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Interview
Missbrauchsvorwürfe im Turnen:Tabea Alt: "Es fängt mit der Demütigung an"
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Am Stützpunkt Stuttgart soll Erfolg höher stehen als die Gesundheit der Turnerinnen: Das werfen Athletinnen dem Deutschen Turnerbund vor. Tabea Alt brachte die Debatte in Gang.
Körperlicher und mentaler Missbrauch, das soll den Alltag der Leistungsturnerinnen im Kunst-Turn-Forum Stuttgart geprägt haben - für Betroffene wie Tabea Alt ein systemisches Problem.08.01.2025 | 2:33 min
Tabea Alt (24) war Leistungsturnerin. Seit ihrem achten Lebensjahr trainierte sie im Kunst-Turn-Forum Stuttgart. Sie war Mitglied der Nationalmannschaft, fuhr zu Olympia nach Rio, holte bei den Weltmeisterschaften 2017 am Schwebebalken Bronze und gewann die Gesamt-Weltcup-Serie. Für sie sind Träume in Erfüllung gegangen - doch der Preis war hoch.
ZDFheute: Wie blicken Sie heute auf Ihre Karriere zurück?
Tabea Alt: Mit wahnsinnig viel Stolz und tiefer Dankbarkeit, dass ich all diese Erfolge und wunderschönen Momente erleben durfte. Gleichzeitig trage ich davon körperliche und seelische Narben. Und das wiegt auch kein Erfolg so wirklich auf.
ZDFheute: Sie haben Ende Dezember auf Instagram Vorwürfe gegen den Schwäbischen und den Deutschen Turnerbund erhoben. Sie schreiben unter anderem von Essstörungen, Straftraining, Schmerzmittel, Drohungen und Demütigungen. Was werfen Sie den Verantwortlichen vor?
Alt:
Es wurde sich über meine Gesundheit und über meine Äußerungen, dass ich verletzt bin, dass ich Schmerzen habe, hinweggesetzt. Das wurde einfach nicht gehört. Ich musste bitter dafür bezahlen und meine Karriere früh beenden.
Instagram-Posting von Tabea Alt
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ZDFheute: Was ist Ihnen widerfahren?
Alt: Es ist sehr schwer, das in Worte zu fassen und es Menschen verständlich zu machen, die nicht aus dem Leistungssport kommen, die nicht in dieses System integriert sind. Aber es fängt im Prinzip mit der Demütigung an, dass einem nicht geglaubt wird.
ZDFheute: Können Sie ein Beispiel nennen?
Alt: Ich hatte 2014 monatelang Probleme und Schmerzen mit dem Ellenbogen. Das war bekannt. Eines Tages habe ich mich im Training verletzt. Es hat geknackt. Daraufhin hieß es, ich sei schmerzsensibel, als ob meine persönliche Wahrnehmung nicht stimmen würde. Ich habe noch zwei Tage mit dem Ellenbogen geturnt.
Später, als mich ein Physiotherapeut zum Arzt schickte, stellte sich heraus, dass der Radiuskopf gebrochen war. Das hat natürlich zu Gesprächen geführt, auch meine Eltern haben mich unterstützt. Meine Hoffnung war, dass ich danach anders wahrgenommen werde im Training. Aber das war nicht der Fall.
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ZDFheute: Wie kann es zu solchen Situationen kommen?
Alt: Ich hatte den Traum und das Talent. Ich war hoch motiviert und hatte wahnsinnig viel Spaß am Turnen, an der Bewegung und daran mich auszuprobieren, wie weit man gehen kann.
Man macht mit, trotz Drohungen zu Lehrgängen nicht eingeladen zu werden, weil man weint oder verletzt ist.
Aber wir können nicht Mittel zum Zweck werden, dass man sagt: Ja, das Mädchen will ja auch und kann auch. Das ist nicht die Freigabe dafür, sie auszunutzen und damit über die Grenzen hinauszugehen. Es ist ein ganz schmale Grat. Und ich verstehe schon, dass es auch schwer ist als Trainer oder als Verband diese Gratwanderung zu handeln. Fakt ist: Man ist auch dafür verantwortlich, die Kinder zu schützen.
ZDFheute: Warum äußern Sie sich dazu jetzt öffentlich?
Alt: Ich hatte versucht intern Wege einzuschlagen. Nach meinem Karriereende im Jahr 2021 habe ich einen Brief an den Verband verfasst, in dem ich meine Geschichte, die Missstände und Lösungsansätze geschildert habe.
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Um die Weihnachtszeit habe ich mit Erschrecken festgestellt, dass die Athletinnen im Kunst-Turn-Forum Stuttgart immer noch solche Erfahrungen machen und mit solchen Narben ihre Karriere beenden. Das hat mich enttäuscht, denn mein Brief hätte ein Ansatz sein können, dass sich solche Geschichten nicht wiederholen.
Zu den Vorwürfen äußern sich STB und DTB in einem gemeinsamen Statement. Sie zeigen sich betroffen und versichern, "dass sämtliche Beschwerden und Hinweise ernstgenommen und ihnen nachgegangen wurden und dies auch in Zukunft geschehen wird." Zwei Übungsleiter wurden vorerst freigestellt.
ZDFheute: Was ist Ihr Ziel?
Alt: Die ganze Kultur muss sich ändern. Uns geht es darum, den Sport und die nachkommenden Talente zu schützen. Sie sollen nicht mit Angst und mit Tränen im Training sein müssen.
Wir müssen eine Veränderung erreichen und diese muss im gesamten System stattfinden.
Das Interview führte Luisa Houben, ZDF-Reporterin im Landesstudio Baden-Württemberg.
Quelle: Reuters
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