Erdogans Feinde: Die Angst der türkischen LGBTQ-Community

    Erdogans Staatsfeinde:Die Angst der türkischen LGBTQ-Community

    Anna Feist
    von Anna Feist
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    "Sie können uns umbringen": Seit der Wiederwahl von Erdogan stehen sie ganz oben auf der Abschussliste: sexuelle Minderheiten. Zwei Betroffene berichten von der Diskriminierung.

    Die LGBTQ-Community muss nach Erdogans Wahlsieg noch mehr Diskriminierung fürchten.
    Die LGBTQ-Community muss nach Erdogans Wahlsieg noch mehr Diskriminierung fürchten.
    Quelle: ZDF

    Als sie die Menge sieht, die da in Sprechchören gegen sie hetzt, krallt Ameda die langen lackierten Fingernägel in die Tischkante. Sie kann nicht anders, schnippisch ruft sie zu ihrem Handy, aus dem der Mob skandiert, dass sexuelle Minderheiten nicht zur türkischen Gesellschaft gehören: "Ihr seid doch das Problem!"

    Erdogan hetzt gegen LGBTQ-Community

    Ameda ist transsexuell und bekennt sich offen dazu. In der Türkei sei das schon immer schwierig gewesen, sagt sie. Aber nie so wie in diesen Tagen. Am Sonntag wurde Recep Tayyip Erdogan als Präsident der Türkei wiedergewählt.
    erdogan
    Nach seinem Wahlsieg bleibt der türkische Präsident Erdoğan fünf weitere Jahre an der Macht. Regierungskritiker in der Türkei geraten zunehmend unter Druck. 31.05.2023 | 6:12 min
    Doch noch bevor sein Sieg bestätigt ist, alle Stimmen ausgezählt sind, kürt sich der Mann, der seit 21 Jahren an der Spitze der Türkei steht, zum Sieger. Er macht in seiner vorgezogenen Siegesrede klar, dass sexuelle Minderheiten keinen Platz in der türkischen Gesellschaft haben: "Können sie, die LGBT, die Volksallianz unterwandern? Nein!"
    Ameda macht das Angst, denn, so sagt sie: "Früher hatten sie Skrupel sich in unser Leben einzumischen, weil sie wussten, dass sie dafür vor Gericht bestraft werden, aber jetzt ist es so:"

    Sie können uns umbringen, verbrennen und vergewaltigen und sie werden dafür nicht bestraft.

    Ameda

    Kontext Koll Türkei Wahl
    Die Türkei befindet sich nach dem Erdbeben im Februar im Ausnahmezustand, trotzdem wird am Sonntag gewählt. Kann Machthaber Erdogan auch die kommende Wahl gewinnen?12.05.2023 | 14:00 min

    Erdogan gegen "perverse Tendenzen"

    Den Kampf gegen die LGBTQ-Community macht Erdogan schon früh in seinem Wahlkampf zu einem seiner Lieblingsthemen. So propagiert er: "Da wir an die Heiligkeit der Familie glauben, werden wir niemals Kompromisse eingehen. Die Familie ist heilig, unsere Werte sind unumstößlich."
    Der Präsident wolle, so betont er, gegen diese "perversen Tendenzen" aktiv vorgehen - und erklärt damit alle jene zum Staatsfeind, die sich nicht zu einem klassischen Familienbild bekennen wollen. Immer wieder diffamiert er im Wahlkampf auch Kemal Kilicdaroglu, seinen Gegenkandidaten, als zur LGBTQ-Community zugehörig. Erdogan wird nicht müde, sexuelle Minderheiten im selben Zuge mit Terroristen, die das Land unterwandern wollen, anzuprangern.

    Queere Community: "Ein Massaker gegen uns"

    Nicht nur eine Kriegserklärung sei das, sondern Erdogans Sieg komme "einem Massaker gegen uns" gleich, findet Ismail. Er ist schwul bekennt er sich offen dazu.
    Aber es sei nicht nur der Hass des Präsidenten, der ihn einschüchtere: "Mit Erdogans Volksallianz steht uns nun ein noch stärkerer Gegner gegenüber, der noch hasserfüllter ist."

    Erdogan arbeitet mit Faschisten zusammen

    Auf Stimmenfang hat Erdogan ein Bündnis um sich geschmiedet, bestehend aus Faschisten und Islamisten: Die kurdisch-islamistische Hüda Par etwa will den Schutz der "traditionellen" Familie vor "abweichenden" Ideologien durchsetzen, Mädchen und Jungen getrennt unterrichten und Frauen Arbeitsbedingungen anbieten, die ihrer "Natur" entsprechen.
    Die islamistische Partei Yeniden Refah macht unterdessen Wahlwerbung mit einem Bus, auf dem männliche Parlamentskandidaten mit Bild gezeigt werden, von der weiblichen Kandidatin hingegen nur ein Schatten.
    Protestierende Frauen
    Die Frauenrechte drohen in der Türkei weiter eingeschränkt zu werden. Nach dem Austritt aus der Istanbul-Konvention könnte nun ein weiteres Schutzgesetz verändert werden.16.05.2023 | 9:58 min

    Ameda will sich nicht verstecken

    Einen Vorgeschmack auf das, was nun folgen könnte, erfährt Ameda gleich am Wahlabend: Sie läuft durch ihr Stadtviertel in Istanbul und plötzlich, so erzählt sie, finde sie sich inmitten eines Auto- und Rollerkorso wieder, der immer engere Kreise um sie ziehe. Lange Minuten habe sie nicht gewusst, ob sie da noch einmal rauskomme.
    Man sehe ihr ihre sexuelle Orientierung eben an, sagt sie: "Der einzige Grund kann nur meine Kleidung, meine Haare, meine Ohrringe und mein Make-up sein." Trotzdem: Dieses Bekenntnis aufgeben wolle sie nicht.
    Auch Ismail will, anders als viele seiner Freunde, erstmal in der Türkei bleiben, weitermachen. Seine Hoffnung setze er jetzt auf die Kommunalwahlen, die stehen nächstes Jahr im März an. Er sagt:

    Wir haben die Wahlen zwar verloren, aber doch an Stärke gewonnen, während der Gewinner Erdogan so schwach ist wie nie.

    Ismail

    Anna Feist ist Reporterin im ZDF-Studio Istanbul

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