Debatte um Meinungsfreiheit:US-Unis: Antisemitismus ohne Grenzen?
von Bastian Hartig
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Amerikas Eliteunis verstehen sich als Horte der freien Meinungsäußerung. Doch nun werden Vorwürfe immer lauter, dass sie Aufrufen zur Gewalt gegen Juden freien Lauf lassen.
Es war in vielerlei Hinsicht ein sehr amerikanisches Schauspiel, das sich da vergangene Woche im US-Kongress abgespielt hat. Die Präsidentinnen von drei der renommiertesten Eliteuniversitäten des Landes waren zu einer Anhörung vor den Bildungsausschuss des Repräsentantenhauses zitiert worden.
Dort sollten sie Rechenschaft ablegen, über den drastischen Anstieg antisemitischer Vorfälle an US-Universitäten seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und Israels darauffolgende Offensive in Gaza.
Umfrage: Mehr als zwei Drittel jüdischer Studenten erlebt Antisemitismus
Mehr als zwei Drittel aller jüdischen Studierenden hätten seit Beginn dieses Semesters Antisemitismus erlebt. Das geht aus einer Umfrage der jüdischen Nichtregierungsorganisation Anti-Defamation League hervor.
Im Zeitraum vor dem Krieg in Gaza gaben ungefähr genauso viele Studierende an, während ihrer gesamten Universitätslaufbahn ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben. Vor dem 7. Oktober fühlten sich noch rund zwei Drittel aller jüdischen Studenten auf ihrem Campus sicher, danach nur noch knapp die Hälfte.
Auch anti-muslimische, anti-arabische und anti-palästinensische Vorfälle hätten an Universitäten zugenommen, schreibt der amerikanische Arm des internationalen Schriftstellerverbandes PEN, der sich für Meinungsfreiheit und Menschenrechte einsetzt.
Gay, Magill und Kornbluth in die Mangel genommen
Befragungen vor dem US-Kongress haben oft etwas Archaisches. Von ihren erhöhten Bänken aus schleudern die Senatoren oder Abgeordneten den niedriger sitzenden Zeugen ihre Fragen entgegen, oft in herrischem Ton. Selbst Giganten wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg scheinen in einer solchen Situation auf Schuljungengröße zusammenzuschrumpfen.
Und auch die Uni-Präsidentinnen Claudine Gay (Harvard), Liz Magill (University of Pennsylvania) und Sally Kornbluth (Massachusetts Institute of Technology, MIT) gaben kein gutes Bild ab, als sie von der republikanischen Abgeordneten und eisernen Trump-Gefolgsfrau Elise Stefanik in die Mangel genommen wurden.
Uni-Präsidentin Magill tritt zurück
Ob der Aufruf zum Völkermord an Juden an ihren Universitäten die Regeln gegen Mobbing und Drangsalierung verstoße, wollte Stefanik von jeder der drei Frauen wissen. Hintergrund waren Aufrufe zur Intifada an allen drei Schulen. Es komme auf den Kontext an, bekam Stefanik in kompliziertem Juristenenglisch jedes Mal zur Antwort.
Der Austausch löste eine Welle des Unverständnisses und der Entrüstung aus und schuf sogar einen seltenen Moment der Einigkeit zwischen Demokraten und Republikanern im politischen Washington.
Magill musste daraufhin ihren Posten räumen. Auch die Rufe nach Gays Rücktritt wurden lauter. Sie entschuldigte sich und bekam Rückendeckung von mehr als 800 Schwarzen Harvard-Alumni. Gay schaffe eine stärkere, inklusivere Gemeinschaft an der Hochschule, während sie gleichzeitig die wesentlichen Prinzipien der Gedanken- und Redefreiheit hochhalte, hieß es.
Recht auf freie Meinungsäußerung - ein hohes Gut
Das Verständnis von Meinungs- und Redefreiheit in den USA ist wohl ein wichtiger Grund, warum sich die drei Uni-Präsidentinnen mit ihren Antworten auf eine offenbar sehr einfache Frage so schwer getan haben. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in den USA im ersten Verfassungszusatz festgeschrieben.
Der oberste Gerichtshof hat die Grenzen dieses Rechts in wiederholten Urteilen sehr weit gefasst. Auch viele Formen der Hassrede sind demnach prinzipiell davon gedeckt. Erst bei der Drohung mit dem Willen und der Möglichkeit, sie auch in die Tat umzusetzen, endet die Redefreiheit.
Was ist Antisemitismus? Prof. Monika Schwarz-Friesel im Interview.18.09.2018 | 0:32 min
Besonders an Hochschulen in den USA gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung als hohes Gut. Jegliche Restriktion dieses Rechts komme Zensur durch die Regierung gleich, schreibt die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU.
Studierende müssten die Möglichkeit haben, alles zu hören, was sie hören möchten und gegen alles zu protestieren, was sie verletzend finden. Eine offene Gesellschaft beruhe auf einer freiheitlichen Bildung und die wiederum auf dem Prinzip der freien Meinungsäußerung.
Offener Brief von über 500 Akademikern
In dieselbe Kerbe schlagen über 500 der insgesamt 2.300 Fakultätsmitglieder der Harvard-Universität, die Gay nach ihrer Aussage im Kongress in einem offenen Brief gegen ihre Kritiker in Schutz nahmen. "Eine Kultur der freien Erkundung in unserer vielfältigen Gemeinschaft kann nicht weitergehen, wenn wir ihre Ausformungen von äußeren Kräften diktieren lassen", schrieben die Akademiker.
Diese Auffassung teilt offenbar auch das Vorstandsgremium der Harvard-Universität. Am Dienstag stellte sich die Universitätsleitung geschlossen hinter Gay und beließ sie im Amt. Harvard sei ein Vorkämpfer für offenen Diskurs und akademische Freiheit, hieß es in einem Statement der Universität. Gleichzeitig würden Aufrufe zur Gewalt gegen Studenten und eine Störung des Universitätsbetriebs nicht toleriert, stellte das Leitungsgremium klar.
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