Krisenherd in Mittelamerika:Nicaraguas "esoterische" Diktatur
von Tobias Käufer
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Einst war die links-sandinistische Revolution in Nicaragua Hoffnungsträger einer ganzen Region. Heute ist das mittelamerikanische Land zu einer rücksichtslosen Autokratie geworden.
Der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega und seine Frau und Vizepräsidentin, Rosario Murill.
Quelle: AFP
Tausende verbotene Nichtregierungsorganisationen, inhaftierte katholische Bischöfe und Priester sowie Hunderttausende auf der Flucht: Nicaragua ist zu einem Krisenherd in Mittelamerika geworden. Dabei war das einst von der aus den USA unterstützten brutalen rechten Somosa-Diktatur befreite Land (1979) zu einem Hoffnungsträger für eine ganze Region geworden.
Anfangs flog den siegreichen linkssandinistischen Revolutionären die Sympathie nicht nur aus Lateinamerika, sondern auch aus Europa zu. Befreiungstheologen wie der inzwischen verstorbene, auch in Deutschland enorm populäre Dichter und Priester Ernesto Cardenal trugen zur politischen Anerkennung bei und wurden sogar Minister, ehe sie später zu scharfen Kritikern der Sandinisten wurden.
Demonstranten in Nicaragua forderten 2018 das Ende der Präsidentschaft Ortegas.
Quelle: Reuters
Nicaragua: Zurück in der Diktatur
Gut 45 Jahre später ist Nicaragua erneut eine Diktatur, diesmal sind es die damaligen sandinistischen Befreier "Comandante" Daniel Ortega und seine Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo, die das Land mit brutaler Gewalt und Repression regieren.
Endgültig zur Autokratie wurde Nicaragua, als 2018 junge Studentinnen und Studenten auf die Straße gingen und gegen eine Brandrodung in einem Naturschutzgebiet demonstrierten. Der Protest weitete sich aus, Ortega und Murillo ließen auf die Demonstranten schießen. Mindestens 300 Menschen wurden dabei getötet, stellte die Interamerikanische Menschenrechtskommission CIDH fest.
Bei einer Großdemonstration in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua gingen 2018 hunderttausende Menschen gegen die Regierung auf die Straße.31.05.2018 | 0:22 min
Vor den Präsidentschaftswahlen wurden alle Oppositionskandidaten verhaftet. Inzwischen wurde ihnen die Staatsbürgerschaft aberkannt und sie ins Exil zwangsausgebürgert. Bei den Kommunalwahlen gewannen in allen Städten und Gemeinden des Landes ausschließlich Kandidaten des sandinistischen Lagers.
Mächtiger Präsidenten-Clan durch religiösen Mystizismus
Tragende Säule innerhalb des Machtapparates ist Vizepräsidentin Rosario Murillo, die gemeinsam mit ihrem Mann die sieben Kinder in Schlüsselpositionen von Medien, Wirtschaft und Politik hievte.
Der nicaraguanische Buchautor Carlos Salinas Maldonado, der eine literarische Biografie über Murillo verfasste ("Ich bin die Frau des Kommandanten"), beschreibt Murillo als eine Person, die religiöse Elemente mit eigenen Interessen vermische:
Katholische Kirche: Dorn im Auge der mächtigen Regierung
Die katholische Kirche stellte sich damals auf die Seite der jungen Waldschützer und Demonstranten wird seitdem von der Regierung massiv angegangen. Der in die USA ausgebürgerte ehemalige Präsidentschaftskandidat Felix Maradiaga sagte jüngst der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA):
Maradiaga weiter: "Denn sie ist aufgrund ihres moralischen Gewichts in Nicaragua ein Hindernis für die Pläne der Familie Ortega-Murillo zur Festigung einer dynastischen Diktatur."
Auch Argentinien steht vor einem Kurswechsel: Der Rechtspopulist Javier Milei gewinnt die Wahl um das Präsidentenamt deutlich - und fordert einen radikalen Umbau des Staates. 20.11.2023 | 2:53 min
Diktatur mit esoterischen Zügen?
Zahlreiche lateinamerikanische Medien bezeichnen die Autokratie in Nicaragua inzwischen als eine Diktatur mit esoterischen Zügen. Das regierungskritische Portal "Despacho505" glaubt gar, Ortega und Murillo wollten in Nicaragua eine esoterische Kirche errichten:
"Sie nehmen Wurzeln aus dem indigenen Glauben und vermischen sie mit der katholischen Religion, um diese Religion selbst anführen zu können", schreibt das Portal weiter.
Die Regierung ließ vor einigen Jahren bunte Lebensbäume in der Hauptstadt Managua aufstellen, die aber während der Proteste Ziel von Attacken wurden. Inzwischen hat das Land die meisten Kontakte zu westlichen Nationen abgebrochen, die Päpstliche Nuntiatur in Managua geschlossen. Wichtigste Verbündete der Regierung sind China und Russland.