Was Ruttes Rückzug bedeutet:"Teflon-Mark" überrascht ein letztes Mal
von Gunnar Krüger
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Sie nannten ihn Deal-Maker, Teflon-Mark, Duracell-Hase: Mark Rutte führte vier Koalitionen, einige Skandale - und stand immer wieder auf. Warum nach fast 14 Jahren Schluss ist.
Die Regierung um Ministerpräsident Mark Rutte ist am Streit um die Einwanderungspolitik zerbrochen.
Da ist dieses Video, in dem die anderen Spielzeugtiere rätseln, warum der rosa Plüsch-Hase mit der Batterie im Rücken schon so viele Jahre durchhält. So ähnlich fühlt es sich an, am Tag, an dem Mark Rutte seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Der Dauerpremier der Niederlande wäre im Vergleich der Hase, die anderen sind die von der Ankündigung völlig überraschten Politik-Analysten.
"Rutte war besonders gut darin, Probleme zu lösen, Koalitionen zu schmieden, wenn es Gegenwind gab", sagt Sarah de Lange von der Uni Amsterdam gegenüber ZDFheute.
Regierungsbündnis hielt nur 18 Monate
"Deal-Maker" nannten ihn Medien, oder auch "Teflon-Mark", weil Skandale, wie der ums Kindergeld, an ihm abtropften. Dabei wurden tausende Familien zu Unrecht des Sozialbetrugs verdächtigt.
Vier Regierungen trugen Ruttes Namen. Die letzte bestand aus seiner eigenen rechtsliberalen Partei (VVD), den Christdemokraten (CDA), den Linksliberalen (D66) und der strenggläubigen Christen-Unie. Doch das Bündnis hielt nur knapp 18 Monate.
Parallelen zu Deutschland sind offensichtlich: Die Regierung galt beim Bürger als zerstritten, der Zustrom von Asylbewerbern bringt Gemeinden an die Grenzen - und Populisten profitieren in Umfragen.
Ruttes Parteienbündnis an Asyl-Streit gescheitert
Rutte hatte Einschränkungen beim Familiennachzug für Asylbewerber gefordert und drohte mit dem Bruch der Koalition. "Freitag wurde dann sehr klar, dass dieses Spiel niemand gut fand", so Politologin de Lange.
Die Unterstützung für Ruttes politische Führungsrolle schwand. Rutte kam einem Misstrauensvotum ohne Fraktionszwang zuvor: "Das wäre die größte Blamage gewesen." Folge von Ruttes Rückzug sei sehr wahrscheinlich "ein massives Erdbeben in der niederländischen Politik."
De Lange erwartet "großen Umbruch" im Parlament
Die Analyse der Politologin fußt auf Geschichte: Rutte war fast 14 Jahre im Amt. Nicht einmal Vorgänger wie Wim Kok oder Peter Balkenende blieben länger. Doch nach langen Amtszeiten passiere immer dasselbe: "In den Wahlen danach folgte ein großer Umbruch im Parlament, mit einer komplett neuen Zusammensetzung und neuen Regierungskoalitionen."
Offen ist, welche Rolle die Bauern-Bürger-Bewegung darin spielt. Niederländische Bauern wehren sich gegen Pläne, die Zahl der Nutztiere zu reduzieren. Die BBB stieg auch auf, weil sie Grenzwerte für den Stickstoff-Ausstoß kurzerhand zu einer politischen Frage erklärte.
In Umfragen liegt sie mit 23 Sitzen auf dem zweiten Platz hinter Ruttes Rechtsliberalen - vor dessen Rücktritt. Die zweite Kammer hat 150 Sitze. BBB-Vorsitzende Caroline von der Plas signalisierte bereits, sie könne Premier.
Neuwahlen in Niederlanden wohl erst im November
Ein Erfolg der BBB oder anderer Parteien, die noch weiter rechts stehen, hätte Auswirkungen auch auf die EU.
Denn andere in der extrem zersplitterten Parteienlandschaft wappnen sich, tauschen die Führung aus, verbinden sich zu Listen - wie Grüne und Sozialdemokraten. "Es kann auch sein, dass die Linke in den Wahlen profitiert", so de Lange.
Auch wenn er nun nicht erneut ins Amt will, eine Weile wird Mark Rutte noch durchhalten müssen - als geschäftsführender Ministerpräsident. Neuwahlen sind erst im November wahrscheinlich - und Regierungsbildung kann - angesichts der ungelösten Probleme - viele Monate dauern. Starke Batterien kann Rutte noch einmal gebrauchen.
Gunnar Krüger ist Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.
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