Nord-Stream: Saboteure nutzten wohl gestohlene Identität

    Exklusiv

    Nord-Stream-Anschlag:Saboteure nutzten wohl gestohlene Identität

    von Liliana Botnariuc, Julia Klaus, Nils Metzger, Christian Rohde
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    Die Nord-Stream-Attentäter nutzten einen gefälschten Pass. ZDF frontal und "Spiegel" haben den Mann besucht, dessen Daten offenbar gestohlen wurden. Eine Spurensuche.

    Bug des Segelschiffs Andromeda in der Ostsee mit Wellengang
    Wer steckt hinter den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines? Für deutsche Ermittler verdichten sich die Spuren in Richtung Ukraine - eine Spurensuche auf der Ostsee.25.08.2023 | 36:08 min
    Wer steckt hinter der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines? Seit fast einem Jahr ermitteln Fahnder des Referats ST 24 im Bundeskriminalamt, Beamte der Bundespolizei und des Generalbundesanwalts - gegen Unbekannt.
    Im Fokus der deutschen Ermittler stehen die Segeljacht "Andromeda", mit der ein Kommando den Sprengstoff in der Ostsee verlegt haben soll und Spuren in die Ukraine. Doch wie schwer es ist, sichere Schlüsse aus den vielen losen Informationen zu ziehen, zeigt eine Spurensuche von ZDF frontal und dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" durch halb Europa.
    Sehen Sie oben die ZDF-frontal-Dokumentation in voller Länge.

    Segeljacht "Andromeda" mit Fake-Pass angemietet

    Als die sechs mutmaßlichen Saboteure am 6. September 2022 auf Rügen die "Andromeda" übernehmen, legen sie beim Anbieter einen rumänischen Pass vor. Seine Nummer: 055227683, der angegebene Name lautet: "Stefan Marcu". Wer ist der Mann?
    Wir suchen und finden ihn - in der Mittagshitze eines kleinen Dorfs in der Republik Moldau, nahe der Hauptstadt Chisinau.
    Stefan Marcus Passdaten wurden für die Sabotage an Nord Stream gestohlen.
    Der Ingenieur Stefan Marcu in Moldau: Seine Passdaten wurden für die Sabotage an Nord Stream gestohlen.
    Quelle: ZDF

    Vom Nord-Stream-Anschlag "aus der Presse erfahren"

    Der Ort Goianul Nou hat kaum 1.000 Einwohner, die Grenze zur Ukraine ist weniger als 50 Kilometer entfernt. Hier wohnt Stefan Marcu mit seiner Familie in einem neuen, zweistöckigen Haus. In kurzen Hosen und Badeschlappen öffnet er ein Tor zu seinem Grundstück und bittet das Reporter-Team in den Garten, um ungestört reden zu können. Marcu ist Ingenieur. Zum Zeitpunkt der Sabotage sei er nicht außer Landes gewesen, erzählt er.

    Ich war im September '22 in Moldau und habe gearbeitet. Von der Nord-Stream-Explosion habe ich aus der Presse, aus Nachrichtenquellen, Fernsehen und Radio erfahren.

    Stefan Marcu

    Die Passnummer sei ihm bekannt - es handele sich um die Nummer seines im Oktober 2022 abgelaufenen rumänischen Passes. Zuletzt genutzt habe er ihn im Jahr 2019 für einen Urlaub, so Marcu. Den alten, ungültig gemachten Pass habe er verbrannt.
    Erst durch Journalisten des Investigativmediums "Rise Moldova" habe Marcu erfahren, dass seine Daten im Zusammenhang mit dem Angriff auf Nord Stream genutzt wurden. Dazu habe ihn bislang keine Behörde kontaktiert. Wo und wie seine Daten entwendet worden sein könnten, sei ihm ein Rätsel.
    Segelyacht Andromeda auf dem Trockendock
    Die Sabotage an den Gas-Pipelines von Nord Stream in der Ostsee birgt immer wieder neuen politischen Sprengstoff. Jetzt schlägt eine verdächtige Segelyacht hohe Wellen.14.03.2023 | 11:18 min

    Die Suche nach Waleri K. und die DNA-Probe 

    Das Foto in dem verfälschten Pass zeigt auch nicht Marcu, sondern einen deutlich jüngeren Mann. Bei ihm handelt es sich offenbar um Waleri K. aus der ukrainischen Stadt Dnipro. K. könnte mit dem Team an Bord der "Andromeda" in Verbindung gestanden haben, sagen Ermittler. Sicher ist das nicht.
    Von K. lassen sich Bilder in Uniform und digitale Hinweise auf die 93. Mechanisierte Brigade der ukrainischen Armee finden. Auch Verwandte bestätigten, dass Waleri K. in der ukrainischen Armee diente, er soll sogar einen Tauchlehrgang besucht haben. Die deutschen Ermittler haben K. schon länger im Blick. Der für die Ermittlungen zuständige Generalbundesanwalt informierte den Innenausschuss des Bundestages im Juni, dass man eine möglicherweise tatbeteiligte Person nahezu sicher identifiziert habe.
    Der Verdächtige Waleri K. in Tarnkleidung und mit Waffe in der Hand, offenbar bei den ukrainischen Streitkräften.
    Das Foto soll den Ukrainer Waleri K. zeigen: Sein Bild soll in dem gefälschten Pass gewesen sein, mit dem die jacht "Andromeda" angemietet wurde.
    Quelle: ZDF

    Gibt es Videoaufnahmen der Crew aus Polen?

    Nach Erkenntnissen von "Spiegel" und ZDF gehen deutsche Ermittler davon aus, dass sich das Sabotage-Team vor und nach den Anschlägen in der Ukraine aufgehalten hat. Entsprechende technische Spuren sollen vorliegen. Möglicherweise gibt es auch Videoaufnahmen aus dem polnischen Hafen Kolberg, an dem die Crew zwölf Stunden stoppte. Polnische Behörden schweigen dazu, teilten aber mit, dass Grenzbeamte die Crew kontrolliert hätten.
    Zu Waleri K. haben Ermittler bereits im Mai 2023 in Frankfurt an der Oder eine Wohnung durchsucht und eine DNA-Probe sichergestellt. Die Fahnder befragten eine frühere Partnerin von K., mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. Eine Übereinstimmung mit DNA-Spuren von der "Andromeda" fanden die Ermittler nach unseren Recherchen aber nicht. 
    Eurofighter der NATO über der Ostsee
    Die Ostsee wird immer mehr zum NATO-Gewässer und Russlands Zugänge kleiner. Mit Abfangjägern und Minentauchern versucht die NATO, ihre Gebiete in der Luft und unter Wasser zu schützen.10.08.2023 | 18:01 min

    Werden die Attentäter jemals vor Gericht stehen?

    In der Ukraine selbst können die Deutschen nur schwerlich ermitteln. Die Bundesregierung scheut bisher ein Rechtshilfeersuchen an die Ukraine, wohl weil die deutschen Ermittler dann preisgeben müssten, was sie wissen. Offiziell hat die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj bestritten, dass die Ukraine in den Anschlag verwickelt ist. Doch Berlin traut Kiew nicht.
    Offen reden über die bisher gewonnen Fahndungsergebnisse will das Kanzleramt nicht. Stets wird auf die unabhängigen Ermittler der Bundesanwaltschaft verwiesen. Man müsse deren Ergebnisse abwarten. Doch weil laut Ermittlern immer mehr Spuren in die Ukraine führen, steigt auch der Druck, offiziell Stellung zu beziehen - selbst wenn die Täter nie vor einem deutschen Gericht landen.  
    Mehr zum Wissensstand der Ermittler finden Sie hier:

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