Sachsen über Flüchtlinge: Wir laufen zielgenau auf Limits zu

    Interview

    "Irreguläre Migration stoppen“:Schuster fordert Kanzler zum Handeln auf

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    Sachsen hat seine Aufnahmekapazität für Flüchtlinge von 4.000 auf 10.000 Plätze erhöht. Mehr gehe nicht, sagt Innenminister Schuster im ZDF-Interview. Zelte seien menschenunwürdig.

    Armin Schuster
    Der Innenminister von Sachsen, Armin Schuster, fordert in punkto Flüchtlinge klare Entscheidungen des Kanzlers.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Wie ist die aktuelle Situation in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen in Ihrem Bundesland?
    Armin Schuster (CDU), Innenminister Sachsen: Der Migrationsdruck ist anhaltend hoch. Wir befürchten, dass der Druck jetzt, wenn die wärmeren Monate kommen, noch größer wird. Das ist keine normale Lage. Ich bin Kommunalminister, ich muss den Blick auf die Kommunen haben. Und dort laufen wir zielgenau auf die Limits zu. Die Frage der Unterbringung ist kaum noch zu stemmen, ohne auf Notunterkünfte zu gehen.

    Und spätestens jetzt muss der Bundeskanzler die Führung im Kanzleramt endlich übernehmen. Zelte, Containerdörfer oder Turnhallen sind nicht menschenwürdig.

    Armin Schuster (CDU), Innenminister Sachsen

    ZDFheute: Wie sähe denn eine Kommune aus, nachdem sie ihr Limit erreicht hat?
    Schuster: Danach haben wir an Orten, die sonst niemand mit Verstand auswählen würde Zelte. Danach haben wir an Orten, die man sonst nicht mit Klugheit auswählen würde Containerdörfer. Danach haben wir Turnhallen belegt. Das ist der rote Bereich.
    ZDFheute: Es wird am 10. Mai einen Flüchtlingsgipfel mit dem Kanzler geben.
    Schuster: Das ist mir viel zu spät. Er könnte jetzt kurzfristig wirkende Maßnahmen ergreifen, um diesen Zustrom irregulärer Migration zu stoppen. Dazu scheint die Ampel-Regierung in Berlin nicht die Kraft zu haben, weil auch da die drei Parteien völlig unterschiedliche Wege laufen.

    Das ist die klassische Situation für einen Bundeskanzler. Aber wir spüren ihn nicht.

    Armin Schuster (CDU), Innenminister Sachsen

    Auf dem Bild ist eine ukrainische Pflegekraft bei der Arbeit zu sehen.
    Über eine Million ukrainische Flüchtlinge sind bereits in Deutschland registriert. 23.02.2023 | 1:50 min
    ZDFheute: Wieso hat Deutschland so große Probleme? Von anderen Ländern hört man das nicht.
    Schuster: Wir schultern einen großen Anteil der ukrainischen Geflüchteten, aber nicht der Rest von Europa. Wir haben über eine Million ukrainische Flüchtlinge in Deutschland untergebracht. Dadurch haben wir jetzt weniger Möglichkeiten für Geflüchtete aus anderen Ländern. Wir halten das nicht unbegrenzt durch. Diese Einsicht muss die Bundesregierung noch gewinnen.
    ZDFheute: Und Ihre Vorschläge?
    Schuster: Aussetzen von freiwilligen Aufnahmeprogrammen. Familiennachzug begrenzen. Der Bund muss in die Unterbringung von Geflüchteten einsteigen. Der neue Rückführungsbeauftragte muss schnell Verträge machen mit Zielländern. Dann wäre es auch logisch, wenn der Bund sich um diese Menschen in eigenen Bundes-Abschiebezentren kümmert. Ich glaube, der Bund muss Farbe bekennen in Europa. Das spüre ich überhaupt nicht.

    Wie ich überhaupt das Problem habe, dass Deutschland nicht versucht, Koalitionen zu schmieden mit Italien, Schweden, Österreich, Frankreich et cetera um voranzugehen. Dafür müsste die Bundesregierung ihre Solofahrt aufgeben.

    Armin Schuster (CDU), Innenminister Sachsen

    ZDFheute: In verschiedenen Städten gibt es mittlerweile zunehmende Proteste gegen Flüchtlingsheime. Sogar Stadtparlamente werden bedrängt, Mandatsträger eingeschüchtert. Wie reagiert die sächsische Regierung darauf?
    Schuster: Wir haben ein Schutzkonzept für Mandats- und Amtsträger entwickelt. Wir wollen die Nähe zwischen den Verwaltungen der Kommunen und der Polizei herstellen. Wir müssen die Kommunen auch beraten. Wie könnte man mit so einer Situation umgehen? Wer darf wann ins Rathaus, wer ist Einwohner und wer nicht?
    Wir haben ja das Thema, dass da die Rechtsradikale Bewegung "Freie Sachsen", die mit der Gemeinde ansonsten nichts zu tun hat, durchs Land reist und Demonstrationen organisiert, vor Rathäusern mit Menschen, die nicht aus dieser Gemeinde kommen. Damit müssen wir neu umgehen.
    ZDFheute: Was heißt das?
    Schuster:

    Wenn jemand sich bedroht fühlt, dann darf der Hilferuf nicht ungehört verhallen.

    Armin Schuster (CDU), Innenminister Sachsen

    Und da müssen wir ran. Es gibt ja leider auch in Sachsen prominente Politikerinnen und Politiker, die davon schon betroffen waren. Aber das ist nicht nur eine Frage der Spitzenpolitik. Das trifft heute eine Gemeinderätin, eine Ortschaftsrätin in irgendeinem Dorf genauso. Und da müssen wir parat stehen. Also das ist eine starke Aufgabe für die Polizei.
    Das Interview führte Stefan Kelch.

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