Vorstandswahl verschoben: Linksfraktion in Auflösung?

    Bei Klausur:Linksfraktion verschiebt Vorstandswahl

    Andrea Maurer
    von Andrea Maurer
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    Die Linksfraktion hat entschieden, die Vorstandswahlen am 4.9. zu verschieben - die Partei findet keine mehrheitsfähige Nachfolge für Bartsch und Mohamed Ali. Was nun?

    Kurz nach Beginn der Fraktionsklausur der Linken fällt die Entscheidung: Die Vorstandswahlen am 4.9. müssen verschoben werden - es hat sich kein mehrheitsfähiger Nachfolger für Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali gefunden. Wer hat den Vorschlag gemacht, die Wahl zu verschieben - und warum? Darüber ist nun ein Deutungskampf entbrannt.
    Schon am Morgen hatte der Vorstand getagt und nach ZDF-Informationen beschlossen, der Fraktion den Vorschlag der Wahlverschiebung zu unterbreiten. Wenig später heißt es aus Teilnehmerkreisen, Parteichefin Janine Wissler hätte den Vorschlag selbst gemacht.
    ZDF-Reporter Karl Hinterleitner bei Schaltgespräch mit Yve Fehring
    Zuletzt kritisierte die Linken-Bundesvorsitzende Janine Wissler bei einer Pressekonferenz die Regierung, sagte jedoch nichts zur Krise ihrer Partei.21.08.2023 | 1:41 min

    Politikwissenschaftler: Vorstandssuche aus diversen Gründen schwierig

    Fakt ist: die Parteispitze hat das Vorschlagsrecht und sie konnte bislang keinen Kandidaten und keine Kandidatin finden, der oder die die benötigten 20 von 39 Stimmen bekommen hätte - oder überhaupt bereit gewesen wäre, die desolate Fraktion zu führen.
    Der Politikwissenschaftler Hendrik Träger beschreibt die Lage gegenüber ZDFheute so: "Eine entsprechende Lösung ist schwierig zu finden und wird nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Hinzukommt, dass einzelne Personen aus unterschiedlichen Gründen wahrscheinlich nicht infrage kommen: Gregor Gysi als einer der bekanntesten Abgeordneten wird mit 75 Jahren keine Fraktion im Krisenmodus managen wollen."

    Janine Wissler hat als Parteivorsitzende genug zu tun und würde mit einer Kandidatur mutmaßlich Gegenreaktionen im Lager um Sahra Wagenknecht auslösen.

    Hendrik Träger, Politikwissenschafter

    Auch Gesine Lötzsch und Sören Pellmann würden die Herkulesaufgabe womöglich nicht übernehmen wollen.

    Bartsch und Mohamed Ali bleiben vorerst im Amt

    Vorerst also können Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali im Amt bleiben - und werden es auch. Amira Mohamed Ali sagte am Rande der Klausur:

    Ich lasse natürlich jetzt nicht am nächsten Tag den Stift fallen.

    Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken

    Für Bartsch und Mohamed Ali könnte die Entscheidung jetzt auch eine gewisse Genugtuung sein: Es geht eben doch nicht ohne sie, auch wenn in den letzten Monaten im Parteivorstand die Kritik an beiden laut und deutlich war und Amira Mohamed Ali sich wegen ihrer Sympathien für Sahra Wagenknecht sogar aus der Partei gedrängt fühlte.

    Linkspolitiker Ernst: Permanente Angriffe auf Fraktionsvorstand

    Auch für das sogenannte Wagenknecht-Lager selbst ist die verschobene Wahl eine Art Triumph. Klaus Ernst, der offen mit einer neuen Partei um Sahra Wagenknecht liebäugelt, sagt zu ZDFheute: "Der Vorstand der Partei hat insbesondere nach der letzten Bundestagswahl einen personellen Neuanfang für die Fraktion gefordert und damit indirekt die Fraktion für das Wahldesaster verantwortlich gemacht. Janine Wissler war damals übrigens Spitzenkandidatin."

    Die permanenten Angriffe auf den Fraktionsvorstand haben sicher dazu beigetragen, dass Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch das Handtuch geworfen haben.

    Klaus Ernst, Linkspartei

    "Nun hat der Parteivorstand sein Ziel erreicht und könnte einen Personalvorschlag unterbreiten. Das schaffen sie offensichtlich nicht. Dass die Wahlen jetzt verschoben werden, ist ein Offenbarungseid und Ergebnis eines strategie- und orientierungslosen Vorstands der Linkspartei, der die Partei und Fraktion in den Abgrund führt", sagt Ernst.

    Neuer Termin für Vorstandswahl und Zukunft der Linksfraktion unklar

    Politikwissenschaftler Träger schätzt die Lage so ein:

    Wenn sich eine so kleine Fraktion auf ihrer Klausurtagung nicht auf ein Personalpaket verständigen kann, zeigt das, wie verfahren die Situation offenbar ist.

    Hendrik Träger, Politikwissenschafter

    "Eine mittel- bis langfristige Verschiebung der ohnehin für die Mitte der Legislaturperiode vorgesehenen Wahl der Fraktionsspitze wird die Krise von Fraktion und Partei nicht lösen, sondern wahrscheinlich noch verhärten", so Träger.
    Wann die Vorstandswahl nun stattfinden wird, kann niemand sagen. Genauso wenig: wie lange es die Fraktion überhaupt noch gibt. Denn inzwischen sind wohl rund zehn Abgeordnete bereit, die sich im Fall einer Vereins- oder Parteigründung Sahra Wagenknecht anzuschließen.
    Es ist eine Fraktion in Auflösung - für deren Führung sich offenbar niemand mehr zur Verfügung stellen will.
    Andrea Maurer ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin.

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