Hilfslieferungen für Syrien:"Assad kann man nicht trauen"
von Marcel Burkhardt
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Nach Russlands Nein im UN-Sicherheitsrat erlaubt Syriens Regierung überraschend Hilfslieferungen ins Oppositionsgebiet - doch zu Bedingungen, die viele Menschen dort ängstigen.
Hilfslieferungen für Syrien
Quelle: dpa
Mitte dieser Woche haben sich in Nordwestsyrien Dutzende Kinder, Frauen und Männer vor den geschlossenen Toren des Grenzübergangs Bab al-Hawa versammelt, um ein Zeichen an die Welt zu senden: "Vergesst uns nicht, liefert uns Diktator Assad nicht aus!"
Überraschendes Signal aus Damaskus
Zuvor hatte Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) weitere humanitäre Hilfslieferungen über den einzig offiziell erlaubten Grenzübergang zwischen der Türkei und Nordwestsyrien blockiert.
Wenige Tage später kündigte überraschenderweise die syrische Regierung an, Transporte aus der Türkei in die Rebellengebiete des Bürgerkriegslandes künftig wieder erlauben zu wollen. Dies aber zu Bedingungen, die Vertreter von Hilfsorganisationen für "unzumutbar" halten.
Assad fordert volle Kontrolle über Hilfslieferungen
Auf den Punkt gebracht fordert Syriens Regierung die volle Kontrolle über die Hilfslieferungen und damit Entscheidungshoheit darüber, wer Unterstützung bekommt - und wer nicht.
Gleichzeitig sollen die UN nicht mit Organisationen in den Oppositionsgebieten kommunizieren, die von Damaskus als "terroristisch" eingestuft werden.
Humanitäre Helferin: UN müssen standhaft bleiben
Ola Batta, für die Welthungerhilfe verantwortlich für die Koordination der Nordwestsyrien-Hilfe, sagt im Gespräch mit ZDFheute:
Batta fordert, dass Damaskus Garantien gegenüber den Vereinten Nationen abgeben müsse, "dass die Hilfe an alle fließt, die sie benötigen - unabhängig davon, wo sie sich im Nordwesten Syriens befinden".
Warnung vor Folgen des Kontrollverlusts
Mehrere internationale Hilfsorganisationen warnen vor der Gefahr von "katastrophalen Folgen" für die 4,1 Millionen Menschen im Nordwesten Syriens.
UN-Angaben zufolge sind insgesamt mehr als 60 Prozent der in der Region Idlib lebenden Menschen Binnenflüchtlinge, die im Bürgerkrieg ihre Heimat verloren haben. Ohne Lebensmittel- und Trinkwasserlieferungen wären 1,8 Millionen Menschen in kurzer Zeit in Lebensgefahr.
Bereits vor dem katastrophalen Erdbeben im Februar dieses Jahres waren laut UN 90 Prozent der Einwohner Nordwestsyriens auf humanitäre Hilfe angewiesen. Durch Bombardements des syrischen Militärs und seiner Verbündeten ist ein Großteil der medizinischen Infrastruktur vernichtet worden.
Fortdauernde Gewalt und Misstrauen
Derweil berichten lokal ansässige Medien von fortdauernden Angriffen des syrischen Militärs auf Oppositionsgebiete und vielen zivilen Opfern. Die syrische Journalistin Sarah Kassim sagt im ZDFheute-Gespräch:
Statt sich auf Assads Vorschlag einzulassen, fordern Oppositionelle in Syrien von den Vereinten Nationen eine Neu-Organisation der humanitären Hilfe für Nordwestsyrien. notfalls auch ohne russische Einwilligung im Sicherheitsrat.
"Furcht, von der Gnade Damaskus' abzuhängen"
Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten ZDFheute, dass sich viele Menschen in Nordwestsyrien "im Stich gelassen" fühlten. "Ich erhalte in diesen Tagen viele Anrufe von verzweifelten Menschen", sagt etwa Ola Batta. "Sie fürchten sich davor, künftig völlig von der Gnade Damaskus' abzuhängen."
Versiegen die Hilfslieferungen durch das einzige Nadelöhr Bab al-Hawa, könne es schnell zu einer "humanitären Katastrophe" kommen, so Batta. "Es wäre mit zivilen Unruhen zu rechnen es könnte zu einer Konflikt-Eskalation kommen", schätzt die Hilfskoordinatorin die Lage ein.
Humanitäre Lage seit Jahren "katastrophal"
Zudem würde voraussichtlich eine große Anzahl von Menschen versuchen, in die Türkei zu flüchten - über eine Grenze, die sie seit Jahren nur illegal übertreten dürfen. "Die Lage ist einfach katastrophal für zu viele Menschen hier seit viel zu langer Zeit", sagt die syrische Journalistin Kassim.
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