Ampel-Plan zur Kindergrundsicherung: Viele Brocken im Weg

    Kabinettsbeschluss:Kindergrundsicherung: Viele Brocken im Weg

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
    |

    Nach viel Streit ist sich die Ampel einig: Die Kindergrundsicherung soll kommen. Noch liegen viele Brocken im Weg. Erst 2028 könnte sie voll greifen. Fraglich bleibt, ob sie hilft.

    Ausgerechnet jetzt. Bundesfamilienministerin Lisa Paus legt eine Bedeutungs-Pause ein, lächelt in die Kameras: "Ich freue mich sehr", sagt die Politikerin der Grünen am Mittwoch feierlich, "dass die Bundesregierung heute das zenra Po … Wupssa." Also noch einmal: "(…) ein zentrales sozialpolitisches Projekt auf den Weg gebracht hat."
    Versprecher sind menschlich. Für das Projekt Kindergrundsicherung ist der Holperer von Paus allerdings symptomatisch: Der Weg dahin war steinig. Und er könnte es bleiben. Denn es liegen viele Brocken im Weg, bis sie im Januar 2025 in Kraft treten kann.

    Paus: "Investieren in das Beste, was wir haben"

    Zumindest für Ministerin Paus dürfte seit dem heutigen Beschluss des Bundeskabinetts der größte Brocken aus dem Weg geräumt sein. Monatelang hatte sie sich mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) um die Finanzierung gestritten. Jetzt gibt sie sich zufrieden und sagt:

    Wir investieren in die Zukunft unseres Landes, in das Beste, was wir haben - unsere Kinder.

    Lisa Paus (Grüne), Bundesfamilienministerin

    Erst hatte Paus zwölf Milliarden für das Projekt gefordert, dann neun, dann sechs, am Ende hat sie 2,4 Milliarden Euro bekommen. Also in etwa so viel, wie Lindner von Beginn an angeboten hatte. Öffentliche Briefe waren geschrieben worden, auch vom Kanzler. Erst hatten die Grünen mit einem Boykott der Abstimmung über den Haushalt gedroht, dann hatte Paus Lindners Wachstumsgesetz blockiert.
    Dass es nicht einfach wird, hatte Paus schon geahnt. Und dass nicht alles, was sie möchte, umsetzbar sein wird: "Wir sollten jetzt die Chance nutzen und die Schritte in die Kindergrundsicherung gehen, die wir gehen können", sagte sie im August vorigen Jahres zu ZDFheute. Riesenschritte oder Trippelschritte? Darüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Egal welche: Im Weg liegen einige Brocken.

    Kindergrundsicherung soll aus zwei Komponenten bestehen

    Paus plant eine Kindergrundsicherung aus zwei Komponenten: einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der das bisherige Kindergeld ersetzt, und einem Zusatzbeitrag. Dieser ist abhängig vom Einkommen der Eltern und in ihn fließen bisherige Leistungen, wie der Kinderzuschlag für Niedrigverdiener oder der Anteil des Bürgergeldes für Kinder. Die Kindergrundsicherung soll digital bei 300 neuen Stellen, dem Familienservice, beantragt werden. Und da fangen die Probleme schon an.
    Der Familienservice soll die Familienkasse der Arbeitsagenturen ersetzen. 2.000 Stellen sollen geschaffen werden. Die Arbeitsagentur und Kommunen sind skeptisch, ob das überhaupt realistisch ist. Allein 500 Millionen Euro des 2,4-Milliarden-Gesamtbudgets soll in die Verwaltung gesteckt werden.

    Umsetzungsplan: 2025, 2028, plus x

    Paus verteidigt das: "Es nützt nichts", wenn die Leistungen, so wie jetzt, nicht abgerufen werden, weil der Verwaltungsweg zu kompliziert sei. Deswegen müsse man jetzt "in die Schnittstellen" investieren, damit der neue Familienservice etwa auf die Daten des Finanzamtes zugreifen kann. Am Ende soll es so sein: Eltern melden ihre Kinder beim Familienservice an, willigen ein, dass auf ihre Daten zugegriffen werden darf: fertig. Danach gebe es Geld.
    Paus glaubt, das klappt: Man habe mit den Familienkassen schon "funktionierende Institutionen, die mit den zusätzlichen Aufgaben gut zurechtkommen werden." Allerdings: Dass alles schon 2025 fertig ist, das glaubt auch Paus nicht.
    2025 könnten "sicher", sagt sie, 47 Prozent der Anspruchsberechtigten erreicht werden. 2028 sollen es dann 80 Prozent sein. Dann, auch das ist jetzt schon klar, werden die 2,4 Milliarden Euro schon lange nicht mehr reichen, sondern laut den Schätzungen der Ministerin "werden es sechs Milliarden Euro sein", wie sie im Deutschlandfunk sagte. Und das ist der nächste Brocken.

    Kritik von Verbänden: Pläne diskriminieren und sind rechtswidrig

    Erstens ist das Geld in der mittelfristigen Finanzplanung nicht vorgesehen. Und zweitens hat sich damit höchstens der Kreis der Antragsteller erweitert. Mehr bekommen sie deswegen nicht, was die FDP ohnehin blockiert und auch die SPD wenig begeistert. Der Ausweg aus der "strukturell verfestigten Armut von Kindern"?, wie Paus immer sagt.
    Verbände glauben ihr das nicht: Diese Kindergrundsicherung werde "keine Kinderarmut beseitigen oder bekämpfen", sagt Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband dem ZDF.
    Junge an der Essensausgabe
    Lange hat die Bundesregierung über ihre Finanzierung und Ausgestaltung gestritten, nun soll die Kindergrundsicherung kommen und ab 2025 Verbesserungen für viele Familien bringen.19.09.2023 | 5:35 min
    Es gebe eine Verbesserung für die Alleinerziehenden, weil der Unterhalt nur noch zum Teil angerechnet werden soll. Aber es gebe keine Verbesserung bei der Höhe der Leistungen.

    Die Ampel hat ein gutes Projekt versenkt.

    Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband

    Schneider protestiert nicht allein. 23 Kinder-Verbände kritisieren, die Kindergrundsicherung in der jetzigen Form sei diskriminierend und rechtswidrig, weil sie nicht alle in Deutschland lebenden Kinder gleich behandele. So soll etwa der Kinderzuschlag von 20 Euro für Kinder, die über das Asylbewerberleistungsgesetz finanziert werden, gestrichen werden. Die Verbände setzen auf das parlamentarische Verfahren, um noch Änderungen zu bewirken. Und das ist der nächste Brocken.
    Bayern, München: Die Schatten von zwei Erwachsenen und einem Kind fallen in den Morgenstunden auf den Asphalt.
    Die Kindergrundsicherung ist ein im Koalitionsvertrag vereinbartes Projekt, aber sorgt für Diskussionen in der Ampel-Koalition.04.04.2023 | 3:24 min

    Bundestag: SPD besteht auf Prüfung des Gesetzes

    Anfang November soll der Bundestag über die Kindergrundsicherung beraten. Ob das klappt, ist, Stand heute, offen. Dennoch fehlt die sogenannte Rechtsförmlichkeitsprüfung, die vor jeder Beratung eines Gesetzentwurfes vom Bundesjustizministerium erfolgen muss.
    Das heißt: Ob in dem Gesetz die Rechtsvorschriften richtig zitiert sind, ob alle Abkürzungen stimmen und so weiter. Noch im Oktober, sagt Paus, will das Ministerium von Marco Buschmann (FDP) damit fertig sein. Und bevor die nicht vorliegt, weigert sich die SPD-Fraktion, überhaupt mit der Beratung zu beginnen. "Wir erwarten, dass die Voraussetzungen dafür von der Bundesregierung rasch geschaffen werden", sagt Fraktionschef Rolf Mützenich von der Kanzlerpartei SPD.
    Und dann wäre da noch der Bundesrat. 16 Bundesländer müssen zustimmen, damit die Kindergrundsicherung Gesetz wird. Bayern macht nicht mit, aber "alle anderen 15 Länder wollen die Kindergrundsicherung", sagt Paus. Vielleicht wollen sie diese ja tatsächlich - aber auch so, wie Paus es will?

    Mehr zur Kindergrundsicherung