FAQ
Forderung von CDU und FDP:Mehr sichere Herkunftsländer: Was bringt das?
von Alice Pesavento
|
CDU und FDP fordern, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu verlängern. Was würde sich damit für Betroffene und Kommunen ändern?
CDU und FDP möchten mehr Länder als "sicher" einstufen, SPD und Grüne sind dagegen.
Quelle: dpa
CDU-Chef Friedrich Merz will die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer verlängern, auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai unterstützt die Forderung. SPD und Grüne sind strikt dagegen, letztere lehnen das ganze Konzept der sicheren Herkunftsländer grundsätzlich ab. Doch welche Auswirkungen hätte eine Änderung für die deutschen Kommunen und die Menschen von dort?
Was bedeutet es für Schutzsuchende, wenn ihr Herkunftsland als "sicher" eingestuft ist?
Das individuelle Recht auf Asyl bleibt auch für jene Menschen bestehen, die aus als "sicher" eingestuften Ländern kommen. Mit dieser Einstufung geht aber die Vermutung einher, dass bei Personen aus betreffenden Ländern "keine asylrechtlich relevante Verfolgung stattfindet" und ihre Schutzgesuche daher "offensichtlich unbegründet" sind, erklärt Pia Storf, Rechtswissenschaftlerin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, ZDFheute.
Sichere Herkunftsstaaten sind nach deutschem Asylrecht Länder, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung drohen (Paragraf 29a Asylverfahrensgesetz).
Dazu zählen die EU-Staaten, Ghana und Senegal (seit 1993), Bosnien und Herzegowina, Serbien und Nordmazedonien (seit 2014), Albanien, Kosovo und Montenegro (seit 2015). Ende August hat das Bundeskabinett zudem einen Gesetzentwurf verabschiedet, der Georgien und Moldau als "sicher" einstufen soll. Dieser muss noch vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.
Dazu zählen die EU-Staaten, Ghana und Senegal (seit 1993), Bosnien und Herzegowina, Serbien und Nordmazedonien (seit 2014), Albanien, Kosovo und Montenegro (seit 2015). Ende August hat das Bundeskabinett zudem einen Gesetzentwurf verabschiedet, der Georgien und Moldau als "sicher" einstufen soll. Dieser muss noch vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.
CDU-Chef Friedrich Merz fordert, auch Länder wie Tunesien, Marokko, Algerien oder Indien auf die Liste der sicheren Herkunftsländer zu setzen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai möchte alle Maghreb-Staaten in Nord- und Westafrika als "sicher" einstufen. Zu diesen gehören Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien, Tunesien und Westsahara. (Quelle: dpa, KNA)
Asylanträge von Menschen aus den betreffenden Ländern werden deshalb in der Regel abgelehnt. Möchten Betroffene gegen diesen Beschluss klagen, haben sie dafür nur eine - statt normalerweise zwei - Wochen Zeit und können auch während des Gerichtverfahrens abgeschoben werden. Sie müssen zudem in Aufnahmeeinrichtungen wohnen bleiben, bis über ihren Antrag entschieden ist und dürfen nicht arbeiten.
Welche Auswirkungen hat das auf die Chancen von Betroffenen, Asyl zu bekommen?
Die Vermutung, dass Betroffene aus sogenannten sicheren Herkunftsländern keinen Anspruch auf Asyl haben, macht es für diese schwere zu beweisen, dass sie möglicherweise dennoch verfolgt werden.
Denn Asylrecht sei immer eine Prognose, ob jemand in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde, so Storf. Normalerweise können Schutzsuchende anhand verschiedener Anhaltspunkte darlegen, weshalb sie eine Verfolgung befürchten müssen und Schutz brauchen. Sie können beispielsweise vergangene Ereignisse vorbringen, die auf eine individuelle Verfolgung hindeuten oder auf Menschenrechtsberichte verweisen, die verdeutlichen, dass im Heimatland Personen wie sie selbst verfolgt werden.
Mit der Einstufung als sicheres Herkunftsland ändert sich das.
Die allgemeine Verfolgunggssituation können Schutzsuchende normalerweise durch Verweise auf allgemeine Menschenrechtsberichte oder Nachrichten darlegen.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte die Einstufung von Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer. Es gebe in beiden Ländern "keine landesweite Sicherheit und keine Sicherheit für alle Gruppen", erklärte Pro Asyl. Die Organisation verwies auf Rückschritte bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Georgien, Diskriminierungen von Angehörigen der Volksgruppe der Roma in Moldau sowie generell auf eine unklare Sicherheitslage wegen der russischen Einflussnahme in beiden Ländern.
Auch der Antiziganismus-Beauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, wandte sich gegen den Beschluss zu Moldau, das für Roma kein sicheres Herkunftsland darstelle. "Moldauische Roma, zum größten Teil Nachfahren des nationalsozialistischen Völkermordes an Sinti und Roma, leiden bis heute massiv unter den fortwährenden Folgen des Völkermordes, leben ausgegrenzt und sind in allen Lebensbereichen Diskriminierung ausgesetzt".
Auch der Antiziganismus-Beauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, wandte sich gegen den Beschluss zu Moldau, das für Roma kein sicheres Herkunftsland darstelle. "Moldauische Roma, zum größten Teil Nachfahren des nationalsozialistischen Völkermordes an Sinti und Roma, leiden bis heute massiv unter den fortwährenden Folgen des Völkermordes, leben ausgegrenzt und sind in allen Lebensbereichen Diskriminierung ausgesetzt".
Im April veröffentlichten 69 europäische und tunesische Hilfsorganisationen eine Erklärung mit dem Titel "Tunesien ist kein sicheres Herkunftsland und kein sicherer Ort für aus Seenot Gerettete". Darin fordern sie die EU auf, ihr Migrationsabkommen mit Tunesien zu beenden. Als Gründe für ihre Forderungen nannten sie unter anderem die anhaltende autoritäre Transformation des tunesischen Staates, die Verfolgung der schwarzen Bevölkerung Tunesiens sowie von Menschen auf der Flucht, politischen Gegnern und zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Seit rund zwei Jahren regiert der tunesische Präsident Kais Saied per Dekret und schränkt die politischen Freiheiten seiner Bürger zunehmend ein. So wurden seit Anfang des Jahres zahlreiche Oppositionelle, Aktivisten, Journalisten und Anwälte oftmals ohne Gerichtsverfahren verhaftet. Vor einigen Wochen brachten zudem tunesische Sicherheitskräfte hunderte Migranten und Flüchtlinge ohne rechtliche Verfahren oder Vorankündigungen in eine abgelegene, militarisierte Pufferzone an den Grenzen zu Libyen und Algerien. Mehrere von ihnen verdursteten dort, weil sie ohne Wasser und Essen tagelang in der Wüste festsaßen. Zudem stellt Tunesien, ebenso wie Algerien und Marokko, Homosexualität unter Strafe.
Seit rund zwei Jahren regiert der tunesische Präsident Kais Saied per Dekret und schränkt die politischen Freiheiten seiner Bürger zunehmend ein. So wurden seit Anfang des Jahres zahlreiche Oppositionelle, Aktivisten, Journalisten und Anwälte oftmals ohne Gerichtsverfahren verhaftet. Vor einigen Wochen brachten zudem tunesische Sicherheitskräfte hunderte Migranten und Flüchtlinge ohne rechtliche Verfahren oder Vorankündigungen in eine abgelegene, militarisierte Pufferzone an den Grenzen zu Libyen und Algerien. Mehrere von ihnen verdursteten dort, weil sie ohne Wasser und Essen tagelang in der Wüste festsaßen. Zudem stellt Tunesien, ebenso wie Algerien und Marokko, Homosexualität unter Strafe.
Welche Kritik gibt es am Konzept der "sicheren Herkunftsländer"?
Für Marcus Engler, Sozialwissenschaftler am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung, ist das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsländer vor allem ein "Instrument politischer Kommunikation", um ein Signal an die eigene Wählerschaft sowie an Herkunftsstaaten zu senden.
Denn welche Faktoren und Quellen in eine solche Einschätzung einbezogen würden, sei nicht wirklich transparent, so Engler. Häufig würden persönliche Einschätzungen oder politische Mehrheiten eine große Rolle spielen, während Berichte von Menschenrechtsorganisationen, die deutlich machen, dass ein Land nicht für alle Menschen, die dort leben, sicher ist, eher weniger Beachtung geschenkt würden. Zudem gebe es innerhalb der EU keine einheitliche Liste von sicheren Herkunftsländern.
Was würde eine Ausweitung der Liste tatsächlich bewirken?
Friedrich Merz verspricht sich dadurch eine Entlastung der Kommunen. Doch die Zahlen zeigen, dass es in der Praxis nichts bringen würde. Denn schon jetzt ist der Anteil der Schutzsuchenden aus jenen Ländern, für die aktuell eine Einstufung als "sicher" gefordert wird, vergleichsweise niedrig.
Schutzsuchende in Deutschland 2022
ZDFheute Infografik
Ein Klick für den Datenschutz
Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Insgesamt gab es im Jahr 2022 knapp 60.000 Schutzsuchende aus Algerien, Georgien, Indien, Marokko, Moldau, Libyen, Mauretanien und Tunesien. Damit haben sie im vergangenen Jahr nur etwa 1,9 Prozent aller Schutzsuchenden in Deutschland ausgemacht. Die Zahl derer, die kurzfristig durch eine Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer schneller abgeschoben werden könnten, wäre also niedrig.
Man könne Asylverfahren auch anders beschleunigen, beispielsweise durch mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder eine andere Priorisierung von Verfahren, meint Marcus Engler. Um das zu tun, müsse man "vor allen Dingen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen" anstatt die "Debatte systematisch zu polarisieren" und so noch mehr Konflikte zu erzeugen.
Und ob abgelehnte Asylsuchende überhaupt abgeschoben werden können, hängt laut Pia Storf auch davon ab, ob es Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsländern gibt.
Mit Material von AFP und dpa