Indien-Reise: Warum es Scholz in Indien schwer haben wird

    Bundeskanzler besucht Indien:Warum es Scholz in Indien schwer haben wird

    Theo Koll
    von Theo Koll
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    Bundeskanzler Olaf Scholz besucht Indien - ein riesiges Land, ein selbstbewusster Partner. Das indische Verhältnis zu Russland ist kompliziert. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

    Viele der derzeitigen Reisen des Kanzlers sind Zeitreisen. So auch die aktuelle Indienreise. Sie führt in mancherlei Hinsicht in die Zukunft der Welt der Zeitenwende. Die Welt des Olaf Scholz nach dem russischen Ukraine-Angriff ist multipolar und Indien ist einer der wichtigsten Pole in dieser Geo-Strategie.
    Noch in diesem Jahr dürfte das riesige Land laut UN-Prognosen China als das bevölkerungsreichste Land der Erde ablösen. Jeder fünfte Mensch ist dann eine Inderin oder ein Inder. Das Land produziert sieben Prozent Wachstum, ist damit die fünftgrößte Industrienation der Welt. Und dennoch wurde es in der komfortablen Welt vor dem russischen Angriffskrieg, wie viele andere Staaten des sogenannten "globalen Südens", von der westlichen Welt eher vernachlässigt.

    Knackpunkte im deutsch-indischen Verhältnis

    Mit dem Ergebnis, dass die heutige Kanzlerreise in vielfacher Hinsicht in ein ambivalentes politisches Terrain führt:
    • Die größte Demokratie der Welt wird durch wachsenden Hindu-Nationalismus, unter Druck geratende Grundrechte und abnehmende Pressefreiheit immer weniger demokratisch. Zentralbank und Wahlkommission verlieren immer mehr ihre Unabhängigkeit.
    • Indien versteht sich nicht als Teil des "westlichen" Lagers. Und ist gleichzeitig strategischer Partner des Westens im wachsenden Systemwettbewerb mit China.
    • Indien kauft seit Jahrzehnten seine Rüstungsgüter in Russland und hat sich - obwohl ein starker Verfechter nationaler Unabhängigkeit - bei den UN-Resolutionen enthalten.
    • Indien hat beim G-20 Gipfel in Bali maßgeblich mitgeholfen, die russische Aggression mit klaren Worten zu verurteilen. Und gleichzeitig profitiert Indien massiv von den Sanktionen gegen Russland. Der Import von billigem russischen Öl hat sich vervielfacht. Das hilft wiederum Putin und schwächt die Wirkung der Sanktionen. Es wäre erstaunlich, wenn das beim Kanzlerbesuch kein Thema wäre.
    Bei der hindu-nationalistischen Kaderorganisation RSS "Nationale Freiwilligenorganisation" herrscht Drill.
    Unter der Regierung des indischen Premierministers Narendra Modi und seiner BJP-Partei geraten Andersgläubige und Andersdenkende unter Druck. Nur Hindus sollen in Indien herrschen.13.05.2022 | 43:56 min

    Warum sich Indien nicht von Russland abwenden wird

    Für das selbstbewusste Indien zählt die eigene Unabhängigkeit - und die Mehrung des Wohlstands. 400 Millionen Menschen hat Indien schon aus der Armut geführt. Der deutsche Gast muss für all das Verständnis mitbringen, denn er kommt als Werber. Als Werber um einen politischen Partner, der nicht leicht - und schon gar nicht schnell - gewonnen werden kann.
    Indien wird sich nicht von Russland abwenden, dafür sind die Abhängigkeiten, Eigeninteressen und Profite zu groß. Eher ist es ein Werben um Werte, um eine Wertegemeinschaft, um eine gemeinsame Zukunft. Reisen in der Zeitenwende sind vielschichtiger und weniger eindeutig geworden.
    Aber natürlich geht es auch um Wirtschaft - im Regierungsflieger befindet sich eine stattliche Wirtschaftsdelegation. Da geht es um ein milliardenschweres U-Boot-Geschäft, um Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen, um Mobilität für IT-Fachkräfte - und auch um das Freihandelsabkommen mit der EU. Das ist dann schon fast wieder die vertraute alte Welt.
    Theo Koll ist Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios.

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