Kretschmann verteidigt bei "Lanz" EU-Asyl-Kompromiss

    Ministerpräsident über Migration:Kretschmann mahnt: "Irgendwann platzt es"

    von Pierre Winkler
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    Winfried Kretschmann warnt davor, dass Deutschland mit seiner liberalen Migrationspolitik in Europa bald alleine dastehen könnte. Darum begrüßt er den Asylkompromiss der EU.

    Winfried Kretschmann im Gespräch mit Markus Lanz.
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    Krieg in der Ukraine, Verunsicherung wegen des Heizungsgesetzes, Fachkräftemangel, Inflation: Deutschland erlebe gerade einen "Schub an Multikrisen, der Ängste produziert", sagte Winfried Kretschmann am Mittwochabend bei Markus Lanz.
    Und das stärke im Moment auch die AfD: "Die AfD versammelt die Berufspessimisten und Unzufriedenen hinter sich. Aber vor allem kanalisiert sie die Ängste", so der Grünen-Politiker.
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    Kretschmann: Energie, Sicherheit und Wohnen werden noch teurer

    Die Politik müsse als Reaktion darauf "die Dinge so ansprechen, wie sie sind, aber auch nicht übertreiben". Als Beispiel fügte Kretschmann an: "Wir müssen nicht Angst haben, dass alles aus dem Ruder läuft. Aber dass wir materiell mit Wohlstandseinbußen rechnen müssen, ist auch klar."

    Wir müssen für die wichtigen Dinge des Lebens in Zukunft mehr Geld ausgeben als für die weniger wichtigen.

    Winfried Kretschmann, Grünen-Politiker

    Die Deutschen würden in Zukunft noch mehr ausgeben müssen für "Sicherheit in jeder Hinsicht, nach außen und nach innen", genau wie für Energie. Gleiches werde zu beobachten sein "bei einem der wichtigsten sozialen Güter, dem Wohnen".

    Absage an Rente mit 63

    Auf der anderen Seite werde für andere Lebensbereiche weniger Geld übrigbleiben: "Zum Beispiel beim Reisen. Wir wissen, die Deutschen sind ein wirklich reisewütiges Volk. Und das muss man vielleicht mal einschränken", sagte Kretschmann. "Weniger fliegen, zum Beispiel."
    Die sozialen Systeme in Deutschland seien schon heute "gewaltig unter Druck", weshalb Kretschmann zur Rente mit 63 sagte: "Ich glaube nicht, dass wir uns das leisten können."

    Kretschmann lobt Asyl-Kompromiss der EU

    Ein weiteres Riesenthema für Deutschland und Europa: Migration. Kretschmann nannte den Kompromiss der Innenminister auf EU-Ebene einen "sehr, sehr guten Anfang. Ich bin sehr, sehr froh darüber. Denn gerade wir in der Praxis wissen: Nur Europa kann überhaupt einigermaßen Ordnung und Klärung in dieses System bringen."
    Die EU-Mitgliedsstaaten hatten sich in der vergangenen Woche auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geeinigt. Diese sieht vor allem einen deutlich härteren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vor.

    Grüne streiten über Asyl-Kompromiss der EU

    Innerhalb der Grünen führten die Beschlüsse zu offenen Meinungsverschiedenheiten. Omid Nouripour begrüßte den Kompromiss, seine Co-Parteichefin Ricarda Lang kritisierte ihn. Und Jürgen Trittin etwa beklagte, "Europas Flüchtlingspolitik wurde auf ein Niveau der Schäbigkeit harmonisiert".
    Kretschmann entgegnete: "Die sehr liberale Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland wurde gerade mal noch unterstützt von Luxemburg, Portugal und Irland. Das sind jetzt gerade nicht die einflussstärksten Staaten in Europa."
    Die entscheidende Frage sei, ob das Asylrecht trotz der neuen härteren Maßnahmen gewährleistet bleibe. Und das sei so vereinbart.

    Kretschmann: Meisten Flüchtlinge wollen nach Deutschland

    "Wenn wir zum Schluss das einzige Land sind in Europa mit einer liberalen Flüchtlingspolitik, dann wollen ja alle dahin. Das ist ja jetzt schon, dass die meisten nach Deutschland wollen. Irgendwann platzt es, ist doch klar", sagte Kretschmann. "Wenn alle anderen eher zumachen und wir die einzigen sind, die es nicht machen, dann irgendwann funktioniert es nicht mehr."
    Allerdings betonte er, dass es noch viel zu tun gebe, etwa bei der Verteilung der Geflüchteten in Europa. Der Kompromiss sei der "Beginn dessen, dass alle Verantwortung übernehmen müssen. Damit bin ich noch nicht zufrieden, keine Frage, aber es ist immerhin ein Anfang gemacht, denn die Vorstellungen in Europa liegen weit auseinander." Der Kompromiss sei "das Schicksal Europas", anders könne es nicht erfolgreich agieren, so Kretschmann.

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