VW-Produktion in Schanghai, China (Archivfoto)
Quelle: dpa
Man wolle auf "Risikominimierung" und nicht auf "Entkopplung" setzen, um die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaften auszubauen verkündeten die
G7 vergangene Woche im japanischen Hiroshima. Und das gelte auch für die Beziehungen zu China.
Risikominimierung, das hört sich irgendwie freundlicher an, nach mehr Sicherheit für alle. Weniger radikal als Entkopplung, was mehr nach endgültiger Scheidung klingt.
Und doch war es ein Statement, das klar macht, dass die Globalisierung in eine neue, konfrontative Phase tritt, dass die
G7 nach langem Wegschauen beginnen, die politischen Realitäten des 21. Jahrhunderts zu akzeptieren.
Gefühl der Überlegenheit
Als das Sowjetimperium Ende der 80er Jahre in sich zusammenbrach, war das für viele im Westen Anlass, sich selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen. War das nicht der Beweis für die Überlegenheit kapitalistischer Demokratien?
Heute wissen wir, dass uns diese arrogante Überheblichkeit blind gemacht hat vor den enormen politischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, vor den Schattenseiten der Globalisierung.
Mit dem Gefühl der moralischen und ökonomischen Überlegenheit im Rücken sind die Unternehmen des kapitalistischen Westens Richtung Osten ausgeschwärmt, unterstützt von der Politik. "Wandel durch Handel" war das mehr als naive Credo auch deutscher Außenpolitik.
"Wandel durch Handel": Abhängigkeit von Regimen
Das Ergebnis: immer tiefere, politische, ökonomische und persönliche Verstrickungen, die uns immer weiter in die Abhängigkeit von Regimen gebracht haben, die unsere demokratischen Wertevorstellungen verachten.
Die
Abhängigkeit von russischem Gas und Öl, dem Außenhandel mit der Volksrepublik
China haben unsere demokratischen Gesellschaften erpressbar gemacht. Das politische Konzept des Wandels durch Handel hat sich umgedreht und realpolitisch gegen uns gewendet.
China ist die eigentliche Herausforderung
Sehr viel schneller als für möglich gehalten, hat sich Europa aus der Abhängigkeit von
russischem Gas und Öl befreit. Aber Russland ist im Vergleich zu der aufstrebenden Großmacht China ein wirtschaftlicher Zwerg. China ist die eigentliche Herausforderung.
US-Tech-Gigant Apple produziert 100 Prozent seiner iPhones in China, vier von zehn Autos deutscher Hersteller, so eine Studie des Center Automotive Research, werden in China verkauft. China ist für die USA und viele Länder in der
EU der größte Handelspartner. Viele Millionen Arbeitsplätze stehen auf beiden Seiten auf dem Spiel, sollten sich die Handelsbeziehungen abrupt verschlechtern.
Beide Supermächte aber sind längst dabei, sich voneinander wirtschaftlich unabhängiger zu machen, um in der Auseinandersetzung um die geopolitische Vormachtstellung Handlungsspielräume zu gewinnen.
Peking setzt auf ökonomische Kontrolle
Mit der Initiative "Made in China" setzt Peking auf einen Strategiewechsel weg von wirtschaftlichem Wachstum hin zu ökonomischer Kontrolle. Peking will die Abhängigkeit von kritischer Technologie aus dem Ausland beenden, mit Hunderten Milliarden an Investitionen eine Dominanz heimischer Unternehmen schaffen, die so gestärkt dann auch den Weltmarkt dominieren sollen.
In den USA gibt es kein Thema, das die sonst so zerstrittenen Demokraten und Republikaner stärker eint als die wirtschaftliche Entkopplung von China. Im Wesentlichen geht es dabei um die Reduzierung chinesischer Importe, mehr heimische Produktion und den Schutz ziviler und militärischer Infrastruktur.
Diplomatische Risikominimierung
Es geht dabei für beide um die Vormachtstellung in einer sich neu entwickelnden Weltordnung. Europa, als wirtschaftlicher Riese, aber geopolitischer Zwerg, sucht nach der richtigen Strategie, will weder die USA als Schutzmacht noch China als wichtigsten Handelspartner brüskieren.
Und so hatte
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem G7-Gipfel den Begriff der Risikominimierung ins Spiel gebracht, der diplomatisch in Richtung China etwas sanfter klingen soll als Entkopplung und gleichzeitig die USA nicht an enger Freundschaft zweifeln lässt.
Europa muss sich entscheiden
Was genau in der politischen Praxis der Unterschied sein wird, ist alles andere als klar. Für die USA jedenfalls war es kein Problem, sich den europäischen Begrifflichkeiten anzuschließen. Chinesische Staatsmedien sehen in der diplomatischen Begriffsakrobatik sowieso nur den Versuch, die wahren Ziele zu verschleiern.
Die USA und China werden sich in ihrem Ringen um die Vormachtstellung in einer neuen Weltordnung nicht mit Begrifflichkeiten aufhalten.
Wir Europäer müssen uns am Ende die Frage stellen, auf welcher Seite wir stehen und welchen Preis wir bereit sind dafür zu zahlen.
Johannes Hano ist Leiter des ZDF-Studios New York.