Interview
Historiker über BSW:"Wagenknecht möchte Wladimira Putinowa sein"
|
Ilko-Sascha Kowalczuk gilt als Ostdeutschland-Experte und warnt vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen vor einer Staatskrise. Zwischen BSW und AfD sieht er viele Parallelen.
"Was sie an Putin faszinierend findet, das ist das autoritäre Staatsmodell, was er vertritt", sagt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk.
Quelle: AFP
ZDFheute: Das BSW liegt laut Umfragen in Sachsen bei 11 Prozent, in Thüringen bei 19 Prozent. Warum kommen Sahra Wagenknecht und ihre Partei gerade in Ostdeutschland so gut an?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat ein großes Versprechen. Und dieses Versprechen lautet: Wir bringen den starken Staat zurück, einen autoritären Staat. Es ist, nebenbei gesagt, auch die Verbindung zur AfD.
Mit diesem Versprechen ist etwas verbunden, was man schon im 19. Jahrhundert die "Diktatur der Mehrheit" nannte: Dass diejenigen, die die Mehrheit in einer Regierung haben, nicht mehr auf Minoritätsrechte achten müssen, sondern nur noch für die von ihnen repräsentierte Mehrheit eintreten.
Laut ZDF-Politbarometer erhalten AfD und BSW hohe Zustimmung im Osten. Wird es erstmals eine BSW-Regierungsbeteiligung geben? Die Analyse bei ZDFheute live09.08.2024 | 31:15 min
ZDFheute: Warum verfängt das besonders in Ostdeutschland?
Kowalczuk: Die meisten Ostdeutschen haben 1989, 1990 geglaubt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Freiheit und Demokratie auf der einen Seite und dem Wohlstandsversprechen auf der anderen Seite gibt. Das war verbunden mit dem Versprechen eines paternalistischen Staatsverständnisses: Wir kümmern uns um euch, lasst uns machen. Und das war gewissermaßen die Kontinuität, auch zu dem Staatsverständnis in der DDR.
Quelle: Ekkowon Schwichow
... ist Historiker und Publizist. Er arbeitet seit Jahren zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, unter anderem als Projektleiter bei der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. Dort wurde er jedoch beurlaubt, um seine zweiteilige Biografie über Walter Ulbricht zu schreiben. Am 21.8. erscheint sein Buch "Freiheitsschock" über die Jahre seit der Wende in Ostdeutschland.
ZDFheute: Es gab die friedliche Revolution - aber nicht in den Köpfen?
Kowalczuk: Die Freiheitsrevolution von 1989 war mitnichten von der Mehrheit der Ostdeutschen getragen worden, sondern von einer Minderheit. In allen Revolutionen sind immer nur Minderheiten aktiv. Die Mehrheit steht immer passiv dazwischen und wartet ab und schlägt sich auf die Seite des Siegers. Das ist welthistorisch banal, das läuft immer so. Und das war auch in der DDR nicht anders.
Vor den Landtagswahlen in Sachsen sucht Eva Schulz vor Ort nach Antworten, warum das Bundesland so gespalten ist. Unter anderem besucht sie eine Bautzner Montagsdemo und deren Gegenveranstaltung.21.08.2024 | 1:57 min
Es ist nur in den vergangenen dreißig Jahren immer anders erzählt worden. Und dieser historische Umstand führte auch dazu, dass sich die Menschen tatsächlich mehr dafür interessierten, ob sie morgen Trabi fahren oder Mercedes, statt dafür, ob sie weiter in einem autoritären Staat leben wollen oder in einer Demokratie, in einer Freiheit, in dem es eben auch darum geht, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen.
Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sei nicht wütend, aber "sehr besorgt" über die Lage der Demokratie vor allem in Ostdeutschland. Dies ist auch ein Antrieb für sein neues Buch.21.08.2024 | 5:26 min
ZDFheute: Im Landtagswahlkampf spielt Außenpolitik die große Rolle. Sahra Wagenknecht will Friedensverhandlungen mit Russland und keine Waffenlieferungen für die Ukraine. Können Sie erklären, woher Frau Wagenknechts Positionen kommen?
Kowalczuk: Was sie an Putin faszinierend findet, das ist das autoritäre Staatsmodell, was er vertritt. Und es ist eben kein Zufall, welche Position sie innerhalb des ganzen Krieges der Russländischen Föderation gegen die freie Ukraine vertritt. Das muss ihr niemand im Kreml einflüstern, sondern das sind ihre politischen Grundüberzeugungen.
SPD, Grüne und FDP bangen in Sachsen und Thüringen darum, die Fünf-Prozent-Hürde zu erreichen.20.08.2024 | 7:45 min
So wie ihre politische Grundüberzeugung lautet, dass Deutschland näher an Russland rücken muss, dass Deutschland wirtschaftlich eng mit Russland verflochten sein muss, auch um eine politische Verflechtung herbeizuführen. Und da steht ihr die Ukraine gewissermaßen im Wege. Und deswegen ist sie zum Beispiel auch gegen Waffenlieferungen.
Wagenknecht sagt ja immer wieder, sie träumt von einer Sicherheitsarchitektur Deutschland-Russland. Und das funktioniert nur, wenn man auch politische Affinitäten hat.
Sie wird geliebt, gehasst und hat jetzt eine eigene Partei. Für viele Linke gilt sie als Spalterin. Anhänger ihrer neuen Partei sehen sie als Alternative für Deutschlands Politik.23.01.2024 | 13:18 min
ZDFheute: Das BSW und die CDU könnten in Thüringen und Sachsen eine Regierung bilden. Für wen ist das die größere politische Verrenkung?
Kowalczuk: Das Absurde ist die CDU. Die haben jahrzehntelang einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei, den ich absolut nachvollziehen konnte, der sich aber in den letzten Jahren vor allen Dingen darauf begründete, dass es eine Sahra Wagenknecht in der Linkspartei gibt. Und dann tritt diese Frau nach langem Gezeter aus, gründet ihre eigene Partei. Die CDU hält am Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei fest und orakelt nun in aller Öffentlichkeit, dass sie aber mit dem BSW vielleicht irgendwie koaliert.
ZDFheute: Sie blicken also düster auf die Landtagswahlen im Herbst?
Kowalczuk: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir ein Wahlergebnis haben, was uns eher in eine Staatskrise führt als in stabile politische Verhältnisse.
Das Interview führte Julia Klaus aus der Redaktion ZDF frontal.
Mehr zu den Ost-Landtagswahlen
Nachrichten | Thema:Landtagswahl in Sachsen 2024
mit Video
Backgroundcheck:Was ein AfD-Wahlsieg für Schulen bedeuten kann
von F. Lukaschik, N. Metzger, K. Schubert
Exklusiv
ZDF-Sommerinterview:Esken schließt Koalition mit BSW nicht aus
von Dominik Rzepka