Sportlerin Michajlova: "Antisemitismus hat viele Facetten"
Interview
Sportlerin Lisa Michajlova:"Antisemitismus kann viele Facetten haben"
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Tischtennisspielerin Lisa Michajlova hat die Terrorattacke der Hamas in Israel persönlich miterlebt. Zurück in Deutschland beobachtet sie, dass Antisemitismus allgegenwärtig ist.
Lisa Michajlova (Archiv).
Quelle: Imago
ZDFheute: Frau Michajlova, viele Jüdinnen und Juden vermissen hierzulande nach dem Massaker der Hamas die Empathie mit den Opfern. Wie haben Sie die Reaktionen erlebt?
Lisa Michajlova: Ich war am 7. Oktober in Israel vor Ort und habe die ersten fünf, sechs Tage in einem Überlebensmodus gelebt. Ich musste um mein eigenes Überleben und die Unversehrtheit meiner eigenen Person kämpfen und habe mich weniger damit auseinandergesetzt, was in Deutschland passiert. Als ich nach Deutschland gekommen bin, gab es keinen Raum die Trauer, aber auch die Wut zu zeigen.
Lisa Michajlova wurde 1998 als Tochter ukrainischer Kontingentsflüchtlinge in Gelsenkirchen geboren. Sie studiert in Bochum Mathematik und Cognitive Science und ist im Vorstand der Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) aktiv. Sie war viele Jahre Stipendiatin bei der Gerhard C. Starck Stiftung.
Als Tischtennisprofi hat sie in verschiedenen Vereinen (u.a. Schalke 04 und BW Annen) gespielt. Bei der Makkabiade 2022 in Jerusalem gewann sie im Team von Makkabi Deutschland eine Gold- und zwei Silbermedaillen. Zur Zeit des Massakers der Hamas am 7. Oktober war sie für einen halbjährigen Studien- und Sportaufenthalt in Tel Aviv, wo sie einen Profi-Vertrag bei Makkabi Tel Aviv für die erste israelische Tischtennis-Liga unterschrieben hat. Seit ihrer vorzeitigen Rückkehr nach Deutschland lebt Lisa Michajlova in Berlin.
Man hat direkt versucht, solidarisch zu sein. Man hat direkt versucht, anderen Leuten zu erklären, was gerade die Situation ist. Jüdinnen und Juden sind erneut in der Situation, nicht trauern zu können, sondern sich tagtäglich mit Antisemitismus auseinandersetzen zu müssen und diesen zusätzlich auch noch der Öffentlichkeit, den Medien und Bildungseinrichtungen erklären müssen.
ZDFheute: Warum leisten Sie diese Vermittlungsarbeit?
Michajlova: Wenn wir es nicht machen, macht es keiner. Alle jüdischen Personen, die ich kenne, haben spätestens nach dem Krieg in der Ukraine gesagt: wir haben einen sicheren Hafen, wir haben einen Ort, wo wir hingehen können, wenn alles vor die Hunde geht. Und seit drei Wochen bröckelt diese Vorstellung, dass wir diesen Ort haben, wo wir offen jüdisch sein können.
Es sollte uns erheblich zu denken geben, wie jüdische Menschen weltweit behandelt werden, wenn sie lieber ihr eigenes Leben riskieren, um als freie jüdische Person leben zu können, anstatt weiter unter Antisemitismus zu leiden.
Was ist eine politische Aussage, was ist Antisemitismus? Auch im Umfeld des Sports ist nicht allen bewusst, wo die Trennlinie verläuft.
von Ralf Lorenzen
ZDFheute: In den letzten Jahren gab es viele Projekte, auch im Sport, die darauf abzielten jüdisches Leben wieder sichtbarer zu machen. Wie geht es nun weiter?
Michajlova: Ich beobachte wie viele andere jüdische Aktivisten, dass all unsere Projekte und Errungenschaften der letzten Jahre, jüdisches Leben abseits vom Nahostkonflikt, vom Antisemitismus und der Shoah in Deutschland zu zeigen in den letzten drei Wochen erheblich zurückgegangen sind. Wir können uns aktuell beispielsweise keine Veranstaltungen am Campus oder auch Sportveranstaltungen, die offen jüdisch sind, ohne ein sehr erhöhtes Sicherheitsrisiko vorstellen.
Ich spiele im Leistungsbereich Tischtennis, da kommt es vergleichsweise selten zu antisemitischen Vorfällen. Aber die Makkabi-Vereine mussten teilweise den Trainings- und Spielbetrieb einstellen oder mit erhöhtem Polizeieinsatz spielen.
Michajlova: Es gibt eine sehr, sehr großes Unwissen darüber, was antisemitisch ist. Was ist eine bloße Beleidigung, was ist eine Diskriminierung, was ist Rassismus, was ist politische Kritik und was ist ein konkreter antisemitischer Angriff? Das hat sich vor allem in den letzten Wochen und Monaten sehr stark verändert.
Und deswegen ist es umso wichtiger, dass wir mit dem gerade eingeführten Meldebutton für antisemitische Vorfälle die Ereignisse im Sport institutionalisiert erfassen können, um die Erkenntnisse für Bildung und für Schulung weiter zu nutzen. Es braucht keine jüdischen Personen und es braucht auch keinen Krieg im Nahen Osten, damit es Antisemitismus gibt.
Das ist ein Phänomen, das wir über viele Jahrtausende in der Gesellschaft haben. Und wir sollten uns mit der Alltäglichkeit dessen und mit der Bedrohung für uns alle, für die gesamte Demokratie auseinandersetzen.
In Dortmund ist ein Meldebutton für antisemitische Vorfälle vorgestellt worden. Neben der Sichtbarmachung geht es auch darum, Erkenntnisse für die Präventionsarbeit zu erhalten.31.10.2023 | 1:51 min