Krieg in Europa: Pistorius spricht unbequeme Wahrheit aus

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    Warnung vor Krieg in Europa:Pistorius spricht unbequeme Wahrheit aus

    Ines Trams
    von Ines Trams
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    Boris Pistorius hat sich etwas getraut, was viele bislang gescheut haben. Bei "Berlin direkt" sagte er, Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden. Eine Aussage, die überfällig ist.

    Kriegsrhetorik und Alarmismus rufen nun einige, Boris Pistorius würde die Menschen unnötig in Unruhe versetzen. Der Minister selbst ergänzt seine Aussage am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk, wir müssten "in der Lage sein, Krieg, einen Abwehrkrieg, einen Verteidigungskrieg führen zu können, damit wir es am Ende nicht müssen." Man könne sich nicht auf eine Gefahr einstellen, die man nicht wahrnehme und die man nicht annehme.

    Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.

    Boris Pistorius' Aussage bei Berlin direkt

    Richtig ist, wir können und sollten es nicht verdrängen: Immer mehr Konflikte werden militärisch ausgetragen – Ukraine, Naher Osten, Kosovo, Bergkarabach. Und die Konflikte und Kriege rücken näher, es geht wieder um Landes- und Bündnisverteidigung. Noch sind wir nicht direkt involviert. Doch dieser Fall könnte in den nächsten Jahren Realität werden. Und dann sind auch wir gefragt - Deutschland, von dem erwartet wird, mehr Verantwortung in Europa und in der Welt zu übernehmen.

    Deutschland nicht bereit für mehr Verantwortung

    Derzeit sind wir dafür nicht aufgestellt. Weder steht unser Gerät bereit, noch sind wir mental bereit. Die eingeläutete Zeitenwende hat nur ein begrenztes, kurzzeitiges Umdenken hervorgebracht. Wie bislang scheut die Politik, militärische Macht mitzudenken und Wehrhaftigkeit zu demonstrieren. Ein Fehler, der Deutschland in der Rückschau vor allem im Umgang mit Putin vorgehalten wird.
    Nach der Politologin und ehemaligen Strategin bei der Nato, Stefanie Babst tut sich die Bundesregierung auch heute noch schwer, "den militärischen Werkzeugkasten in den Mittelpunkt unserer politischen Kommunikation zu stellen, um unseren Gegnern zu zeigen, wir verteidigen uns mit allen Mitteln." Auch der Militärhistoriker Sönke Neitzel spricht von einer Strategie der Konfliktvermeidung, Berlin wolle bis heute keine militärische Macht projizieren. Die Folge: Der Verlust von internationalem Einfluss.

    Fahrlässiges Zögern in der Politik

    Bis heute zögern Politiker, Militärisches zu diskutieren. Themen wie Bundeswehr, Einsätze, Verteidigungsetat zieht kaum ein Politiker gern an sich. Wohlwissend, mit diesen Themen sind in Deutschland keine Wahlen zu gewinnen. Unfair ist das den Soldaten und Soldatinnen gegenüber, die vom Bundestag in die Einsätze geschickt werden. Angesichts der Weltlage ist es fahrlässig.
    Die Bürger werden nicht konfrontiert mit Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Dabei kann nur Kommunikation die Menschen mitnehmen, nur Kommunikation kann helfen, dass sich die Gesellschaft der veränderten Weltlage bewusst wird und sich letztlich resilienter aufstellt.

    Bundeswehr nach wie vor nicht verteidigungsfähig

    Neben der Mentalität muss auch die Hardware stimmen. Doch der Bundeswehr fehlt es weiterhin an Gerät, Personal und Geld. Noch immer ist sie nicht verteidigungsfähig. Mit seiner Forderung nach 10 Milliarden Euro zusätzlich für die Verteidigung ließ das Kabinett Pistorius abblitzen, man gewährte ihm einen Zuschlag von gerade mal 1,7 Milliarden.
    Sich vorausschauend aufzustellen wäre angezeigt angesichts der zusammengebrochenen alten Weltordnung. Dazu gehört, die Streitkräfte kriegsfähig zu machen. Doch das würde schmerzhafte Verschiebungen im Haushalt bedeuten – weg von liebgewonnen Ausgaben, hin zur Verteidigung. Offen, ob die Politik bereit sein wird, diese wenig populären Schritte zu gehen.
    Deutschland, seine Politik, seine Gesellschaft und seine Bundeswehr müssen kriegstüchtig werden? Ja, das müssen sie. Pistorius hat sich getraut, eine unbequeme Wahrheit auszusprechen: Es braucht eine neue Wehrhaftigkeit im Denken und im Handeln. Es wurde Zeit, dass das ausgesprochen wird. Nun müssen die Schlussfolgerungen daraus gezogen werden.
    Ines Trams ist ZDF-Korrespondentin im Hauptstadtstudio.

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