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Mehr Vorfälle als vor Corona:Pyrotechnik: Der ritualisierte Regelbruch
von Ralf Lorenzen
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Trotz Kontrollen und Geldbußen: Es brennt mehr denn je in den Fankurven der Bundesligen. Das Bedürfnis nach Grenzüberschreitung scheint während der Pandemie gewachsen zu sein.
Fans von Eintracht Frankfurt zünden Pyrotechnik beim Pokalspiel in Stuttgart.
Quelle: dpa
Zu den vielen Weisheiten, die vom früheren Bundestrainer Sepp Herberger überliefert sind, zählt auch die folgende: Der Reiz des Fußballs liege vor allem darin, dass "niemand weiß, wie das Spiel ausgeht". Im Gegensatz zu dieser Ungewissheit ist das Verhalten der Fans erstaunlich berechenbar und ritualisiert. Jedes Wochenende gibt es in zahlreichen Stadien das gleiche Schauspiel zu sehen.
Pyrotechnik in nahezu jedem Stadion
In der Gästekurve ziehen Rauchschwaden hoch, meist in den Farben des Vereins, eine Stimme aus dem Off, meist vom Stadioncomputer, informiert in einem vorgefertigten Text darüber, dass dies verboten, gefährlich und zu unterlassen sei und droht mit Spielunterbrechung.
Während der Text wiederholt wird, die Fackeln langsam verglimmen und der Rauch abzieht, warten Spieler und Schiedsrichtergespann geduldig darauf, dass die Sicht auf dem Feld wieder frei wird und der Ball wieder rollen kann. Manchmal wiederholt sich das Zeremoniell mehrfach in einem Spiel.
Blockräumung im Weserstadion
Neu ist allerdings, dass auch die Heimfans vermehrt zündeln, was in der Ultra-Szene lange als Tabu galt. Vor zwei Wochen schienen sich im Bremer Weserstadion die Fans von Werder und Bayern München abgesprochen zu haben, wann ihre jeweilige Kurve für den Farbennebel zuständig ist.
Nicht zum Ritual gehörte auch, dass ein kompletter Block unterhalb des Gästeblocks vorübergehend geräumt werden musste, weil durch herunterfallendes Brennmaterial Verletzungsgefahr bestand.
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Willkommenskultur gegen Pyros
Werder will das Eintrittsgeld für die betroffenen Zuschauer erstatten und ließ beim letzten Heimspiel der Saison gegen den 1. FC Köln 252 gefährdete Plätze frei. Für die Zukunft sind weitere Sicherheitsmaßnahmen geplant - wie ein Spuckschutz aus feuerfestem Material unterhalb des Gästeblocks.
Außerdem baute der Klub vor dem Stadion eine "Gästefans-Versorgungsfläche" auf, "um unserer Willkommenskultur Rechnung zu tragen und positiv auf das Fanverhalten einzuwirken."
Wirkungslose Strafen
Gutes Zureden konnte allerdings genauso wenig wie die üblichen Kontrollen am Einlass das Einschmuggeln von Pyro-Material verhindern, das vor dem Anpfiff im Gästeblock angezündet wurde. Auch der Strafenkatalog des DFB besitzt keine abschreckende Wirkung.
Da sich die Zündler vor dem Abbrennen hinter ihren Blockfahnen vermummen, werden sie so gut wie nie identifiziert, die Strafe zahlt der Verein der jeweils fackelnden Fans.
Experte Winskowski: Strafen solidarisieren
"Die Strafen tun den Vereinen in den meisten Fällen nicht weh", sagt Philipp Winskowski von der Universität Rostock, der sich in seiner Doktorarbeit mit der Wirkung von Strafen auf Fußballfans beschäftigt hat.
Bei den Fans wirken die Strafen laut Winskowski "teilweise eher solidarisierend (…) gegen den Verband".
Mehr Vorfälle als vor Corona
Seit Wiedereröffnung der Stadien nach der Corona-Pandemie steigt der Einsatz von Pyrotechnik sogar. Im März dieses Jahres wurden die Vereine der drei Profiligen vom DFB laut "taz" zur Zahlung von knapp 440.000 Euro wegen Pyrovorfällen verurteilt, im März 2019 waren es noch knapp 150.000 Euro.
Es bestehe derzeit "ein großes Bedürfnis, Regeln zu brechen und über die Stränge zu schlagen", so Gabler bei "Spox".
Legaler Pyro-Test beim HSV
Trotz des offenkundigen Scheiterns von Sicherheitsmaßnahmen und Strafenkatalog hat der DFB schon vor Jahren den Dialog mit der Fanszene über die Möglichkeiten eines legalen und sicheren Einsatzes von Pyrotechnik abgebrochen.
Als ermutigendes Zeichen wurden 2020 beim Hamburger SV im ersten genehmigten Pyroeinsatz im deutschen Profifußball vor dem Spiel gegen den Karlsruher SC von Fans mehrerer HSV-Ultra-Gruppierungen zehn Rauchtöpfe kontrolliert abgebrannt.
Experte: Vereine akzeptieren Pyro
Bis dieses oder ein ähnliches Modell bundesweit in Serie geht, bleibt es beim ritualisierten Regelbruch. "Der Verein will die Stimmung und ein gutes Verhältnis zu seinen aktiven Fans erhalten", sagt Winskowski, "und akzeptiert die Pyrotechnik daher bis zu einem bestimmten Punkt und damit auch die Strafen."
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