Habeck gegen Merz: Was rettet Deutschlands Stahlindustrie?
Analyse
Stahl-Streit Habeck gegen Merz:Was kann die deutsche Stahlindustrie retten?
von Nils Metzger
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Kann die deutsche Stahlindustrie nur mit grünem Wasserstoff überleben, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt? Friedrich Merz meldete Zweifel an. Was sagt die Industrie selbst?
Wie kann die deutsche Stahlindustrie erhalten werden? Die Spitzenkandidaten von Union und Grünen streiten darüber.
Quelle: picture alliance/Ulrich Baumgarten
Es ist eine der zentralen industriepolitischen Fragen unserer Zeit: Wie können Klimaschutz und Schwerindustrie am Standort Deutschland zusammengebracht werden? Ein Fokus ist die energie- und oft CO2-intensive Stahlindustrie. Um die gesetzlichen Klimaziele zu erreichen, treibt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Umstellung der Produktion voran - auf aus erneuerbaren Energien gewonnenen, sogenanntem "grünen" Wasserstoff.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz kritisierte das milliardenschwere Großprojekt zunächst bei einer Veranstaltung am Montag: "Ich glaube persönlich nicht, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird."
Merz brachte Technologiealternativen wie CO2-Speicherung ins Gespräch. Am Donnerstag relativierte er dann seine Kritik teilweise: "Ich bin ein Befürworter der regenerativen Energie und der Nutzung von Wasserstoff - und somit auch einer grünen Stahlproduktion", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Merz wies weiterhin auf die schwierige Beschaffung und Kostenproblematik hin.
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Habeck warnt vor "Verschwinden" der Stahlfertigung
Die ersten Aussagen von Merz hatten in den vergangenen Tagen teils heftige Reaktionen ausgelöst. Grünen-Politiker Habeck reagierte am Dienstag darauf und warf Merz im "Stern" "Unwissenheit, Kaltschnäuzigkeit und Verantwortungslosigkeit" vor. Bei einer Pressekonferenz am gleichen Tag sagte Habeck mit Blick auf klassisch CO2-intensiv ("schwarz") hergestellten Stahl:
Alle großen Volkswirtschaften hätten sich auf den Weg gemacht, den Stahl zu dekarbonisieren, so Habeck. "Niemand sollte glauben, dass mit Kohleenergie produzierter Stahl auf dem Weltmarkt noch eine Chance hat. Das heißt dann, dass die Stahlproduktion in Deutschland verschwindet."
Ist das von Habeck skizzierte Szenario realistisch? Und was sagen Experten zu Merz' CO2-Speicher-Plänen? ZDFheute hat mehrere Fachleute befragt.
Was macht deutschen Stahl so teuer?
Die zum Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gehörende Wirtschaftsvereinigung Stahl äußerte sich am Dienstag kritisch zu den Anmerkungen von Friedrich Merz. "Grüner Stahl ist die Zukunft", so Hauptgeschäftsführerin Kerstin Maria Rippel. Über Technologie-Alternativen wie CO2-Speicherung könne man aber diskutieren. Auf eine ZDF-Nachfrage, ob dem Stahl-Standort Deutschland ohne grüne Transformation wirklich das Aus drohe, reagierte der Verband am Mittwoch nicht.
Die Salzgitter AG will künftig auf grünen Stahl setzen. Laut Vorstandsvorsitzendem Gröbler müsse die Politik nun Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung der Industrie schaffen.05.01.2025 | 4:35 min
Die Salzgitter AG, einer der größten Stahlproduzenten Deutschlands, verweist gegenüber ZDFheute auf die gesetzlich fixierte Klimaneutralität 2045: "Dies ist nur entweder mit einer Deindustrialisierung des Landes oder mit einer Transformation der Industrie zu erreichen. Ersteres kann nicht ernsthaft gewollt sein." Der eingeschlagene Transformationsweg müsse darum "konsequent fortgesetzt werden".
Dafür brauche es geeignete Rahmenbedingungen - die von der Politik aktuell gesetzten hätten laut Salzgitter aber unweigerlich Konsequenzen:
Andreas Schneider vom Beratungsunternehmen StahlmarktConsult erklärt den Zusammenhang so: Die bisher weitgehend kostenfreie Zuteilung von CO2-Emissionszertifikaten werde durch die EU ab 2026 schrittweise gesenkt. "Ohne Dekarbonisierung tragen diese Hersteller hohe CO2-Kosten von circa 300 Euro pro Tonne Stahl. Solche Zusatzkosten können von Stahlkunden im internationalen Wettbewerb nicht getragen werden, sodass der Stahl kaum zu verkaufen wäre", sagt Schneider ZDFheute.
Das betreffe die rund 70 Prozent der deutschen Stahlerzeugung, die aus Hochöfen komme - bei den restlichen 30 Prozent der Elektrostahlhersteller sei die CO2-Bilanz heute schon gut; sie seien aber durch hohe oder unplanbare Energiekosten bedroht, so Schneider.
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Fraunhofer-Forscher: Umstellung auf grünen Stahl braucht Zeit
Für Alexander Sauer, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung, ist die Umstellung auf grünen Stahl nur eine von mehreren notwendigen Bedingungen, um den Stahl-Standort Deutschland zu erhalten: "Richtig ist, dass wir uns mit den grünen Technologien auseinandersetzen müssen, um im technologischen Wettbewerb nicht abgehängt zu werden."
Er glaube nicht daran, dass man auf dem Weltmarkt in fünf bis zehn Jahren fast nur noch grünen Stahl sehen werde. "Die Nachfrage nach grünem Stahl wird sicherlich steigen, gegebenenfalls sogar schneller als das Angebot. Allerdings benötigt der Um- beziehungsweise Neubau der Anlagen und der energetischen Versorgungsinfrastrukturen weltweit auch Zeit." In der Tat "haben wir am Standort Deutschland kurzfristig eine große Herausforderung, die notwendigen Wasserstoffinfrastrukturen und Wasserstoffmengen bereitzustellen", betont Sauer.
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Marktexperte: Grüner Stahl wird global Nische bleiben
Weiter geht indes Andreas Schneider von StahlmarktConsult. Er gehe nicht davon aus, dass - wie von Habeck angeführt - grüner Stahl auf dem Weltmarkt mittelfristig eine entscheidende Rolle spielen werde. "Dieser Aussage widerspreche ich energisch. Keine andere Region der Welt ist bei Ausmaß und Tempo der CO2-Reduzierung beim Stahl auch nur annähernd so ambitioniert wie die EU", sagt Schneider ZDFheute.
Etwa die Hälfte der 50 größten Stahlerzeuger weltweit hätten bisher keine konkreten Reduktionsziele festgelegt. Im Weltmaßstab werde grüner Stahl auch 2050 vermutlich noch "eine Nische" sein, so Schneiders Einschätzung.
Damit die Transformation zu grünem Stahl auch bei den riesigen chinesischen Herstellern gelingt, setzt die EU auf regulatorische Anreize und Vorschriften - auch um zu verhindern, dass die Produktion aus Kostengründen einfach von Europa nach Asien abwandert. Und tatsächlich werden auch in China bereits Milliarden in den Sektor investiert. Ob die Umstellung dort bereits in den 2030er Jahren spürbar sein wird, ist laut Experten alles andere als sicher.
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Was sagen Experten zum Merz-Vorschlag CO2-Speicherung?
Bei seinem Vortrag brachte Merz mehrere Technologien als Alternative zu grünem Wasserstoff ins Gespräch - insbesondere CO2-Speicherung. Hier ist das Stimmungsbild der Experten jedoch gemischt.
In der Stahlerzeugung sehe man CO2-Speicherung nicht als Alternative zum eingeschlagenen Weg, teilt die Salzgitter AG mit. In der Wasserstofferzeugung könne sie aber "als Brückentechnologie sinnvoll sein". Der Unternehmensberater Schneider sieht in der von Merz angesprochenen CO2-Speicherung hingegen "großes Potenzial" - der Erprobung und Umsetzung stünden in Deutschland aber rechtliche Hürde im Weg.
Fraunhofer-Institutsleiter Sauer betont, dass es noch zu früh sei, sich festzulegen, welche Technologie bei der Reduzierung von CO2-Emissionen im Stahlsektor die meisten Vorteile biete. "Kategorisch ausschließen würde ich zum jetzigen Zeitpunkt keine der Optionen."
Fazit
Grüner Wasserstoff wird für die Zukunft der deutschen Stahlproduktion eine essenzielle Rolle spielen. Die Stahlindustrie selbst betont, die grüne Transformation vorantreiben zu wollen - und baut auf staatliche Unterstützung dabei. Das hat aber weniger mit Entwicklungen auf dem Weltmarkt zu tun, wie es Wirtschaftsminister Habeck darstellt, sondern mit den von Deutschland und der EU festgelegten Klimazielen und CO2-Kosten. Auf dem Weltmarkt dürfte laut Experten auch in einigen Jahren noch traditionell produzierter Stahl dominieren. Habeck verdreht hier also Zusammenhänge. Friedrich Merz' Hinweis auf Probleme bei der Produktion, den Kosten und der Beschaffung von grünem Wasserstoff sind legitim und richtig. Seine Lösungsvorschläge stoßen bei Experten und Branchenvertretern aber nicht auf ungeteilte Zustimmung.
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