"Zusammenhang mit Zuwanderung":Lang widerspricht Lindners Kinderarmuts-These
von Dominik Rzepka
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Ampel-Streit: Finanzminister Lindner sieht einen Zusammenhang zwischen der Zuwanderung seit 2015 und Kinderarmut. Grünen-Chefin Lang widerspricht: Das Problem bestehe schon länger.
Grünen-Chefin Ricarda Lang widerspricht Christian Lindner (Archivbild).
Quelle: Julian Weber/dpa
Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hat die Aussagen von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zur Kinderarmut gekontert. "Verschiedene Zahlen zeigen uns, dass wir ein Problem mit verfestigter Kinderarmut schon seit längerer Zeit hier in Deutschland haben", sagte Lang ZDFheute. Deswegen sei es auch wichtig, sich noch in diesem Monat auf eine Kindergrundsicherung zu einigen.
Lindner sieht Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Migration
Lindner hatte am Wochenende gesagt, die Kinderarmut in Deutschland sei deutlich zurückgegangen "bei den ursprünglich deutschen Familien." Insgesamt sei sie aber "indiskutabel hoch wegen der Familien, die seit 2015 neu nach Deutschland eingewandert sind als Geflüchtete oder aus anderen Gründen." Lindners Fazit:
"Erst einigen, dann öffentlich reden", mahnt Kanzler Scholz. Doch der Ampelzoff um die Kindergrundsicherung geht weiter. 21.08.2023 | 2:07 min
Woher kommen Lindners Zahlen?
Lindner hatte gesagt, er wolle gerne diskutieren, wie man diesen Kindern und Jugendlichen am besten helfen könne. Vielleicht helfe man ihnen am besten, wenn man in die Sprachförderung, Integration und Beschäftigungsfähigkeit der Eltern investiere. Auch eine bessere Ausstattung von Kitas und Schulen könne besser sein, als Eltern mehr Geld zu überweisen.
ZDFheute hat Christian Lindner gefragt, welche Zahlen er verwende. Ein Sprecher seines Ministeriums antwortet, Lindner berufe sich auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Dort will man die Schlussfolgerung Lindners, also einen Zusammenhang zwischen Migration und Kinderarmut, nicht kommentieren. Eine Sprecherin verweist aber auf folgende Zahlen:
Im Jahr 2015 haben etwa 1,5 Millionen Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit Hartz IV bezogen.
Im März 2023 waren es nur noch circa 1,02 Millionen Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit (aus Hartz IV ist inzwischen das Bürgergeld geworden).
Im Jahr 2015 haben 366.000 Kinder mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit Hartz IV bezogen.
Im März 2023 hat sich deren Anzahl auf 933.000 erhöht.
Widerspruch von Ökonom Fratzscher
Laut dem Ökonomen Marcel Fratzscher belegen diese Zahlen aber nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen Migration und Kinderarmut gebe. Schließlich sei statistisch gesehen arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Weil aber seit 2015 "noch ärmere Menschen hinzugekommen sind", sinkt das mittlere Einkommen.
Fratzscher kritisiert Lindner für seine Aussagen vom Wochenende: "Armut ist Armut. Es ist moralisch, wirtschaftlich und sozial irrelevant, welche Hautfarbe, Herkunft etc. ein von Armut betroffenes Kind hat", schrieb Fratzscher auf X, dem früheren Twitter.
Die Herkunft eines betroffenen Kindes ändere auch nichts an der Notwendigkeit, dessen Armut zu bekämpfen. "Bessere Kitas, Schulen und Chancen im Arbeitsmarkt sind kein Ersatz für ausreichende finanzielle Hilfen."
"Die Kindergrundsicherung ist ein gemeinsames Projekt von SPD, FDP und Bündnis 90/Grünen", so Britta Haßelmann, B'90/Grüne-Fraktionsvorsitzende.21.08.2023 | 7:03 min
Linke: "Eine Unverschämtheit"
Kritik an Lindner kommt auch von Linken-Parteichefin Janine Wissler. Das Problem der Kinderarmut in Deutschland sei nicht importiert, wie der Finanzminister nahelege. In Deutschland sei jedes fünfte Kind armutsgefährdet. Besonders betroffen seien die Kinder von Alleinerziehenden, so Wissler am Montag in Berlin.
Lindners Argumentation gegen die Kindergrundsicherung lege nah, dass Eltern das Geld selbst benutzen und es nicht den Kindern zugute kommen lassen würden. Das sei eine Unverschämtheit gegenüber den Eltern. Wissler forderte die Ampel auf, die versprochene Kindergrundsicherung schnell einzuführen.
Bei diesem Thema streitet die Ampel seit Monaten. Vergangene Woche hatte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ein Gesetz von Finazminister Christian Lindner (FDP) blockiert und an die Einführung der Kindergrundsicherung geknüpft. Anders als Lindner fordert Paus insgesamt mehr Geld für arme Kinder. Der Streit in der Ampel ist bisher nicht gelöst. Und die Spannungen in der Ampel haben durch Lindners Aussage am Wochenende noch einmal zugenommen.
Fehlstart nach der Sommerpause: Die Ampel streitet, Ministerin Paus blockiert Minister Lindner. Das ist ein Affront auch gegen den Kanzler, sagt Politikwissenschaftlerin Römmele.