Gebäudeenergiegesetz:Warum Karlsruhe eingegriffen hat
von Jan Henrich
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Das Bundesverfassungsgericht hat die Abstimmung des Gebäudeenergiegesetzes vorerst gestoppt. Welche Argumente haben dabei eine Rolle gespielt?
Die Karlsruher Richterinnen und Richter haben den Zeitplan für das sogenannte Heizungsgesetz durchkreuzt. Es darf diese Woche nicht im Bundestag verabschiedet werden, so der Beschluss vom späten Mittwochabend.
In der Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht insbesondere abgewogen, zwischen einer möglichen Verletzung demokratischer Abgeordnetenrechte durch eine zu schnelle Abstimmung und dem Recht des Bundestags, den Ablauf von Gesetzgebungsverfahren selbst zu bestimmen.
Welche Rolle hat das Bundesverfassungsgericht bei politischen Prozessen?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich das Bundesverfassungsgericht in politische Prozesse einmischt. Es gehört zu den Kernaufgaben der Karlsruher Richterinnen und Richter zu überprüfen, ob Gesetze mit der Verfassung in Einklang stehen und ob die demokratischen Rechte beispielsweise von Abgeordneten eingehalten sind.
Meist geschieht dies, nachdem der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen ist. Hierbei kann ein Gesetz beispielweise für nichtig erklärt oder sein Inkrafttreten im Eilverfahren vorerst gestoppt werden.
Wie außergewöhnlich ist die Entscheidung?
Allerdings ist es nicht üblich, dass sich das Gericht dabei unmittelbar in zeitliche Abläufe der Parlamentsarbeit einmischt. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Mitteilung selbst anmerkt, gehört die Organisation von Gesetzgebungsverfahren zur Autonomie des Parlaments.
Insoweit handelt es sich bei dem aktuellen Beschluss des Gerichts um einen ungewöhnlichen Vorgang.
Den Stopp aus Karlsruhe deutet Bundestagspräsidentin Bärbel Bas als "ernstzunehmende Warnung":
Es gab allerdings bereits Fälle, in denen Bundestagsabgeordnete eine zu kurze Beratungszeit bei Gesetzgebungsverfahren bemängelt und sich nach Karlsruhe gewandt haben. Zuletzt bei einem Gesetz zum Thema "staatliche Parteienfinanzierung". In seinem Urteil vom Januar 2023 ließ das Gericht allerdings die Frage offen, wann eine "missbräuchliche Beschleunigung" von Gesetzgebungsverfahren vorliegt.
Wie kam das Gericht zu seiner Entscheidungsfindung?
Eine inhaltliche Prüfung des Gebäudeenergiegesetzes hat das Gericht nicht vorgenommen. Entscheidend war eine sogenannte Folgenabwägung. Also die Frage, was schlimmer ist: Das Gesetzgebungsverfahren vorerst zu stoppen oder hinzunehmen, dass Abgeordnete in ihren Rechten verletzt werden könnten?
Vor allem hat das Gericht dabei berücksichtigt, dass das Gesetz auch zu einem anderen Zeitpunkt noch verabschiedet werden kann. Und zwar ohne das geplante Inkrafttreten zum 1. Januar 2024 zu berühren.
Der Bundestag könne noch im laufenden Monat eine Sondersitzung einberufen. Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass auch der Bundesrat noch vor der nächsten regulären Sitzung Ende September tagen kann, wenn die Bundesregierung dessen Einberufung verlangt.
Politologe Karl-Rudolf Korte sieht in dem Eingreifen des Gerichts einen "ganz klaren Ansehensverlust für die Bundesregierung":
Was bedeutet die Entscheidung für die Demokratie und Gewaltenteilung?
Eine allzu grundsätzliche Bedeutung sollte man der Eilentscheidung nicht zuschreiben. Zumal die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes theoretisch bereits in wenigen Tagen nachgeholt werden könnte.
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass demokratische Beteiligungsrechte einzelner Bundestagsabgeordneten zumindest grundsätzlich auch durch einen zu engen Gesetzgebungs-Zeitplan verletzt sein können.
Jan Henrich ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz