Leipzig zu Gast in Belgrad: Bewährungsprobe im Hexenkessel

Es ist jetzt 50 Jahre her, dass Dragoslav Stepanovic zu Roter Stern Belgrad wechselte. Von 1973 bis 1976 war "Stepi", der als Coach von Eintracht Frankfurt hierzulande Kult wurde, als einer der weltbesten Außenverteidiger Teil der Mannschaft von Roter Stern.

Der Trainerlegende ist noch heute sehr lebhaft präsent, welchen Einfluss die Fans im Stadion Rajko Mitic haben, das nach südamerikanischem Vorbild den Beinamen "Marakana" trägt.

Den Spitznamen soll das Stadion Pelé zu verdanken haben. Der dreimalige Weltmeister gastierte hier 1969 mit dem FC Santos zu einem Freundschaftsspiel und bezeichnete Roter Stern als europäische Brasilianer.

Vor dem Rückspiel von Rasenballsport Leipzig in der serbischen Hauptstadt an diesem Dienstag in der Champions League (21 Uhr) sagt Stepanovic noch immer euphorisiert:

In dem riesigen Kessel, in dem Stepanovic einst noch vor fast 100.000 Anhängern spielte, tritt Leipzig nicht nur gegen den serbischen Serienmeister an, sondern trifft auch auf eine Fanmacht, die in vielerlei Hinsicht speziell ist in Europa.

"Diese Fans singen 90 Minuten. Sie unterstützen den eigenen Verein, bis es nimmer geht. Das ist schön, wenn man weiß, dass sie hinter dir stehen, auch wenn du keine Kraft mehr hast. Sie sind stark und zeigen dir das - das hilft enorm", erinnert sich der 75-Jährige im Gespräch mit dem ZDF.

Doch diese überbordende Euphorie hat auch eine dunkle Seite. Erst vergangene Woche hätten die Hardcore-Fans der tonangebenden Ultra-Gruppierung "Delije" die Spieler und Trainer Barak Bakhar zur Rede gestellt, weil der Ligakrösus derzeit nur Zweiter hinter Partizan ist, berichtet Stepanovic: "Sie haben sehr deutlich gesagt: 'Wer Roter Stern trainiert, darf nicht Zweiter, sondern muss Meister werden!' Sie waren sehr lange in der Kabine. Das ist nicht gerade angenehm."

Und er spricht dabei aus eigener Erfahrung. Nach einem verlorenen Heimspiel im Europapokal hatten Stepanovic & Co. fünf Stunden in der Umkleide ausharren müssen, "weil sie oben auf uns gewartet haben. Das ist nicht leicht."

Der österreichische Sozialwissenschaftler Dario Brentin von der Uni Graz, der sich schwerpunktmäßig mit der Verflechtung von Fußball und Politik auf dem Balkan beschäftigt, betont, dass der Einfluss der Fans in den Verein hinein "signifikant" sei.

"Ob es bis zur Mannschaftsaufstellung geht oder nicht ist eigentlich sekundär, aber wenn etwas auf der Agenda steht, dann wird das auch durchgesetzt", so Brentin.

Das Drohpotenzial sei im Vergleich zu westeuropäischen Fanszenen "deutlich größer". Der Experte sagt: "Ob Dortmunds Gelbe Wand oder die 'Delije' Druck machen - das sind natürlich zwei völlig unterschiedliche Bedrohungsszenarien."

Das hängt damit zusammen, dass es seit den 1990er Jahren ein Miteinander zwischen serbischem Sicherheitsapparat und teils kriminellem Fanmilieu gibt. Einst im Balkan-Krieg rekrutierten sich paramilitärische Verbände aus serbischen Hooligans.

Brentin beschreibt die Ambivalenz "zwischen einer tollen Pyro-Show auf der einen Seite, aber zugleich besteht auf der anderen Seite immer die Möglichkeit, dass sich hinter dem roten Schein der Bengalos eine extrem nationalistische Parole versteckt."

In dieser schwierigen Gemengelage trachtet Rasenballsport Leipzig nun nach drei Punkten, die wohl bereits das vorzeitige Erreichen der K.o.-Phase bedeuten würden. Diese Kulisse wird definitiv eine Bewährungsprobe vor allem für die jungen Spieler im Leipziger Kader.