Tourismusforscher zu Overtourism:Wie der Klimawandel Reiseströme verschiebt
von Anne Frieda Müller
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Im Mittelmeerraum wird es immer heißer - mit Folgen für das Reiseverhalten. Mehr Touristen werden nach Österreich und Deutschland kommen, sagt Tourismusforscher Pillmayer.
Die sommerliche Frische der Alpen macht Österreich auch in Extremsommern bei Touristen beliebt. Orte wie Hallstatt werden von Touristen überrannt und Anwohner reagieren zunehmend genervt.06.09.2023 | 6:17 min
Der Sommer 2023 war der heißeste Sommer in Europa seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. In Südeuropa stiegen die Temperaturen auf über 40 Grad. Griechenland kämpft aktuell mit Unwettern, zuvor wüteten dort Waldbrände. Auf Rhodos mussten Touristen vor den Flammen aus ihren Hotels flüchten.
Solche Ereignisse könnten sich auch auf Reiseströme auswirken, sagt Tourismusforscher Markus Pillmayer im Interview mit ZDFheute.
ZDFheute: Herr Pillmayer, fördert Tourismus den Klimawandel?
Markus Pillmayer: Ja, denn mindestens acht bis zehn Prozent des globalen CO2-Aufkommens werden durch den Tourismus generiert, etwa durch An- und Abreise mit dem Auto.
ZDFheute: Wie verändert wiederum der Klimawandel den Tourismus?
Pillmayer: Wir können davon ausgehen, dass es durch die Extremwetter-Ereignisse im Mittelmeerraum vermutlich zu einer Verschiebung der Reiseströme kommen wird.
Orte in Österreich und Deutschland werden noch beliebtere Reiseziele werden, was wiederum den Druck auf diese Orte erhöht. Hallstatt in Österreich ist jetzt schon ein solcher überfüllter Ort. Den Anwohnern wird es zuviel.
Hallstatt ist eine kleine Gemeinde mit 800 Einwohnern am Hallstätter See in Oberösterreich. Der Ort wurde durch eine koreanische Dramaserie weltbekannt und hat auf Instagram einen regelrechten Hype erfahren. Mittlerweile reisen bis zu 10.000 Menschen am Tag nach Hallstatt. Tourismusforscher Pillmayer glaubt, dass Orte wie Hallstatt in Zukunft noch beliebter bei Touristen werden könnten.
ZDFheute: Hallstatt am See wurde in den letzten Jahren immer beliebter und wurde ein Beispiel für Overtourism. Durch seine gemäßigte Lage in den österreichischen Alpen könnte es noch voller werden. Wie ist es dazu gekommen?
Pillmayer: Die internationalen Reiseströme sind bis zur Corona-Pandemie stetig angestiegen. Für Ankunfts- und Übernachtungszahlen gab es nur eine Richtung, nämlich nach oben. Das zu Pandemie-Zeiten erhoffte Umdenken ist noch nicht ausreichend eingetreten.
Dabei braucht es eine neue Form des Tourismus, bei dem auch Einheimische deutlich mehr mitsprechen, und vor allem mitentscheiden dürfen. Die Tourismusakzeptanz muss mit bedacht werden. Denn egal, ob für den Gast oder den Einheimischen: Beide wollen vor Ort Lebensqualität.
Die Anwohner Hallstatts sind von Touristenströmen genervt und protestieren. (Archivbild vom 27.08.2023)
Quelle: AFP
ZDFheute: Zuletzt protestierten in Hallstatt Einwohner gegen zu viel Tourismus. Welche Gegenmaßnahmen könnten umgesetzt werden?
Pillmayer: Zum Beispiel kann man die Preise erhöhen oder Limitationsstrategien einsetzen, also bestimmte Orte nur zu bestimmten Zeiten zugänglich machen. Oder man kann Werbemaßnahmen verringern.
Dabei muss allerdings für alle Konsens herrschen, zwischen den Reiseveranstaltern, den Leistungsträgern vor Ort, den Unterkunftsbetrieben und den Einheimischen.
Insofern haben es die Hallstätterinnen und Hallstätter selbst in der Hand, welche Art von Tourismus sie haben wollen. Nichts zu unternehmen ist in meinen Augen allerdings keine Alternative. Dann ist das überlaufende Hallstatt, das wir jetzt kennen, erst der Anfang.
... ist Dozent und Forscher an der Hochschule München. Zu seinen Fachbereichen gehören unter anderem Tourismuspolitik und Nachhaltiger Tourismus. Er ist außerdem Mitglied in einigen Tourismus-Beiräten.
ZDFheute: Kann man Touristen auch gezielt von Reise-Hotspots weg- beziehungsweise umsteuern?
Pillmayer: Es gibt schon Modelle, bei denen versucht wird, Touristinnen und Touristen zum Beispiel Alternativvorschläge zu geben, wenn die Zielorte überlaufen sind. Aber es steht immer der reisende Mensch im Mittelpunkt und damit kommt auch eine gewisse Irrationalität des Menschen zum Tragen.
Wenn sich die Reisenden schon auf einen bestimmten Ort, ein Tal oder einen See eingestellt haben, dann ruft das eine gewisse Sehnsucht hervor. Nur die wenigsten werden sich dann auf die Alternativvorschläge einlassen. In beliebten Winterurlaubszielen Bergen ist der Klimawandel durch späteren Schneefall und eine höhere Schneefallgrenze deutlich spürbar geworden.
ZDFheute: Was muss jetzt getan werden, damit sich der Tourismus an den Klimawandel anpasst?
Pillmayer: Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die auch deutlich sichtbar und spürbar sind. Eine Strategie ist das "Degrowth", also das Zurückfahren, ein Gesundschrumpfen. Wenn zum Beispiel nicht mehr nur Ski-Tourismus möglich ist, müssen die Anbieterinnen und Anbieter alternative Formen finden wie Fahrradtourismus und Wandertourismus.
Aber auch hier müssen Überlegungen getroffen werden, wie viele Wander-Touristen sozusagen einen Ski-Touristen ersetzen. Das sind zwar neue Herausforderungen, aber die Maßnahmen gibt es. Es liegt bei den Entscheidern vor Ort, diese umzusetzen.
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ZDFheute: Was passiert allerdings, wenn Reiseziele nicht auf den Klimawandel reagieren?
Pillmayer: Ich bin der Meinung, dass mittlerweile alle Touristikerinnen und Touristiker verstanden haben sollten, dass der Klimawandel stattfindet und Konsequenzen für Reisegebiete und Reiseformen haben wird. Davon auszugehen, dass der Klimawandel zu keinerlei Konsequenzen führt, halte ich für fahrlässig, um es ganz deutlich zu sagen.
Das Interview führte Anne Frieda Müller aus dem ZDF-Studio Wien.
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