Leipzig: Eskalation bei Demonstraion für Lina E. bleibt aus

    Proteste in Leipzig:Demo-Strategie der Polizei ist aufgegangen

    von Jonas Helm und Nils Metzger
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    Zwar sind die "TagX"-Demonstrationen in Leipzig nicht friedlich verlaufen, die befürchtete große Eskalation blieb aber aus. Das liegt auch an einer gezielten Strategie der Polizei.

    Polizisten setzen eine Person beim Protest in Leipzig fest
    Die befürchtete Eskalation in Leipzig ist am Samstag ausgeblieben.
    Quelle: Reuters

    In den Tagen zuvor hatten Sicherheitsbehörden und Medien dramatische Zustände für Leipzig in Aussicht gestellt. Nach den Urteilen gegen mehrere Linksextremisten um Lina E. wegen Gewalttaten sollte Samstag der "Tag X" werden - der Tag, an dem es die extreme Linke dem Staat heimzahlt und ihre Schlagkraft unter Beweis stellt.
    Verwüstete Geschäfte, Straßenschlachten im ganzen Stadtzentrum, eine Beeinträchtigung des gleichzeitig stattfindenden Stadtfestes - das war befürchtet worden. Am Tag danach ist klar: dieses Horrorszenario ist nicht eingetreten.
    Es gab Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten, Steinwürfe, einzelne Verletzte und in der Nacht brennende Barrikaden von teils eher symbolischer Größe. Auf Pressefotos mag das dramatisch aussehen, doch der Umfang der Ausschreitungen blieb am Samstag und in der Nacht zu Sonntag weit hinter dem befürchteten Ausmaß zurück.

    Behörden ließen keine Demos durch die Stadt zu

    Eine große Rolle spielte dabei, dass Versammlungsbehörden und Polizei den Aktivisten keine Gelegenheit gaben, durch die Stadt zu marschieren. Die eigentliche große "Tag X"-Demonstration war schon Tage zuvor verboten worden, auch ein Einwand beim Bundesverfassungsgericht änderte daran nichts.
    Was blieb, war eine Kundgebung am späten Nachmittag auf dem Alexis-Schumann-Platz in der Leipziger Südvorstadt - dem Stadtteil direkt nördlich des Linken-Viertels Connewitz. Auch dieser Demonstration untersagten die Behörden einen Demo-Zug, umstellten den Platz stattdessen mit einem Großaufgebot von Polizeikräften aus mehreren Bundesländern, Wasserwerfern und Räumpanzern.

    Plötzlich flogen Flaschen, Polizei kesselte Teilnehmer ein

    Noch während die sächsische Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel mit der Polizeiführung darüber verhandelte, ob und wie man nicht doch losziehen könne, starteten einige Dutzend vermummte Linksautonome eine Provokation, die den restlichen Verlauf des Abends bestimmen sollte.
    ZDF-Reporter Thomas Bärsch über die Lage in Leipzig am Samstag:
    In einer Seitenstraße stürmen sie auf ein einzelnes, geparktes Polizeiauto zu, bewarfen es mit Flaschen und Böllern. Die Beamten darin rasten davon, wenige Sekunden später stürmte eine Front aus behelmten Polizisten mit gezücktem Schlagstock auf die Menge los und drängt sie zurück auf den Platz.
    Für die Polizei ist das ein eingeübtes Vorgehen, martialisches Auftreten und Rumschreien inklusive. Jeder Steinwurf wurde zum Anlass genommen, weiter auf dem Platz vorzurücken, bis schließlich auf einer Grünfläche am Rande laut Polizeiangaben bis zu 1.000 größtenteils schwarzvermummte Demonstranten eingekesselt und festgehalten wurden. Nach kaum 30 Minuten war die Lage wieder stabilisiert.

    Polizei wollte linke Demonstranten vor Ort binden

    Trotz dieser Gewalt ließ die Polizei den Platz nicht räumen. Auch die Wasserwerfer kamen nicht zum Einsatz. Offenbar war der gesicherte Kessel genau der Ort, an dem die Polizei die Demonstranten haben wollte. Von allen sollten Personalien aufgenommen werden und überprüft werden, ob Hinweise auf Straftaten vorliegen.
    Dafür notwendig war eine aufwändige Polizei-Logistik mit Dutzenden Einsatzfahrzeugen. Die Straßenzüge neben dem Kessel wurden für die Nacht zu einer mobilen Polizeidirektion. Eile hatte die Polizei mit diesem Vorgehen nicht. Denn jede Person, die dort nach und nach durchsucht, fotografiert oder befragt wurde, konnte nicht im Nachbarviertel randalieren, so offenbar das Kalkül.
    Demo-Sanitäter brachten den eingekesselten Demonstranten immer wieder Wasser, auf der Straße gegenüber riefen Unterstützer stundenlang: "Ihr seid nicht allein."

    Connewitz um Mitternacht: Katz-und-Maus von Linken und Polizei

    Die wenige Randale fand darum nach 22 Uhr in Connewitz im Süden von Leipzig statt. Während in den Bars des Viertels zahllose Menschen feiern, schichten autonome Kleingruppen in den Seitenstraßen einzelne Barrikaden auf. Meist sind es nur wenige Gegenstände, Wasserwerfer der Polizei löschten sie teils nach wenigen Minuten - doch nicht immer kommen die riesigen Gefährte in die kleinen Gassen.
    Die wohl größte Barrikade schichten Autonome mit Materialien einer Baustelle nahe einer Polizeiwache in Connewitz auf. Über eine Minute lang versuchten sie anschließend vergeblich, den Haufen voller Holz, Metall und Styropor anzuzünden. "Wer hat hier Feuer", rief eine vermummte Frau mehrfach. Als ein Polizei-Trupp angerannt kam, flohen sie.

    Linken-Politikerin Nagel kritisiert Demo-Verbote

    Das Katz-und-Maus-Spiel zog sich in Connewitz ohne größere Sachschäden oder Verletzte noch über Stunden hin. Hunderte Beamte durchkämmten wieder und wieder jeden Straßenzug. In der Innenstadt, beim Stadtfest oder dem Herbert-Grönemeyer-Konzert mit Zehntausenden Zuschauern bekam man von all dem kaum etwas mit.
    Demo-Poster der Linksextremen in Leipzig
    Die Stadt Leipzig hatte die für Samstag geplante Demonstration von Anhängern der linksextremen Studentin Lina E. verboten. Die Behörden sehen darin die öffentliche Sicherheit gefährdet.02.06.2023 | 1:41 min
    Die Linken-Abgeordnete Nagel äußerte sich am Sonntag auf Twitter ernüchtert. Das "Ausmaß staatlicher Härte auf linke Politik" sei "bedrückend". Sie kritisierte die diversen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Die Entscheidung, keine Demonstrationsroute zuzulassen habe zu der Eskalation beigetragen.
    Eine für Sonntag angekündigte weitere Demonstration gegen Polizeigewalt wurde laut Organisatoren ebenfalls verboten.

    Dass Leute die Lage nutzen, um in Connewitz zu randalieren, ist bescheuert und hilft vor allem den hier Lebenden und Aktiven nicht, im Gegenteil.

    Juliane Nagel, sächsische Landtagsabgeordnete, Die Linke

    In den Sicherheitsbehörden freut man sich hingegen über eine Strategie, die aufging. "Die Großveranstaltungen in Leipzig (…) konnten ohne Störungen stattfinden. Dies werten wir als Einsatzerfolg", heißt es in einer Pressemitteilung der sächsischen Polizei von Sonntag.

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