Interview
Vermögensmanager im Interview:Angst vor Deindustrialisierung - zu Recht?
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Den Standort Deutschland sehen momentan viele in Gefahr. Aber "der kranke Mann Europas steht wieder auf", meint Vermögensmanager Georg von Wallwitz im Interview mit ZDFheute.
Wie sieht die Zukunft der deutschen Industrie aus?
Quelle: AP/Michael Probst
ZDFheute: Sie haben eine internationale Sicht auf den Standort Deutschland, denn rund drei Viertel Ihrer Investments sind global ausgerichtet, zudem betreuen sie viele Investoren aus dem Ausland. Wie betrachten Sie aus diesem Blickwinkel die momentane Debatte?
Georg von Wallwitz: Die Ängste vor Wohlstandsverlust sind berechtigt, dennoch gibt es so etwas wie "German Angst", eine typisch deutsche Panik.
Quelle: Eyb & Wallwitz
... ist Mathematiker und promovierter Philosoph. Seit rund 25 Jahren arbeitet er im Fondsmanagement, sein Unternehmen gehört zu den 15 größten bankenunabhängigen Vermögensverwaltern Deutschlands. Auch als Buchautor hat er sich einen Namen gemacht. Zuletzt erschien "Die große Inflation - Als Deutschland wirklich pleite war".
Zugegeben: Die Zeit der großen Würfe liegt mehr als 100 Jahre zurück, um 1900 kamen aus Deutschland viele Innovationen und Impulse für die Weltwirtschaft.
Das sieht man auch an der Börse: SAP ist mit 50 Jahren das jüngste Unternehmen im DAX, darüber lachen die Amerikaner. Aber die Dinosaurier leben noch, denn die Unternehmen zeigen eine hohe Anpassungsfähigkeit. Darin liegt eine große Stärke der deutschen Wirtschaft - und in einer gut ausgebildeten Bevölkerung, was in den modernen Wissensgesellschaften ein echtes Pfund ist.
Was tun gegen die Wirtschaftskrise? Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier rät zu mehr Mut und Experimenten:
ZDFheute: Wie bedrohlich ist denn für Sie das Gespenst der Deindustrialisierung?
Von Wallwitz: Die energieintensiven Betriebe werden mehr und mehr abwandern. Aber das ist nicht neu.
Keiner hätte damals gedacht, dass wir heute nahezu Vollbeschäftigung haben.
In Zukunft wird Deutschland vom Ausbau der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz stark profitieren. Weil wir im Kern eine wissensbasierte Ökonomie sind. Wir leben am Ende nicht so sehr von der tatsächlichen Produktion von Gütern, sondern eher von Forschung, Entwicklung, Design. Kurz: von guten Ideen. Und da kann KI enorm helfen.
ZDFheute: Aber Sie befürchten, dass in Deutschland zwar in Zukunft weiter Autos gebaut werden, aber die Wertschöpfung woanders stattfindet. Was meinen Sie damit?
Von Wallwitz: Wir werden vermutlich deshalb weiter in Deutschland Autos bauen, weil wir das so gut können.
Und die Software, die man dazu braucht, kommt bald aus den USA, wenn wir nicht aufpassen. Und dann werden die amerikanischen Firmen mit den Autos mehr Geld verdienen als die deutschen.
Nehmen wir als Beispiel das iPhone: Produziert wird es in China und Taiwan, aber den Profit machen die Amerikaner mit der Entwicklung der Software, dem Design, dem Marketing.
4-Tage-Woche - trotz Wirtschaftskrise und Fachkräftemangel? Darüber diskutieren Jana Schimke, Bundestagsabgeordnete der CDU und Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall.
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Sollten alle mehr arbeiten aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage? Pro und Kontra:
ZDFheute: Was heißt denn: "Wenn wir nicht aufpassen"?
Von Wallwitz: Ich hoffe, die "German Angst" löst uns aus unserer Behäbigkeit und treibt Reformen voran. Die Stärken des Landes sind ja da und werden sich halten.
ZDFheute: Was müsste denn dafür passieren?
Von Wallwitz: Der Datenschutz ist eine heilige Kuh in Deutschland, es ist an der Zeit, sie abzuspecken. Zudem müsste die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung schneller vorangehen.
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Und nicht zuletzt gibt es zu viele Anreize, weniger zu arbeiten: Ich denke da an die Rente mit 63 oder eine Steuerprogression, die einem die 4-Tage-Woche förmlich nahelegt.
In Nordamerika und Asien wird einfach mehr Wert auf Arbeit, Innovation und unternehmerische Freiheit gelegt, während hier der Hang zur Regulierung, Bürokratisierung und staatlicher Bevormundung kaum abnimmt.
Das Interview führte Eva Schmidt.
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