Lara Sessler lebt mit ihrem Freund und dem gemeinsamen zehnmonatigen Sohn in München.
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Es ist nicht nur das neue Streitthema der Koalition, sondern auch Trending Topic im Netz: das Elterngeld. Zu keinem anderen Thema wurden heute mehr Tweets abgesetzt, Instagram-Stories laufen heiß, die Petition "NEIN zur Elterngeld-Streichung!" hat allein heute knapp 250.000 Unterschriften gesammelt.
Und neben der eigentlichen Debatte, läuft auch noch die Debatte darüber, ob es überhaupt eine Debatte geben soll. Schließlich betrifft die
geplante Elterngeld-Kürzung "nur" einen kleinen Teil: Besserverdienende.
Rym, 33 Jahre: "Elterngeld ist ein Privileg"
Rym lebt in München und erwartet Ende September ihr erstes Kind, es soll ein Junge werden. In diesen Tagen will sie Elterngeld beantragen - solange sie noch kann. Nach Einsparplänen des Familienministeriums soll die Einkommensgrenze gesenkt werden: Paare, die mehr als 150.000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen verdienen, sollen die staatliche Leistung ab 2024 nicht mehr erhalten. Derzeit liegt die Obergrenze bei 300.000 Euro.
Rym und ihr Mann sind vor rund fünf Jahren aus Algerien nach München gezogen. Um einen Job zu bekommen, nahm sie Deutsch- und Englischunterricht. Heute spricht sie vier Sprachen fließend und arbeitet als Digital Marketing Managerin. Eine Familie wollte die 33-Jährige erst dann gründen, sobald sie sich beruflich gefestigt und finanziell unabhängig fühlte.
"Als ich nach Deutschland kam, dachte ich, wow, Elterngeld ist ein Privileg, also zu Hause bleiben zu können und sich um das eigene Kind zu kümmern", sagt die 33-Jährige. Bei einem zweiten Kind könnte sie dieses Privileg verlieren. Rym und ihr Mann liegen knapp über der Grenze von 150.000 Euro.
Rym und ihr Mann erwarten im September ihr erstes Kind.
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"Ich habe viele Jahre hart gearbeitet, um jetzt wieder abhängig von meinem Partner zu werden", sagt die Schwangere. Kürzungen beim Elterngeld findet sie einen großen Rückschritt. "Frauen unserer Generation sind gleichberechtigt, wir teilen alle Kosten 50/50, auch wenn man verheiratet ist, sollte man als Frau unabhängig bleiben."
Auch können sie und ihr Mann sich die Miete für die neue Dreizimmer-Wohnung in München nur dank doppeltem Einkommen leisten.
Elterngeldberaterin: Viele panische Anrufe
München gilt - mit einem Mietpreis von 20,12 Euro pro Quadratmeter (Stand Januar) - als die teuerste Stadt Deutschlands - vor Berlin und Frankfurt am Main. Gerade hier könnten viele von der Elterngeld-Kürzung betroffen sein.
Von vermutlich 60.000 Familien in ganz Deutschland geht Familienministerin Paus aus. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft könnten es weit mehr sein. 2020 lebten in der Bundesrepublik 435.000 Paare, die potenziell Kinder bekommen könnten.
Kein Elterngeld mehr für Paare mit hohem Einkommen, so lautet der Plan der Ampel. Doch was genau heißt das und wen würde die Änderung treffen? Wichtige Fragen und Antworten.
"Viele Eltern rufen mich an, haben Angst, dass sie kein Elterngeld mehr bekommen", berichtet Martina Kämmerer, die eine Elterngeldberatung im Raum München anbietet. Besonders in Großstädten, wo große Unternehmen ihren Sitz haben, würden beide Elternteile oft gut verdienen.
"Ich gehe davon aus, dass ein Viertel bis die Hälfte der Eltern in Städten wie München kein Elterngeld mehr bekommen werden und sich das Leben so nicht mehr leisten können", so Kämmerer.
Natalia, vierfache Mutter: "Es war ein Schock"
Natalia Lamotte wohnt ebenfalls in München und erwartet ihr viertes Kind. Dreimal hat sie Elterngeld bezogen, nun wird es ihr Mann beantragen. "Ich bin geschockt und entsetzt", sagt die Mutter, obwohl ihre Familie selbst von den geplanten Kürzungen beim Elterngeld nicht betroffen sein wird. "Anstatt es anzupassen, wird der Kreis derer, die es bekommen verschmälert."
Viele Väter würden schon jetzt nicht mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen. "Dafür muss es Anreize geben, statt diese Möglichkeit komplett zu nehmen", so Lamotte. Dass darüber hinaus auch noch Streit auf Social Media ausbreche und jener privilegierte Teil angegriffen werde, der davon betroffen ist, sei Verschwendung einer kostbaren Ressource für Eltern: Zeit, findet Lamotte, die in der Telekommunikationsbranche tätig ist und einen Instagram-Kanal zum Muttersein betreibt.
Lara, 34: "Es würde wehtun"
Die 34-jährige Lara Sessler und ihr Freund wohnen in Sendling, haben einen zehnmonatigen Sohn und fallen knapp unter die Grenze von 150.000 Euro Jahreseinkommen. "Wir verdienen ähnlich viel und wollen uns die Elternzeit aufteilen, wenn das Elterngeld gestrichen werden würde, würde uns das schon wehtun, gerade mit einer teuren Münchner Mietwohnung."
Rym stellt sich schon jetzt auf ein zweites Kind ohne Elterngeld ein. Dann kann sie sich vorstellen, schon nach wenigen Monaten wieder in den Job einzusteigen. Bei Kürzungen würde sie sich aber auch Lösungen für die Kinderbetreuung wünschen.
"Denn wir sind hier allein, haben keine Familie, die uns helfen kann." Sie glaubt, dass viele Frauen nun zweimal darüber nachdenken werden, ob sie tatsächlich Kinder wollen.