Nach Kutschaty-Rücktritt: SPD in NRW führungslos

    Nach Kutschaty-Rücktritt:SPD in Nordrhein-Westfalen führungslos

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    von Ralph Goldmann
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    Erst die Amtsniederlegung als Parteivorsitzender, jetzt legt Thomas Kutschaty auch den Fraktionsvorsitz nieder. Warum die SPD in NRW weiter im Sinkflug ist.

    Thomas Kutschaty
    Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Thomas Kutschaty, Ex-Vorsitzender der SPD und nun auch der Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen.
    Quelle: dpa

    Es gab sie mal, die Zeit, in der die SPD in Nordrhein-Westfalen allein regierte. 15 Jahre lang brauchte "Landesvater" Johannes Rau noch nicht einmal einen Koalitionspartner.
    Irgendwie war in den 80er Jahren kaum vorstellbar, dass die Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr auch einmal richtig schlechte Zeiten erleben könnte. Bei der Wahl 1985 erreichte sie noch 52,2 Prozent der Stimmen.

    SPD in NRW seit einer Woche ohne Vorsitzenden

    Vier Jahrzehnte später träumen die Genossen von solchen Ergebnissen. Bei der Landtagswahl 2022 kam die SPD im bevölkerungsreichsten Bundesland noch auf 26,7 Prozent, so schlecht wie nie. Wann und ob die Partei das Tief durchschreiten kann, ist völlig ungewiss, denn seit einer Woche steht sie ohne Vorsitzenden da.
    Am vergangenen Mittwoch war Thomas Kutschaty mit seinem Kandidatinnenvorschlag für das Amt der Generalsekretärin durchgefallen. Zu stark war der Gegenwind im Parteipräsidium und bei den mächtigen Regionalverbänden.

    Kutschaty legt auch Fraktionsvorsitz nieder

    "Ich sehe ein, dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt", sagte er nur einen Tag später knapp und trat für viele überraschend zurück.
    Am Dienstagvormittag kündigte er an, auch sein Amt als SPD-Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag niederlegen zu wollen. Er habe es "jederzeit mit großer Überzeugung, aber auch mit voller Leidenschaft ausgeübt", sagte der 54-jährige Essener heute.

    Parteiinterne Kritik am ehemaligen Vorsitzenden

    Kutschatys versuchter Alleingang in der wichtigen Personalfrage war aber nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es ist der Höhepunkt einer Unzufriedenheit, die es bereits seit der krachenden Wahlniederlage gibt. Seitdem nahm die parteiinterne Kritik immer mehr zu.
    Wenige äußern sich offen, aber viele werfen ihm hinter vorgehaltener Hand mangelndes Profil, zu wenig Teamgeist und schlechte Oppositionsarbeit vor. Der Dortmunder SPD-Chef Jens Peick deutete gegenüber dem WDR nur so viel an:

    Wir brauchen ein klareres Profil von dem, was die SPD in NRW erreichen will: eine klare Fokussierung auf die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in diesem Land.

    Jens Peick, Vorsitzender SPD Dortmund

    Gerangel um Spitzenämter in NRW-SPD

    Dass Kutschaty in der Partei nicht nur Freunde hat, war spätestens seit den Machtkämpfen um die internen Spitzenämter klar. Bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden gewann er im April 2018 nur knapp mit 35 zu 31 Stimmen gegen Marc Herter. Den bis März 2021 amtierenden Parteichef Sebastian Hartmann drängte er förmlich aus dem Amt.

    Streit um Personalentscheidung
    :SPD-Landeschef Kutschaty tritt in NRW zurück

    Der SPD-Chef in Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty, hat seinen Rücktritt erklärt. Zuvor hatte es innerhalb der Partei Streit um eine Personalentscheidung gegeben.
    Thomas Kutschaty
    Die Reißleine zog er jetzt in den Augen vieler NRW-Genossen viel zu spät. "Die verlorene Landtagswahl hat das Urteil schon gefällt", sagt auch der Politikwissenschaftler Martin Florack vom Wissenschaftscampus NRW.

    Es ist überraschend und interessant, dass die Partei so lange an ihm [Thomas Kutschaty] fest- und der Burgfrieden so lange gehalten hat.

    Martin Florack, Politikwissenschaftler

    Führungskrise bei NRW-SPD eine Gefahr für Bundes-SPD?

    Der desolate Zustand der NRW-SPD besorgt inzwischen auch die Bundespartei. Noch ist Thomas Kutschaty dort einer der stellvertretenden Vorsitzenden. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung warnte Präsidiumsmitglied Dietmar Nietan:

    Wenn wir die nächste Bundestagswahl gewinnen wollen, brauchen wir eine starke NRW-SPD.

    Dietmar Nietan, Präsidium Bundes-SPD

    Ähnlich sieht das auch Politikexperte Karl-Rudolf Korte. Die NRW-SPD sei allerdings "zur Zeit in der Berliner Republik nicht sichtbar. Hier dominieren die Niedersachsen". Martin Florack befürchtet: "Es besteht durchaus die Gefahr, dass sich beide wechselseitig weiter nach unten ziehen".

    Kandidaten für Parteivorsitz: Fehlanzeige

    Bei den Genossen an Rhein und Ruhr ist von Aufbruchstimmung noch keine Rede. Es dominiert die Sorge darüber, dass die Führungskrise noch länger anhalten könnte.

    Die SPD hat in NRW noch kein Alleinstellungsmerkmal gefunden, was sie als bürgerliche Partei der linken Mitte von den anderen Regierungsparteien sichtbar unterscheidet.

    Karl-Rudolf-Korte, Politikwissenschaftler

    "Als Landtags-Opposition genießt man keine Aufmerksamkeit. Das ist ein schweres Los", so Karl-Rudolf Korte weiter.
    Jetzt soll der Hammer Oberbürgermeister Marc Herter die Partei als Interimschef bis August führen. Erst dann soll die Landesspitze neu gewählt werden. Auch der Posten als Fraktionschef bleibt erst einmal vakant. Bewerberinnen oder Bewerber gibt es derzeit für keines der beiden Ämter.
    Ralph Goldmann ist Reporter im ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.
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