Fluchtbewegungen: Die Teufelskreise der Migrationspolitik
Fluchtbewegungen Richtung Europa:Die Teufelskreise der Migrationspolitik
von Jan Schneider
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Es kommen wieder mehr Migranten über das Mittelmeer nach Europa, Politiker fordern Obergrenzen und Kommunen klagen über die Belastung. Was könnte helfen, um das Problem zu lösen?
Die gefährlichsten Fluchtrouten der Welt führen über das Mittelmeer. Trotzdem begeben sich wieder mehr Menschen auf diesen Weg.
Quelle: dpa
Migration und Flüchtlingsströme sind ein Thema, das spätestens seit 2015 in unregelmäßigen Abständen die Nachrichten bestimmt - entweder, wenn Parteien und Politiker versuchen, sich im Wahlkampf mit neuen Konzepten oder drastischen Forderungen zu profilieren. Oder wenn besonders viele Menschen die gefährlichen Wege nach Europa einschlagen und die bestehenden Maßnahmen für deren Aufnahme und Verteilung an ihre Grenzen oder darüber hinaus bringen.
Aktuell passiert beides gleichzeitig: In Bayern hat Ministerpräsident Markus Söder die alte CSU-Forderung einer Migrations-Obergrenze nochmal aus der Schublade geholt und aus Nordafrika machen sich wieder mehr Menschen auf den Weg über das Mittelmeer - mehr als 5.000 kamen allein in Lampedusa in der letzten Woche an einem Tag an.
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Wieso funktioniert die Migrationspolitik der EU nicht?
Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, Migrationspolitik als das zu betrachten, was sie ist: Ein Mittel, um die Folgen anderer Krisen zu lindern. Flüchtlingsbewegungen entstehen nicht einfach so, sondern sind das Resultat von Katastrophen, Politikversagen oder anderer widriger Umstände in den Herkunftsländern der Migranten. Um daran etwas zu ändern, müsste sich "das große Ganze" verändern, meint Victoria Rietig, Leiterin des Migrationsprogramms bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik:
Die Menschheit müsste aufhören, Kriege zu führen und der Planet aufhören zu verbrennen, Stichwort Klimawandel. Das würde die Migrationsströme sehr stark verringern.
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Victoria Rietig, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
Da das jedoch von der Realität meilenweit entfernt ist, versucht Migrationspolitik, die Symptome der weltweiten Krisen beherrschbar zu machen - und das klappt leider immer schlechter.
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Was sorgt aktuell für die "großen" Flüchtlingsströme?
Im ersten Halbjahr 2023 wurden nach Angaben der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) rund 519.000 Asylanträge in der Europäischen Union gestellt. Die meisten Antragsteller*innen kamen demnach aus Syrien (rund 66.600 Asylbewerber*innen), Afghanistan (55.000), Venezuela (36.500) und der Türkei (34.000). Hinzu kommen noch fast sechs Millionen Menschen aus der Ukraine, die vor Russlands Angriffskrieg geflohen sind. Die Gründe, sein Heimatland zu verlassen, sind sehr vielfältig. Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan haben in der EU gute Chancen auf Anerkennung ihres Asylgesuchs, da die Situation vor Ort als nicht sicher eingestuft wird.
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Hinzu kommt die sogenannte "Sekundärmigration", erklärt die Leiterin des Forschungsbereichs Flucht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Petra Bendel. Das bedeutet, dass Menschen, die bereits aus ihrer Heimat in ein anderes Land geflohen sind, nun weiterziehen, weil auch dort die Situation kein sicheres Leben mehr ermöglicht. Das sei zum Beispiel aktuell der Fall in Tunesien, wo Migranten aus Ländern südlich der Sahara teilweise verfolgt und bedroht würden.
Doch auch innerhalb der EU gibt es Migrationsströme: Viele Migranten, die in Italien oder Griechenland untergebracht wurden, versuchen weiterzuziehen, um etwa nach Deutschland zu kommen. Ein Grund dafür sei, dass die Erstaufnahmeländer sich nicht an geltendes Recht halten und die Migranten nicht adäquat versorgen, so Bendel.
Was könnte helfen, um Migrationsströme besser zu bewältigen?
Es gibt nicht "den einen Königsweg", um Migrationsbewegungen und Fluchtursachen effektiv und nachhaltig zu bearbeiten, sagt Migrationsexpertin Bendel.
Wenn wir seriös sind, kommen wir nicht mit dem einen Heilsversprechen.
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Petra Bendel, Institut für Politische Wissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Es gibt aber Konzepte, wie Migrationsströme besser bewältigt werden könnten, als das aktuell der Fall ist:
Migrationspartnerschaften: Oft wird zur Steuerung von Migrationsströmen über sogenannte Migrationspartnerschaften gesprochen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der "Flüchtlingsdeal" zwischen der EU und der Türkei, der 2016 geschlossen wurde. Eine ähnliche Erklärung wird nun auch mit Tunesien geplant, wobei es dort an der Ausgestaltung der Vereinbarung einige Kritik gibt. Das Problem an solchen Abkommen ist: Die Zahl der Staaten, die dafür infrage kommen, ist gering. Die EU würde zum Beispiel kein solches Abkommen mit Machthaber Assad in Syrien oder den Taliban in Afghanistan abschließen:
Wer Migrations-Außenpolitik oder Migrationsdiplomatie betreibt, muss tunlichst aufpassen, dass er nicht in die Fänge von Autokraten gerät, die dann im Zweifelsfall Deutschland und Europa auch noch erpressen mit neuen Migrationsbewegungen.
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Petra Bendel, Institut für Politische Wissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Weitere Optionen sind Schutz- und Förderprogramme für den globalen Süden, die bessere Unterstützung der Erstaufnahmestaaten in und außerhalb von Europa. Die konsequente Ahndung von Rechtsbrüchen in der EU sowie effektive Rückführungen von Migranten, die kein Bleiberecht erhalten.
Würde es helfen, das Asylrecht neu zu denken?
Das aktuelle Asylrecht hat viele Kritiker: Es sei inhuman, bevorzuge nur die Stärksten und sei am Ende auch lebensgefährlich, da Menschen ihren Asylantrag erst dann stellen können, wenn sie europäischen Boden berühren und dafür die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer in Kauf nehmen müssen. Eine Änderung dieser Praxis fordert etwa der niederländische Migrationsforscher Ruud Koopmans.
Er schlägt vor, dass Menschen von außerhalb Europas Anträge auf Asyl stellen können und dort auf das Ergebnis der Prüfung warten. Bei positivem Bescheid könnten sie dann regulär in die EU einreisen. Die Migrationsströme wären damit vorhersehbarer und würde durch bessere Integration zu weniger Konflikten führen.
Diesen Vorschlag hält auch Expertin Rietig für teilweise sinnvoll. Die Migrationsströme über das Mittelmeer würde es jedoch vermutlich nicht beenden, meint sie. Abgelehnte Asylbewerber oder Menschen mit geringen Chancen auf Asyl könnten die gefährliche Reise dennoch antreten und dann versuchen, unerkannt in Europa zu leben, ähnlich wie die rund 11 Millionen Einwanderer ohne Papiere in den USA.
Und was passiert mit den Menschen, die schon da sind?
Die Menschen, die schon in Europa oder eben in Deutschland sind und deren Rückkehr auch langfristig unwahrscheinlich ist, müssen integriert werden. Um das besser zu schaffen - da sind sich beide Expertinnen einig - müssen die Kommunen langfristig entlastet werden. Geld vom Bund sei dabei aber nur die halbe Miete:
Geld ist gut, aber es geht auch um Infrastruktur. Wir sind teilweise über die Grenze unserer Leistungsfähigkeit gegangen.
Deutschland bräuchte eine funktionierende Verwaltung, mehr Schulen, Digitalisierung, damit das funktioniert.
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Victoria Rietig, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
Um die Integration schon vor der Ankunft zu fördern, gibt es zum Beispiel Projekte, die Menschen in ihren Heimatländern eine Berufsausbildung bieten, und für jene, die ihr Land verlassen wollen, auch Sprachkurse anbieten. Damit verringert sich der sogenannte "brain drain", also die Abwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften, und die Menschen haben weniger Schwierigkeiten mit der Anerkennung ihrer Ausbildung und verfügen über Sprachkenntnisse. Denn gut ausgebildete Fachkräfte benötigen fast alle europäischen Länder, selbst Italien, das sich so publikumswirksam gegen jede Form der Migration wehrt.
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