Breite Kritik an Unionsvorstoß zum Asylrecht

    Aufnahmekontingente statt Asyl:Breite Kritik an Unionsvorstoß zum Asylrecht

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    CDU-Politiker Thorsten Frei plädiert dafür, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen und durch Aufnahmekontingente zu ersetzen. Wieso der Vorstoß so scharf kritisiert wird.

    Ein Junge hält einen Hund an der Leine, während ein anderer an der Containerunterkunft für Flüchtlinge auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin, Deutschland, vorbeiläuft, aufgenommen am 10.05.2023
    Der Vorschlag eines Systemwechsels in der Asylpolitik von CDU-Politiker Frei wird weiter heftig kritisiert.
    Quelle: AFP

    Der Vorschlag des Unionspolitikers Thorsten Frei (CDU) für eine neue Systematik im Asylrecht sorgt für kontroverse Debatten. Der Migrationsexperte Daniel Thym sagte der "Welt", Freis Vorstoß hätte bei einer Umsetzung schwerwiegende Folgen. Es kämen dann weiter Menschen nach Deutschland, die kein Asyl beantragen und nicht arbeiten könnten und bestimmte Leistungen nicht erhielten.
    "Droht ihnen Gefahr in den Herkunftsländern, dürfen wir sie nicht abschieben", sagte der Konstanzer Ausländerrechtsexperte.

    Im Ergebnis würde Herr Freis Vorschlag also bedeuten, eine große Schicht prekär lebender Personen in Deutschland zu schaffen.

    Daniel Thym, Migrationsexperte

    Frei will Individualrecht auf Asyl abschaffen

    Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, hatte in einem am Dienstag veröffentlichten Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geschrieben, das Recht des einzelnen Menschen, auf europäischem Boden Asyl zu beantragen, solle abgeschafft und durch Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa ersetzt werden.
    Diese 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge pro Jahr sollten direkt im Ausland ausgewählt und dann in Europa verteilt werden. "Eine Antragstellung auf europäischem Boden wäre nicht länger möglich, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten umfassend ausgeschlossen", schrieb der CDU-Politiker.

    Kritik von Ampel-Fraktion, AfD und Linken

    Politiker der Ampel-Fraktionen lehnten die Vorschläge ab. Auch von AfD und Linken kam Kritik. Die CSU reagierte reserviert. Der Parteivorsitzende Markus Söder und der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, machten klar, dass sie davon keine rasche Lösung erwarten. Forderungen Bayerns wie etwa verstärkte Grenzkontrollen würden "einen schnelleren Ertrag" bringen, sagte Söder bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im Kloster Andechs.
    Positiv äußerten sich dagegen der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
    Das Deutsche Institut für Menschenrechte merkte an, dass der individuelle Zugang zu einem fairen Asylverfahren in Deutschland und der EU nicht dadurch ersetzt werden könne, dass Schutzbedürftige direkt aus dem Ausland aufgenommen werden. Es verwies darauf, dass diese Möglichkeit ohnehin bereits bestehe, "im Rahmen humanitärer Aufnahmeprogramme und von Resettlement".

    Migrationsforscher: Eingriff in Asylrecht löst Probleme nicht

    Auch Migrationsforscher Gerald Knaus übt Kritik am Unionsvorstoß. Eine Abschaffung des Individualrechts auf Asyl löse die aktuellen Probleme bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa aus seiner Sicht nicht. Im "Morgenmagazin" der ARD sagt er:

    Das echte Problem ist, dass wir es nicht schaffen derzeit, die Migrationsabkommen zu schließen, die wir brauchen.

    Gerald Knaus, Migrationsforscher

    Nur mit diesen Abkommen sei es möglich, jene schnell zurückzuschicken, die keinen Schutz brauchen, und Staaten außerhalb Europas einen Anreiz zur Kooperation zu geben. Knaus argumentierte, Freis Vorschlag würde an der aktuellen Situation nichts verbessern.
    Es fehlten Vereinbarungen, um Ausreisepflichtige aus der Europäischen Union zurückzubringen, sagte der Vorsitzende der Berliner Denkfabrik "European Stability Initiative".

    Unterstützung aus der Union

    Der innenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Alexander Throm (CDU), unterstützt Freis Vorschlag. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, Frei habe zu Recht darauf hingewiesen, "dass unser Migrationssystem derzeit völlig falsche Zustände verursacht".
    Menschen lieferten sich Schleppern aus und wagten eine gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer. Sie durchquerten manchmal die halbe Welt "und dabei viele sichere Länder", um sich Europa als "Wunschort" auszusuchen. Dabei gelte leider das Prinzip: "Die Starken kommen an, die Schwachen bleiben auf der Strecke."
    Throm sagte, dieser Effekt sei nie beabsichtigt gewesen, weder von den Vereinten Nationen noch vom deutschen Grundgesetz. Besser wäre nach seinen Worten eine Auswahl allein nach humanitären Kriterien in den Herkunftsländern.

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    Rat für Migration: Vorschlag untergräbt menschenrechtliche Garantien

    Der Rat für Migration - ein Zusammenschluss von 220 Migrationswissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum - kritisiert, Frei ignoriere mit seinem Vorschlag die menschenrechtlichen Garantien, die deutsche und europäische Gerichte in den letzten 30 Jahren entwickelt hätten. Er verkenne zudem, dass das individuelle Asylrecht eine historische Konsequenz aus dem Scheitern von Kontingent-Lösungen sei.
    Eine Umsetzung der Vorschläge von Frei würde die Abschaffung des Artikels 16 a des Grundgesetzes sowie den Austritt aller EU-Staaten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und aus der Genfer Flüchtlingskonvention erfordern, so die Wissenschaftler.

    Angesichts der Tatsache, dass über 90 Prozent der schutzberechtigten Personen außerhalb von Industrieländern Schutz finden, wäre dies auch eine Bankrotterklärung der EU.

    Rat für Migration

    Quelle: dpa, epd, kna

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