Frankreich-Expertin zu Krawallen: Man sieht einfach Wut

    Interview

    Krawalle in Frankreich:Expertin: "Was man sieht, ist einfach Wut"

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    Demos gegen die Rentenpläne, Proteste der Gelbwesten: Hier ging es um politische Forderungen. Bei den aktuellen Krawallen in Frankreich ist das anders, sagt Politologin Demesmay.

    Mariette Slomka spricht im heute journal mit der Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay über die Proteste in Frankreich, 02.07.2023.
    "Es sind junge Menschen und sie haben eigentlich keine politischen Forderungen, sondern was man sieht, das ist Wut und Verwüstung", sagt Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay.02.07.2023 | 5:19 min
    Die Wut, die sich gerade auf Frankreichs Straßen enlädt, hat sich am Tod eines jungen Mannes entzündet. Aber nur vordergründig, sagt die deutsch-französische Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay im ZDF. Eigentlich gehe es auch um ein Ventil für den tiefen Frust über die bestehenden, ungerechten sozialen Verhältnisse, um kriminelle Lust am Krawall und um eine beängstigende Gewaltbereitschaft.
    "Die Protestierenden", meint Demesmay, Expertin für deutsch-französische Zusammenarbeit, "haben eigentlich gar keine politischen Forderungen". Das, was man sehe, sei "einfach Wut".
    Sehen Sie oben das ganze Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Claire Demesmay dazu, dass...

    ....der Hass, der sich hier entlädt, eine neue Qualität hat

    In Frankreich kennt man Streiks, Proteste auf den Straßen - aber hier ist es etwas anderes. Das sind junge Menschen, sehr junge Menschen. Und sie haben eigentlich keine politischen Forderungen. Sondern das, was man sieht, das ist einfach Wut. Wut und Verwüstung. Das ist etwas anderes, aber nichts Neues, das gibt es seit Jahren. Seit den 90er-Jahren gibt es Krawalle auf der Straße.
    Die Polizei verwendet Tränengas, um gegen Demonstrierende in den Straßen von Paris vorzugehen, 02.07.2023.
    Die fünfte Nacht in Folge halten die Krawalle Frankreich in Atem. Was sind die Gründe für die zunehmende Aggressivität zwischen Polizei und Jugendlichen?02.07.2023 | 2:55 min

    ...der Staat schon lange versucht, etwas gegen die soziale Ungleichheit zu tun

    Ja, man kennt das Problem. Und doch, es ist etwas geschehen, immer wieder werden neue Maßnahmen angekündigt. Aber das ist ja insgesamt ein Riesenproblem. Da muss man auf mehreren Ebenen ansetzen und das dauert sehr, sehr lange. Es braucht also Zeit und es ist eine Frage von Vertrauen beziehungsweise von Misstrauen in diesem Fall.
    Das hat mit Bildungspolitik zu tun. Das hat mit der Stadtpolitik zu tun, mit Jugendförderung, mit der Beschaffung von Arbeitsplätzen.

    Also das ist wirklich ein Riesenfeld. Und es erfordert nicht nur viel Zeit, sondern sehr viele Mittel.

    Claire Demesmay

    ...wie die Regierung sich verhalten sollte

    Es gibt eben beides, die Kriminalität - aber auch die Polizeigewalt. Das ist die Schwierigkeit für die Regierung, jetzt einen kühlen Kopf zu bewahren und rational zu bleiben. Denn wir wissen alle, wenn so viele Emotionen im Spiel sind, dann ist es auch nicht so einfach, diese Gewaltspirale aufzubrechen und rational zu bleiben, rational zu zu denken und sich zu verhalten. Also die Gesellschaft ist gespalten und die Regierung muss einen Zwischenweg finden.

    ...wie Präsident Macron sich momentan schlägt

    Nun, ich finde es gut, dass er die Tat sofort beurteilt hat. Er hat sich da gleich klar positioniert. Aber das wird überhaupt nicht reichen, um eben das Vertrauen wieder aufzubauen. Es ist schwer für Emmanuel Macron, überhaupt etwas richtig zu machen. Es ist extrem schwierig, in dieser Situation nicht nur rational zu handeln, sondern beide Seiten zufriedenzustellen. Das kann er sowieso nicht schaffen.

    Und er darf nicht nur kurzfristig handeln, sondern auch langfristig. Und das ist d i e eine große Herausforderung in so einer Zeit von Gewalt.

    Claire Demesmay

    Das Interview führte ZDF heute journal-Moderatorin Marietta Slomka.
    Quelle: ZDF

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