Scharfe Kritik an Polizei:Trotz Kirchenasyl: Abschiebeeinsatz eskaliert
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Mit einem Großaufgebot hat die Polizei in Schwerin den Widerstand gegen die Abschiebung zweier Afghanen beendet, damit aber das Kirchenasyl gebrochen. Nun hagelt es Kritik.
Mit einem Großaufgebot beendet die Polizei den Widerstand gegen die Abschiebung zweier Afghanen. Diese befanden sich mit ihrer Familie im Kirchenasyl.
Quelle: dpa
Die versuchte Abschiebung zweier junger Männer aus Afghanistan hat in Schwerin einen größeren Polizeieinsatz vor und in der Wohnung einer Kirchengemeinde ausgelöst. Nach Angaben einer Polizeisprecherin drohte die 47-jährige Mutter der beiden 18 beziehungsweise 22 Jahre alten Männer, sich oder ihren Kindern Gewalt anzutun, um die Abschiebung nach Spanien zu verhindern.
Spezialkräfte stürmen Wohnung nach klirrenden Geräuschen
Obwohl die Polizei mit der Frau in Kontakt stand, verschafften sich Spezialkräfte der Polizei Zutritt zu der Wohnung, nachdem sie klirrende Geräusche gehört hatten. Die Mutter habe sich augenscheinlich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden und sei vom Rettungsdienst betreut worden. Ihr 22-jähriger Sohn habe Schnittverletzungen aufgewiesen, die er sich offenbar selbst zugefügt habe, hieß es.
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Die Mutter wurde vorläufig festgenommen. Bei der Durchsuchung der Familie wurden nach Angaben der Polizei nicht nur bei der Mutter, sondern auch bei dem 22-jährigen Sohn und bei einer 13-jährigen Tochter Messer versteckt am Körper gefunden. Gegen die Mutter wurden Strafverfahren wegen Bedrohung und Nötigung eingeleitet.
Zwei Söhne sollten nach Spanien abgeschoben werden
Die Abschiebung wurde nach dem Polizeieinsatz abgebrochen, weil der dafür vorgesehene Flug bereits weg war, wie die Polizeisprecherin sagte. Die Abschiebung sei als Amtshilfe für die Behörden in Schleswig-Holstein geplant gewesen, von wo die sechsköpfige Familie nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen sei.
Da sie ursprünglich in Spanien in die Europäische Union eingereist war, sollten die beiden erwachsenen Söhne dorthin abgeschoben werden.
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Kirche kritisiert Vorgehen von Polizei und Behörden scharf
Die evangelisch-lutherische Kirche in Norddeutschland kritisierte den Einsatz und das Vorgehen der Behörden scharf. Die versuchte Abschiebung der erwachsenen Söhne der Familie aus einem Kirchenasyl sei "beschämend und mit den Grundsätzen der Menschenrechte unvereinbar", erklärte die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Pastorin Dietlind Jochims.
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Der Familie sei seit dem vergangenen Freitag Kirchenasyl gewährt worden, worüber auch alle zuständigen Behörden informiert worden seien. Nach Angaben der Nordkirche handelt es sich um die sechsköpfige Familie einer in ihrer Heimat massiv bedrohten afghanischen Frauenrechtlerin und Journalistin, der über ein von der Ampel-Regierung nach der Machtübernahme der Taliban 2021 auferlegtes humanitäres Aufnahmeprogramm ein Aufenthalt in Deutschland zugesichert wurde.
Demnach floh die Familie aufgrund von Verzögerungen bei der Visumserteilung zunächst eigenständig in den Iran und gelangte von dort schließlich mit einem spanischen Visum in die Europäische Union.
Kirche: "Gegen Zusicherungen von Behörde verstoßen"
Mit dem Versuch, die beiden volljährigen Söhne von der Familie zu trennen und abzuschieben, sei "gegen Zusicherungen der Behörden und die Prinzipien der Menschenrechte verstoßen worden", kritisierte die Kirche. Der Bruch des Kirchenasyls widerspreche zudem dem "Respekt" vor diesem "Schutzraum".
Kirchengemeinden gewähren Geflüchteten zuweilen Schutz und vorübergehende Unterkunft, wenn sie von Abschiebung bedroht sind, aber humanitäre Gründe vorliegen, die eine Rückführung als unzumutbar erscheinen lassen. Das Kirchenasyl soll den Betroffenen Zeit schaffen für die Ausschöpfung aller Rechtsmittel. Es ist kein offiziell anerkanntes Instrument im deutschen Asylverfahren, sondern beruht auf der kirchlichen Tradition und dem moralischen und ethischen Engagement der Kirchen, Menschen in Not zu helfen.
Auch der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern kritisierte das Vorgehen der Behörden "aufs Schärfste". Zum ersten Mal sei in Mecklenburg-Vorpommern "die rote Linie überschritten und durch Polizei ein Kirchenasyl gebrochen" worden, sagte die Vorsitzende Ulrike Seemann-Katz. Das sei ein erschreckendes Signal an Geflüchtete, die in Deutschland Schutz suchten. Dieses Signal richte sich aber auch an Kirchengemeinden, die nun verunsichert seien, ob sie Geflüchteten weiter Zuflucht bieten könnten.
Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche befanden sich Anfang Dezember bundesweit 643 Menschen im Kirchenasyl. Im Jahr 2023 seien bereits 534 Kirchenasyle von 776 Menschen beendet worden.