Clarence Thomas: US-Bundesrichter ohne moralischen Kompass

    Debatte um Ethikregeln:US-Bundesrichter ohne moralischen Kompass

    Zu sehen ist US-Korrespondent Elmar Theveßen in Washington.
    von Elmar Theveßen, Washington
    |

    In den USA tobt die Debatte um Ethikregeln für den Obersten Gerichtshof. Besonders im Visier: Bundesrichter Clarence Thomas, der sich von Gönnern gerne beschenken lässt.

    US-Bundesrichter Clarence Thomas
    US-Bundesrichter Clarence Thomas hat mit seinem Verhalten eine Debatte in den USA ausgelöst.
    Quelle: Reuters

    Vorsicht, dieser Artikel beginnt mit einer unerträglichen Beschreibung: Da hängt ein schwarzer Mann an Ketten, Kopf nach unten, aus seinem gefolterten Körper rinnt das Blut, und ein anderer schwarzer Mann sagt ihm, dass er keinen schnellen Tod verdiene. Stattdessen werde der Geschundene endlose Qualen als versklavter Minenarbeiter erleiden.
    Die Szene mit dem gewissenlosen und brutalen Haussklaven Stephen, der die anderen Sklaven peinigt, - gespielt von Samuel L. Jackson - aus dem Tarantino-Film "Django Unchained" ist die denkbar finsterste Darstellung von Verrat innerhalb einer ethnischen Gruppierung. Das muss man wissen, um die Tragweite der folgenden Worte zu verstehen:

    Jeder, der den Film 'Django' gesehen hat, soll sich Stephen anschauen und wird dann Clarence Thomas sehen.

    Keith Allison, Justizminister von Minnesota

    So sagte es Keith Allison, der Justizminister von Minnesota, selbst Schwarzer, in einem Zeitungsinterview. Allison fährt fort: "Clarence Thomas hat sich entschieden, dass es in seinem besten Eigeninteresse ist, sich an die Seite der Mächtigen und Lobbyisten zu stellen, egal wem sie gemeinsam damit schaden."

    Thomas wurde von Bush Senior an Supreme Court geholt

    Die Wut über den 75-jährigen Richter an Amerikas Obersten Gerichtshof ist offenbar so groß, dass manche den Griff in die niedrigste Schublade der politischen Auseinandersetzung für gerechtfertigt halten. Clarence Thomas wurde 1991 vom damaligen Präsidenten George Bush senior als zweiter Afroamerikaner überhaupt für das Richteramt am Supreme Court nominiert.
    Seitdem hat er in zahlreichen Urteilen seine konservative Gesinnung unter Beweis gestellt, zuletzt in den Entscheidungen zum Abtreibungsrecht und zur Quotenregelung für Minderheiten bei der Vergabe von Studienplätzen in den USA. Manche Rechtskonservative feiern Thomas als "größten lebenden Amerikaner", weil er ihnen als letzte Bastion gegen eine angeblich linksradikale Verschwörung gegen amerikanische Prinzipien und Werte gilt.

    Luxusyachten und bezahlte Schulgebühren

    Die Liste der Vorwürfe ist lang: Jahrelang ließ sich Thomas vom superreichen Immobilienmagnaten Harlan Crow auf teure Reisen mit Crows Privatjets und seiner Superyacht einladen, ohne dies - wie es gesetzlich vorgeschrieben ist - zu melden. Thomas bestreitet die Meldepflicht, weil es sich um "persönliche Gastfreundschaft" gehandelt habe. Crow bezahlte offenbar auch zwei Jahre lang die Schulgebühren in Höhe von 6.000 Dollar pro Monat für den Großneffen von Clarence Thomas, dessen Vormund der Richter ist.
    Im Jahr 2014 verkauften Thomas und seine Familie mehrere Grundstücke an den Milliardär. Der Bundesrichter nahm auch zahlreiche weitere Luxusreisen und Geschenke von anderen Gönnern an, deren Geschäftsinteressen immer wieder auch von Verfahren berührt werden, die dem Supreme Court - und damit auch Thomas - zur Entscheidung vorliegen.



    Thomas' Ehefrau war am Sturm auf das Kapitol beteiligt

    Als fragwürdig gelten auch die Aktivitäten von Clarence Thomas' Ehefrau Ginni. Sie ist eine rechtskonservative Aktivistin, die sich in Lobbygruppen engagiert, die teilweise an Verfahren vor dem Obersten Gericht beteiligt waren. Darüber hinaus war Ginni Thomas eine treibende Kraft beim Versuch, die Präsidentschaftswahl 2020 für ungültig zu erklären; sie nahm vor dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 an der Kundgebung des abgewählten Präsidenten Donald Trump teil.
    Clarence Thomas und seine Frau bestreiten, dass sie jemals auf seine richterlichen Entscheidungen - zum Beispiel bei der Abschaffung des liberalen Abtreibungsrechts - Einfluss genommen habe.
    Nach dem Sturm auf das US-Kapitol ist ein Mann zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden:

    Supreme Court hat ein Compliance-Problem

    Aber Thomas ist eben kein Einzelfall. Der Supreme Court hat ganz offensichtlich ein Compliance-Problem. Die mittlerweile verstorbene liberale Bundesrichterin Ruth Bader-Ginsburg und ihr konservativer Amtskollege Samuel Alito ließen sich ebenfalls auf teure Reisen einladen. Bader-Ginsburg schloss einen lukrativen Deal für ein Buch ab, das vor allem von ihren Mitarbeitern geschrieben wurde.
    Auch die einst von Barack Obama nominierte Richterin Sonia Sotomayor verdient nebenher durch vergleichbare Buchdeals. Umso dringender wären klare, transparente Regeln, wie sie für alle anderen Gerichte in den USA längst gelten. Ihr Einhaltung könnte von einer unabhängigen Stelle kontrolliert werden.
    Der oberste Gerichtshof hat die Universitätsauswahl von Studenten anhand deren Hautfarbe im Juni für verfassungswidrig erklärt:

    Gesetzgebung wird zur ideologischen Schlammschlacht

    Genau das fordert ein Gesetzentwurf des demokratischen Senators Sheldon Whitehouse, der aber kaum Aussichten auf eine breite Mehrheit im Kongress hat. Denn statt über die Parteigrenzen hinweg die Wiederherstellung der Integrität des Supreme Court anzumahnen, geriet kürzlich die Sitzung des Rechtsausschusses zur ideologischen Schlammschlacht, indem vor allem die Republikaner den Kollegen der anderen Partei niedere Absichten unterstellten.
    "Dieses Gesetz soll das Gericht nicht stärker und moralischer machen, sondern es zerstören", rief John Kennedy. Der republikanische Senator warf den Demokraten vor, sie wollten aus Wut über die Entscheidungen des Supreme Courts seine Legitimität untergraben. Senator Whitehouse konterte:

    Wir sind hier, weil das höchste Gericht des Landes die niedrigsten ethischen Standards hat.

    Sheldon Whitehouse, Senator aus Rhode Island

    Genüsslich nutzten die Republikaner die Gelegenheit, den Demokraten fehlenden Anstand vorzuwerfen, indem sie Keith Allisons geschmacklosen Vergleich vom "Haussklaven" Clarence Thomas zitierten. Am Ende verständigte man sich darauf, solche und ähnliche Angriffe auf Richter des Obersten Gerichtshofs entschieden zu verurteilen. Dabei wären klare Compliance-Regeln genauso wichtig, aber jede sachliche Diskussion darüber scheint unmöglich in einem Land, in dem beide Seiten politisch Andersdenkende im Kampf um die Macht verächtlich machen.

    Mehr zum Supreme Court