Kein Alarm, aber Wachsamkeit:Wie stabil ist unser Finanzsystem?
von Gregor Lischka
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Nach den Tumulten um die US-Regionalbanken und die Credit Suisse im Frühjahr hat sich die allgemeine Sorge um die Finanzstabilität wieder gelegt - zu Recht?
Kräftig gestiegene Zinsen, mit denen die Europäische Zentralbank (EZB) die hohe Inflation bekämpfen will, machen der Branche zu schaffen.
Quelle: dpa
Es war ein turbulentes Banken-Frühjahr: Die Silicon-Valley Bank kollabiert, diverse US-Regionalbanken taumeln, die Credit Suisse schlittert in die Krise und wird von der Konkurrenz geschluckt. Vor rund einem halben Jahr waren die Sorgen in der Öffentlichkeit um die Stabilität des Finanzsystems noch groß.
Mitte dieser Woche zog die Europäische Zentralbank Bilanz: "Mit ein bisschen Abstand betrachtet, waren die Auswirkungen fast schon vernachlässigbar", so EZB-Vizepräsident Luis de Guindos anlässlich der Vorlage des halbjährlichen Finanzstabilitätsberichts der EZB.
Ausblick für den europäischen Finanzsektor
Heißt das, man muss sich also keine Sorgen um die Stabilität des Finanzsektors machen? Mitnichten. Der Ausblick für den europäischen Finanzsektor ist laut der EZB "fragil". Und auch Claudia Buch, Vizepräsidentin der Bundesbank, hatte eine ähnliche Botschaft einen Tag später im Gepäck, als die Bundesbank ihren jährlichen Finanzstabilitätsbericht vorstellte:
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Geopolitik und Wirtschaftsflaute bedrohen Bankensektor
Denn, da sind sich EZB und Bundesbank einig: Die geopolitischen Rahmenbedingungen sind höchst unsicher, die Realwirtschaft ist ins Stottern geraten.
Gleichzeitig steigen durch die Zinswende der EZB die Finanzierungskosten für Unternehmen. Das Problem: Wenn ein Unternehmen wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage insolvent geht, dann kann es auch seine Schulden bei der Bank nicht mehr bezahlen.
Zwar profitieren viele Banken aktuell noch von den gestiegenen Zinsen und verzeichnen höhere Gewinne. Mittelfristig könnten aber auch sie durch die Zinswende der EZB unter Druck geraten. Denn viele Bankkunden bestehen nun selbst auf höhere Zinsen, schichten ihre Einlagen entsprechend um. "Das wird künftig die Profitabilität der Banken und der Institute generell belasten", so Claudia Buch von der Bundesbank.
"Stille Lasten" bergen potenzielle Verluste
Auch tragen viele Banken und mittlerweile sogar zwei Drittel der Sparkassen und Genossenschaftsbanken sogenannte "stille Lasten" mit sich herum. Heißt: Die Anleihen und Kredite, die sie vor ein paar Jahren zu sehr niedrigen Zinsen gekauft oder ausgegeben haben, sind wegen der mittlerweile gestiegenen Zinsen deutlich im Wert gesunken. Sollte eine Bank in eine Schieflage geraten und müsste diese Wertpapiere unter Druck verkaufen, würden sie zum Teil schmerzhafte finanzielle Verluste erleiden.
Auch die Finanzgeschäfte bei Gewerbeimmobilien bereiten Bundesbank und EZB noch Sorgen: Weil Menschen für die Arbeit öfter zuhause bleiben und der Online-Handel zunimmt, verlieren Büro- und Einzelhandelsflächen sowie die damit verbundenen Kredite an Wert. Gleichzeitig ist es durch die gestiegenen Zinsen für Unternehmen teurer geworden, diese Kredite weiter bei den Banken zu bedienen.
Sollte es zu Ausfällen bei den Gewerbeimmobilienkrediten kommen, warnt auch Michael Grote, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management, mit Blick auf die starke Verzweigung innerhalb der Branche vor einem Dominoeffekt:
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Risiken bleiben beherrschbar - auch für Bankkunden
Alles in allem sind die vorhandenen Risiken laut EZB und Bundesbank aber beherrschbar. Das deutsche Finanzsystem hat aus Sicht der Bundesbank den starken Zinsanstieg im Euroraum bislang gut verdaut. Auch die Banken des Euroraums haben sich laut der EZB seit der Pandemie als schockresistent erwiesen.
Der durchschnittliche Bankkunde muss sich in aller Regel ohnehin keine Sorgen um die eigenen Einlagen bei der Bank machen - selbst wenn die mal pleitegehen sollte. "Solange Sparerinnen und Sparer den Anlagebetrag auf 100.000 Euro je Institut begrenzen und ein Institut mit gesetzlicher deutscher Einlagensicherung auswählen, müssen sie sich keine Gedanken um das Ausfallrisiko machen", erklärt Niels Nauhauser, Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Und auch Michael Grote von der Frankfurt School of Finance and Management glaubt nicht, dass man akut Angst vor einer neuen Finanzkrise haben müsse: "Wir haben keinen Alarm." Ein bisschen Alarmbereitschaft, so Grote, sei aber dennoch geboten.