Holocaust-Gedenktag: Schüler "adoptieren" Jüdischen Friedhof

    Holocaust-Gedenktag:Schüler "adoptieren" Jüdischen Friedhof

    Claudia Oberst
    von Claudia Oberst
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    Kampf gegen das Vergessen: Der Direktor des Max-Planck-Gymnasiums Saarlouis nimmt seine Achtklässler mit auf den Jüdischen Friedhof - sie pflegen Gräber statt Bücher zu wälzen.

    Schüler einer achten Klasse des Max-Planck-Gymnasiums in Saarlouis pflegen den städtischen jüdischen Friedhof.
    Schüler einer achten Klasse des Max-Planck-Gymnasiums in Saarlouis pflegen den städtischen jüdischen Friedhof.
    Quelle: Christian Bravo lanyi

    "Für die Schüler ist das eine ganz unbefangene, natürliche Begegnung mit der Geschichte", sagt Christian Bravo Lanyi, Schulleiter am Max-Planck-Gymnasium in Saarlouis. Seine achten Klassen haben seit diesem Schuljahr die Patenschaft für den Jüdischen Friedhof übernommen.

    Die Schüler lernen, Fragen zum Nationalsozialismus zu stellen

    Fünf mal im Jahr ist eine der Klassen vor Ort und macht sauber. Blätter kehren, Grabsteine reinigen, Pflanzen gießen - und dabei die Menschen, die Schicksale hinter den Inschriften kennenlernen, das ist die Idee hinter dem Projekt.

    Durch den Einsatz auf dem Friedhof begegnen die Schüler der Shoah indirekt. Weil sie sich natürlich Fragen stellen wie 'Warum kümmern wir uns um die Gräber und nicht die Familien selbst?, 'was ist mit diesen Menschen passiert?'

    Christian Bravo Lanyi,Schulleiter des Max-Planck-Gymnasiums in Saarlouis

    Er habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Zeitzeugenarbeit und konkrete Begegnungen extrem wichtig seien, wenn es um Erinnerungsarbeit geht, sagt der Schulleiter im ZDF-Interview.
    Auf dem Bild sieht man verschiede Politiker am Tisch sitzen.
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    Der jüdische Friedhof ist Gedenk- und Erinnerungsort

    Weil es aber immer weniger direkte Zeitzeugen gibt, sei die Idee entstanden, den Jüdischen Friedhof zu "adoptieren", sagt Bravo Lanyi. "Wir können ja noch zusätzlich etwas Positives bewegen, indem wir den Friedhof als Gedenk- und Erinnerungsort in Schuss halten."
    Ricarda Kunger, die Vorsitzende der Synagogengemeinde Saar, war von der Idee sofort begeistert.

    Es ist wichtig, dass die Schüler sich mit der Geschichte jüdischen Lebens in ihrer Heimatstadt auseinandersetzen und das ohne jeden Zwang.

    Ricarda Kunger, Vorsitzende der Synagogengemeinde Saar

    Die Jugendlichen gehen sehr reflektiert an ihre Aufgabe heran, sagt Kunger.

    Schüler lernen jüdische Grabkultur kennen

    Und die Schüler lernen ganz praktische Dinge: Etwa, dass auf jüdischen Gräbern keine Blumen stehen, sondern Steine liegen. Einige Jungs entscheiden sich, eine Kippa zu tragen.
    "Für die ist es spannend, dass man auf dem Friedhof eine Kippa trägt. Weil man auf heiliger Erde steht und Ehrfurcht und Respekt damit zeigt", so Kunger im ZDF-Interview. Für die Achtklässler ist der Besuch des Jüdischen Friedhofs die erste Station im Lehrplan, an der sie mit Nationalsozialismus in Berührung kommen.
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    Ab der neunten Klasse wird der Stoff dann im Unterricht behandelt. In den höheren Stufen bietet die Schule Fahrten an Gedenkstätten und nach Auschwitz an. Für manche Schüler ist die Aufräumaktion der überhaupt erste Besuch auf dem Jüdischen Friedhof.
    Andere waren schon dort und nehmen ihre Rolle als Hüter der Erinnerung sehr ernst. "Ich finde es eine Ehre, dabei zu sein. Es ist toll, den alten Glanz und die Sauberkeit herzustellen. Die NS-Zeit war eines der schlimmsten Geschehnisse der Welt. So etwas darf nicht wieder vorkommen", sagt Jakob Jung aus der 8c.

    Es ist wichtig, dass wir den Opfern der Nationalsozialisten Respekt erweisen. Wir können aus den früheren Taten lernen und eine tolerante und demokratische Gesellschaft fördern.

    Lucie Queck, Schülerin der Klasse 8c des Max-Planck-Gymnasiums in Saarlouis

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    Botschafter Prosor: Alle müssen gegen Rechtsextremismus zusammenarbeiten

    Die Aufräumaktion auf dem Friedhof ist schon vor dem Angriff auf Israel gestartet. Aber natürlich bekommt die Initiative im Licht der aktuellen Ereignisse noch einmal eine ganz besondere Bedeutung. Das wurde auch noch einmal während eines Besuches des israelischen Botschafters Ron Prosor in Saarbrücken an diesem Mittwoch deutlich - er warnte vor Extremismus und Antisemitismus in Deutschland.

    Gegen diese Ideologie muss man ganz klar angehen. Wenn man das nicht tut, dann werden Sie in Deutschland nachher weinen. Wir müssen alle, die wir demokratisch denken, zusammenarbeiten. Rechts, links und in der Mitte.

    Ron Prosor, israelischer Botschafter in Deutschland

    Am Max-Planck-Gymnasium gibt es ein Gesprächsangebot für Schüler zum Nahost-Konflikt. "Es geht aber nicht um eine politische Bewertung", sagt Christian Bravo Lanyi und ergänzt: "Es geht um eine klare Haltung: Rassismus und Menschenverachtung sind nicht tolerabel."

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