Straftäter: Ist Abschieben nach Afghanistan möglich?

    Interview

    Experte zu Optionen der Politik :Ist Abschieben nach Afghanistan möglich?

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    Nach der tödlichen Messerattacke auf einen Polizisten fordern viele Politiker Abschiebungen nach Afghanistan. Asylrechtler Thym erklärt, welchen Spielraum die Politik hat.

    Asyl-Experte Prof. Daniel Thym bei ZDFheute live.
    Nach dem tödlichen Messerangriff in Mannheim fordern mehrere Politiker, Straftäter nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Eine Einordnung von Asyl-Experte Daniel Thym.04.06.2024 | 10:38 min
    Sollten ausländische Straftäter strikter abgeschoben werden? Diese Debatte ist nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim wieder neu entbrannt. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) fordert, schwerkriminelle Ausländer und Gefährder künftig auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben.
    Bisher ist das nur begrenzt möglich, denn beide Länder sind nicht als sichere Herkunftsstaaten deklariert. Mehrere unionsgeführte Bundesländer unterstützen den Vorstoß und auch aus der FDP gab es Zustimmung.
    Im Gespräch mit ZDFheute live bewertet Daniel Thym, Leiter des Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht an der Uni Konstanz, wie realistisch Rückführungen nach Afghanistan und Syrien sind.  
    Sehen Sie das ganze Interview oben im Video und lesen Sie hier Auszüge. Das sagt Daniel Thym zu ...

    ... dem aktuellen Umgang mit ausländischen Straftätern

    Wer hier eine Straftat begehe, auch wenn er Ausländer sei, werde natürlich mit genau denselben Regeln behandelt wie Deutsche auch. Da gebe es keine Privilegierung von Ausländern.  

    Klar ist: Alle Menschen, die in Deutschland leben, sind an die Gesetze gebunden und das gilt auch für Flüchtlinge.

    Daniel Thym

    Daneben gebe es aber bei Menschen ohne deutschen Pass zumindest die theoretische Möglichkeit, dass sie das Land verlassen müssten.  

    ... den Hindernissen bei Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien

    Man müsse zwischen zwei Gruppen unterscheiden, sagt der Asylrechtler. Zum einen kämen aus Ländern wie Afghanistan und Syrien Menschen, die verfolgt würden. Dazu gehörten zum einen Frauen, die von den Taliban drangsaliert werden, oder Richter, die sich für Menschenrechte eingesetzt haben, und klassische Oppositionelle.
    Selbst wenn jemand aus dieser Gruppe einen Terrorakt begehe - wenn er in seinem Heimatland potenziell bedroht werde, dürfe er nicht abgeschoben werden, sagt Thym.

    Menschen, denen Verfolgung droht, dürfen nie abgeschoben werden.

    Daniel Thym

    Das sei aber nur ungefähr die Hälfte der Leute, die aus den betroffenen Ländern kommen. Daneben gebe es eine zweite Gruppe. Die dürfe abgeschoben werden. Allerdings komme es sehr auf die Verhältnisse im Einzelfall an. Ein Grund, warum zum Beispiel junge Männer, die nicht verfolgt werden, Schutz in Deutschland bekämen und nicht zurückgeschickt würden, seien die extrem schlimmen Lebensbedingungen in Afghanistan. Letztlich drohe ihnen in ihrem Heimatland Hunger, erklärt der Experte.
    Euro2024 - Vorbereitung von Bund und Ländern
    Die Messerattacke in Mannheim hat die Debatte über die Abschiebung von gefährlichen Straftätern weiter angefacht. "Die Abschiebungsdebatte ist notwendig, aber löst nicht die Probleme", so NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).04.06.2024 | 4:46 min
    Schafften es die Behörden aber, die Gerichte davon zu überzeugen, dass die Lebensbedingungen in einer konkreten Region in Afghanistan gut genug seien, dann gebe es die Chance, dass eine Abschiebung gerichtlich akzeptiert werde. Diesen Schritt müssten Behörden aber auch tun. Dafür brauche es Kontakte in die Länder und da werde es bei der Umsetzung schwierig, sagt Thym.

    Man müsse plausibel machen, dass man Lebensbedingungen vorfindet, die den Anforderungen der Gerichte genügen. Das ist nicht unmöglich.

    Daniel Thym

    ... dem Umgang mit ausländischen Straftätern in anderen EU-Ländern

    Es gebe europaweit inzwischen eine Debatte, ob man nicht auch verstärkt wieder Menschen nach Syrien oder Afghanistan abschieben sollte, sagt Asylexperte Thym. Zypern zum Beispiel, wo viele Syrer aus dem Libanon landeten, habe zuletzt sehr intensiv in Brüssel gefordert, strenger zu sein.
    Auch Tschechien, Österreich, Italien und Malta hätten vor zwei Wochen erst einen Brief an die EU-Kommission geschrieben, dass man mit Syrern strenger sein möchte. Viele europäische Regierungen drängten in dieselbe Richtung.

    Es entsteht in Europa ein gewisses Momentum, wo die deutsche Debatte ganz gut hineinpasst.

    Daniel Thym

    Die europäischen Regeln seien aber vergleichsweise abstrakt, stellt Thym fest. Pauschal könne man sagen, dass die deutschen Gerichte besonders streng seien. Deswegen falle es der deutschen Politik auch schwerer, im Bezug auf Abschiebungen strenger zu sein.
    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (l.SPD) legt zusammen mit Muhterem Aras (Bündnis 90/Die Grünen), Präsidentin des baden-württembergischen Landtags, am Marktplatz Blumen für einen bei einer Messerattacke getöteten Polizisten nieder.
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    ... den Möglichkeiten der Politik

    In Deutschland würden das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Gerichte entscheiden, ob Voraussetzungen für eine Abschiebung gegeben seien, erklärt der Jurist. Allerdings seien Abschiebungen in den Irak rechtlich auch schwierig, sie fänden aber statt. Damit das möglich ist, müssten politische und administrative Ressourcen investiert werden. Das tue man eher bei Straftätern - es sei eine Frage der politischen Prioritätensetzung.

    Wenn es eine öffentliche Debatte gibt, wird bei den Behörden und bei den Gerichten auch ein Problembewusstsein stärker hervortreten.

    Daniel Thym

    Wenn es diese Debatte gebe, dann müssten Behörden im zweiten Schritt hingehen und in ganz konkreten Einzelfällen Gerichten die Tatsachen vortragen, dass die Voraussetzungen für eine Abschiebung erfüllt seien, sagt Thym. Da könne man auch mal versuchen, die Grenzen des Rechts und der Rechtsprechung auszutesten.  

    Nur weil es schwer ist, heißt es nicht, dass man es nicht versuchen muss.

    Daniel Thym

    Man dürfe nur nicht der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, dass alles ganz leicht sei. Es seien dicke Bretter, die man bohren müsste.
    Das Interview führte Victoria Reichelt, Auswertung von Michèle Mertes.

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