Interview
Milliarden für Chip-Industrie:Zahlen wir zu viel Subventionen, Herr Scholz?
von Oliver Klein
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Tut die Ampel genug für den Wirtschaftsstandort Deutschland? Im Sommerinterview verteidigte Kanzler Scholz seine Politik. ZDFheute liefert Fakten und Hintergründe zu den Antworten.
Wie attraktiv ist der Wirtschaftsstandort Deutschland wirklich? Investieren Unternehmen wie der Chip-Hersteller TSMC nur, weil milliardenschwere Subventionen winken? Reichen die Maßnahmen der Ampel-Koalition aus, um den Fachkräftemangel zu beheben? Bei diesen Wirtschaftsthemen verteidigte Bundeskanzler Olaf Scholz im ZDF-Sommerinterview seine Politik. Was ist dran an den Aussagen des Kanzlers? ZDFheute liefert Fakten, Hintergründe und Einordnungen.
Siedeln sich Unternehmen nur wegen der Subventionen in Deutschland an?
Der Kanzler zeichnete ein positives Bild des Wirtschaftsstandorts Deutschland, zählt Hersteller auf, die hierzulande riesige Summen in ihre Produktion investieren. Beispiel Chip-Industrie: In Magdeburg gebe es nun "die größte Direktinvestition in der Geschichte Europas".
Gemeint ist die geplante Halbleiterfabrik von Intel, für die der Bund zehn Milliarden Euro an Subventionen ausgibt. Auch in Dresden will der weltgrößte Chip-Konzern TSMC eine Halbleiterfabrik errichten - mit fünf Milliarden Euro staatlicher Förderung. 2.000 neue Arbeitsplätze sollen somit entstehen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im ZDFheute-Interview: Bund und Länder fördern die Halbleiterindustrie in Deutschland mit Milliarden.08.06.2023 | 4:04 min
Den Einwand, dass dort somit jeder Arbeitsplatz mit immerhin zweieinhalb Millionen Euro subventioniert wird, lässt Scholz nicht gelten - die Unternehmen hätten sich bewusst für den Wirtschaftsstandort Deutschland entschieden:
Tatsächlich gelten für Subventionen EU-weit strenge Regeln - Beihilfen für Unternehmen sind nur unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt möglich, auch die Höhe der Subventionen ist geregelt. Daher muss die EU den Beihilfen erst noch zustimmen. Der geplante Fabrikbau ist ein Projekt im Rahmen des "European Chips Act": Die EU will die europäische Chip-Produktion ankurbeln und so die Abhängigkeit von anderen Ländern verringern. Sie erlaubt ihren Mitgliedstaaten deshalb, Chipfabriken mit hohen Summen zu fördern - bis zu 43 Milliarden sollen so zusammenkommen.
Wie subventionieren andere Länder die Chip-Industrie?
Europa liefert sich einen Subventionswettlauf mit Ländern wie den USA, China oder Südkorea. Die Förderprogramme für die Industrie außerhalb Europas sind groß:
- USA: Die Biden-Regierung hat mit dem "Chips Act" ein Subventionsprogramm von 52 Milliarden Dollar aufgelegt.
- China: Hier wird mit rund 144 Milliarden Dollar fast die dreifache Summer in Förderprogramme für Technologien wie die Halbleiterindustrie gesteckt.
- Südkorea: Das Land will in diesem Jahrzehnt 450 Milliarden Dollar in die Halbleiterforschung und -herstellung investieren. Die Regierung unterstützt den massiven Vorstoß insbesondere mit Steuererleichterungen und Finanzierungen für die Unternehmen.
Das hat Konsequenzen: Die Summe der Investitionen der Chip-Industrie fallen in der EU vergleichsweise gering aus. Einer Analyse des Unternehmens Everstream zufolge investiert die Industrie zwischen 2021 und 2025 in den USA etwa viermal so viel Geld in neue Kapazitäten zur Chip-Herstellung wie in Europa.
Innerhalb Europas subventionieren auch andere Länder die Branche mit Milliardensummen - wenn sie es sich leisten können. Frankreich will beispielsweise seine Chip-Industrie mit 5,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 unterstützen.
Wirtschaftswissenschaftler sehen die Förderung der Chip-Industrie mit Steuergeldern kritisch und halten die von der Politik versprochenen Effekte auf die Wirtschaft für überzogen. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht die Subventionen als Wette auf die Zukunft. Die lohne sich nur, wenn es auch einen Impuls für die gesamte regionale Wirtschaft gebe, sagte Marcel Fratzscher im "Tagesspiegel".
Tut die Ampel genug gegen den Fachkräftemangel?
Bereits heute leidet die deutsche Wirtschaft massiv unter dem Fachkräftemangel - und das Problem wird sich deutlich verschärfen. Was tut die Ampel? "Ich habe gerade diese Woche das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das der Bundestag beschlossen hat, unterschrieben", so Scholz. Auf den Einwurf, dass das voraussichtlich nicht reichen werde, entgegnete der Kanzler: "Doch. Mit dem, was wir gemacht haben, kann das auch gelingen."
Mit dem Gesetz senkt die Ampel-Koalition die Hürden bei der Fachkräfteeinwanderung. Es sieht unter anderem eine sogenannten Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems vor. Zu den Auswahlkriterien gehören Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Außerdem sollen vor allem IT-Fachkräfte auch dann kommen dürfen, wenn sie keinen Hochschulabschluss haben, aber bestimmte andere Qualifikationen.
Experten sind jedoch skeptisch, dass das reicht. "Das bringt uns nicht die vielen Hunderttausend Arbeitskräfte, die wir brauchen", sagt Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker im heute journal. Das ganze Prozedere - nach Deutschland zu kommen und eine Arbeit annehmen - sei viel zu kompliziert und werde auch mit Inkrafttreten des Gesetzes weiter kompliziert bleiben. "Dadurch fallen wir im Wettbewerb hinter die USA, hinter Kanada und ähnliche Länder zurück."
- Eine Ursache des Fachkräftemangels ist die älter werdende Gesellschaft in Deutschland.
- Das verschärft sich durch die Babyboomer, also die geburtenstarke Generation, die in Rente geht. Dadurch fallen vielen Arbeitskräfte weg. Weniger junge Menschen rücken nach.
- Laut dem Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (Kofa) gab es im Jahresdurchschnitt noch nie so viele offenen Stellen wie 2022: Für qualifizierte Fachkräfte lag sie bei 1,3 Millionen.
- Auch die Fachkräftelücke ist demnach auf einem Rekordniveau: Die Zahl der offenen Stellen, für die es rechnerisch bundesweit keine passend qualifizierten Arbeitslosen gibt, betrug mehr als 630.000. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Lücke bei den Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung um 88,9 Prozent gestiegen.
- Der Fachkräftemangel ist laut Kofa in Gesundheits- und Sozialberufen besonders hoch. Aber auch das Handwerk sowie akademische Berufe im Ingenieurwesen im Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektrotechnik, IT und Softwareentwicklung und Programmierung sind besonders betroffen. (Quellen: Kofa, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz)
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagt, das Gesetz sei "ein Schritt in die richtige Richtung. Es muss aber noch viel mehr getan werden." Beispiel Digitalisierung: In vielen Ländern könnten ausländische Fachkräfte einen Großteil ihrer Anträge und Dokumente digital noch vor der Einreise einreichen, so Dulger. "Bei uns wird viel geredet und angekündigt - aber kaum etwas umgesetzt."
Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagte, die Erleichterung von Zuwanderung sei zwar richtig. "Allerdings wird es noch einige Jahre dauern, bis wir dadurch spürbar qualifizierte Zuwanderung erfahren." Daher müssten kurzfristig andere Maßnahmen ergriffen werden: So müssten diejenigen, die schon zugewandert seien, besser in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden.
mit Material von dpa
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