, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, als schwerbehindert anerkannt sind und eine Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Renten, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres bezogen werden, werden durch Abschläge gemindert. Sie betragen 0,3 Prozent pro Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme. Im Gefolge der Anhebung der Regelaltersgrenze wird auch die Altersgrenze für eine abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 2012 stufenweise vom 63. auf das 65. Lebensjahr angehoben. In der Endstufe dieses Prozesses, die im Jahr 2024 erreicht ist, müssen dann Abschläge hingenommen werden, wenn die Rente vor dem 65. Lebensjahr bezogen wird. Die maximale Abschlagshöhe bleibt aber auf drei Jahre bzw. 10,8 Prozent begrenzt.
Quelle: www.sozialpolitik-aktuell.de
Quelle: www.sozialpolitik-aktuell.de
Wie viele Menschen gehen so früher in Rente?
Bei der Einführung der "Rente mit 63" hatte die Regierung mit rund 200.000 Antragsteller pro Jahr für diese ungekürzte Rente gerechnet. Es waren dann aber jährlich Zehntausende mehr als vorhergesehen.
Im Jahr 2021 haben nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung rund 858.000 Versicherte erstmalig eine Altersrente bezogen. Deutlich mehr als die Hälfte der Versicherten (58,1 Prozent) haben eine der drei möglichen vorgezogenen Rentenarten in Anspruch genommen. 268.957 Menschen (31,3 Prozent) sind als "besonders lange Versicherte" ohne Abzüge früher in Rente gegangen.
Insgesamt sind diesen Weg in die Altersversorgung bereits rund zwei Millionen Personen seit 2014 gegangen.
Hat die "Rente mit 63" das Eintrittsalter verändert?
Das Durchschnittsalter, mit dem Menschen in Deutschland in Rente gehen, hat sich dadurch aber nicht abgesenkt. Im Jahr 2021 lag es bei etwa 64,1 Jahren - jetzt ist das durchschnittliche Renteneintrittsalter auf 64,4 Jahre gestiegen. Damit arbeiten die Deutschen derzeit rund zwei Jahre länger als vor zwanzig Jahren.
Ähnlich lange beziehungsweise sogar etwas länger als heutzutage arbeiteten die Bundesbürger in den 1960er Jahren - im Jahr 1965 belief sich das Zugangsalter in eine Altersrente der gesetzlichen Altersvorsorge in Deutschland auf ca. 64,8 Jahre.
Durchschnittliches Zugangsalter in eine Altersrente
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Woher kommt Spahns Vorschlag?
Spahn begründete seinen Vorstoß mit dem Fachkräftemangel sowie hohen Kosten für die Gesellschaft. Er bezieht sich damit allem Anschein nach auf eine neue Studie des Forschungsinstituts Prognos im Auftrag der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).
Die Studie besagt, dass Beitragszahler wegen der Möglichkeit der abschlagsfreien Frühverrentung bis 2035 fast 140 Milliarden Euro zusätzlich in die Rentenkasse einzahlen müssten. Außerdem wäre die Fachkräftelücke laut den Studienautoren ohne die Möglichkeit der Rente mit 63 etwa zehn bis 20 Prozent kleiner und der Rentenbeitrag könnte niedriger ausfallen.
Was Jens Spahn in seinem Vorstoß nicht erwähnt: Das Szenario zur sofortigen Abschaffung der "Rente mit 63" wird in der Studie "unabhängig von der politischen Umsetzbarkeit" durchgerechnet.
Den Studienautoren scheint also bewusst zu sein, dass eine Änderungen des Rentensystems nicht von jetzt auf gleich passieren wird. Als "realistischere Option" sieht die Studie eine Rente mit 67 - ohne Ausnahmen ab 2031.
Was sagen andere Renten-Experten?
Johannes Geyer ist Renten-Experte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er sieht den in der Studie skizzierten Effekt der "Rente mit 63" auf den Fachkräftemangel und die Finanzierung der Rente überspitzt dargestellt.
Seit dem 1. Januar 2023 gibt es außerdem bei vorgezogenen Altersrenten keine Hinzuverdienstgrenzen mehr. Menschen, die in Rente gehen, können also trotz Rentenbezug weiter arbeiten und zahlen damit sogar weiter in die Rentenkasse ein. Unternehmen haben also die Möglichkeit, Menschen im Arbeitsleben zu halten.
Auch bei der finanziellen Belastung des Rentensystems sei die "Rente mit 63" zwar ein Faktor, aber keinesfalls der größte. Die Frühverrentung ohne Abschläge kostet pro Jahr etwas zwischen drei bis vier Milliarden Euro - ein Bruchteil dessen, was die Rentenversicherung ausgibt: 2021 waren es insgesamt 341 Milliarden Euro.
Wen würde eine Änderung treffen?
Als Argument für die "Rente mit 63" wird oft angeführt, dass Menschen in bestimmten Berufsgruppen gar nicht länger arbeiten könnten, weil die Arbeit besonders hart und anstrengend sei. Darauf nahm auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Bundestag, Katja Mast, heute Bezug:
Was dabei jedoch vernachlässigt wird, ist, dass die wenigsten Menschen in diesen Berufsgruppen sich für die abschlagsfreie Rente nach 45 Jahren Arbeit qualifizieren:
Viele gingen früher mit einer Erwerbsminderungsrente oder sogar als Schwerbehinderte in Rente.
Wie steht es allgemein um unsere Renten?
Der finanzielle Ausblick für die Rente hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, erklärt Geyer. Gründe dafür sind zum einen die gestiegene Zuwanderung, die Situation am Arbeitsmarkt mit vielen sozialpflichtig Beschäftigten und auch, dass die Lebenserwartung der Menschen nicht mehr so zunimmt, wie in der Vergangenheit erwartet.
Aber Geyer gibt auch zu bedenken, dass die Rente für viele Menschen nicht reichen wird, um im Alter ihren bisherigen Lebensstandard zu halten. Um das zu schaffen, müsse privat oder vom Arbeitgeber zusätzlich vorgesorgt werden.
Jede dritte Frau, die zurzeit in Vollzeit arbeitet, erwartet eine zu geringe Rente. Auch Theres Nieder, 82 Jahre alt, lebt in Altersarmut. 11.02.2023 | 1:41 min