Nachfrage steigt in Ukraine:Kriegsbabys aus der Kinderwunschklinik
von Anne Brühl
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Viele ukrainische Paare stehen vor einer schweren Entscheidung: ein Kind bekommen - mitten im Krieg? Die Nachfrage nach Samenspenden und künstlicher Befruchtung steigt.
Täglich fallen ukrainische Soldaten im Krieg. Eine Zukunftsplanung ist für Paare kaum möglich. Viele wollen mit Samenspenden trotz Krieg ihren Kinderwunsch erfüllen.01.11.2023 | 6:20 min
An einem Sonntag im westukrainischen Lviv will Galyna Hamujlo das schöne Herbstwetter nutzen, um mit ihrer Tochter an die frische Luft zu gehen. Das Mädchen heißt Polina, ist sechs Wochen alt - und ein Kriegsbaby.
Polinas Vater Dmytro ist Soldat, irgendwo an der Front im Osten. Zur Geburt hat er Sonderurlaub bekommen, ein paar Tage nur. Seine Tochter hat ihm den Gefallen getan, pünktlich zur Welt zu kommen. Fünf Tage konnte er bei Polina und Galyna sein.
Hoffnung und Angst
Auf einer Parkbank unter Bäumen versucht Galyna, ihn per Videoanruf zu erreichen. Sie weiß nie, ob es passt. Ob er draußen ist zum Kampfeinsatz, ob er unter russischem Beschuss ist. Nur so viel weiß sie: Viele Soldaten seiner Einheit haben in diesem Krieg ihr Leben gelassen.
Bevor sie schwanger wurde mit Polina, haben sie und ihr Mann auch über seinen möglichen Tod gesprochen. "Schrecklich" sei das gewesen, sagt Galyna. Die Motivation für ihn sei ganz klar gewesen: "Er wollte etwas hinterlassen."
Als Galyna ihren Mann Dmytro erreicht, strahlt er beim Anblick seiner kleinen Tochter: "Es ist so gut zu sehen, wie sie groß wird." Obwohl die beiden jung sind - um die 30 - ist Polina durch künstliche Befruchtung entstanden.
Ansturm auf Kinderwunschkliniken
Der Stress, dem Soldaten an der Front ausgesetzt sind, hier und da ein kurzer Fronturlaub - wie soll man da schwanger werden?
Seit Beginn des Krieges verzeichnen deshalb die Kinderwunschkliniken in der Ukraine einen regelrechten Ansturm. Allein in einer privaten Klinik in Lviv behandeln sie 320 Paare - kostenlos.
Im ganzen Land bieten private Kliniken Leistungen wie das Einfrieren von Sperma oder künstliche Befruchtung für Soldatinnen und Soldaten kostenlos an - und setzen so die staatlichen Kliniken unter Zugzwang.
Fortpflanzung als patriotischer Akt für die Zukunft?
Es ist eine Frage, die die ganze Gesellschaft angeht - und die bis jetzt noch nicht bis ins Detail geregelt wird. Die Frage, ob etwa auch das Sperma von Verstorbenen zur künstlichen Befruchtung genutzt werden kann.
Antworten auf wichtige Fragen23.04.2018 | 6:03 min
Zwischen unendlichem Leid und großem Glück
Die Beratungen über das Gesetz sind nicht abgeschlossen - aber viele ukrainische Paare wollen und können einfach nicht länger warten.
Warum das so ist, zeigen Fälle wie der von Switlana Tlenyuk. Sie ist in der 18. Woche mit Zwillingen schwanger. Den Ehering ihres Mannes Bohdan trägt sie um den Hals: Drei Tage nach seiner Beerdigung hat sie von der Schwangerschaft erfahren. Tage zwischen unendlichem Leid und trotzdem auch so etwas wie großem Glück. Sie strahlt, als sie ihre Kinder im Ultraschall sieht:
Switlana ist 47, war zum zweiten Mal verheiratet. Ihr Mann war zehn Jahre jünger, wollte unbedingt Kinder. Deshalb hatten sie sich für eine künstliche Befruchtung entschieden.
Alleinerziehend im Krieg
Die Ärztin, die ihr den Blutdruck misst, betreut Switlana von Anfang an. Ihre Geschichte kennen hier alle - so traurig, so unvorstellbar ist sie.
Sie wirft auch grundsätzliche Fragen auf: Wie egoistisch ist so ein Kinderwunsch im Krieg? Wie geht die Gesellschaft einmal mit all den jungen Witwen, den Kriegswaisen um? Dr. Natalia Dragan kann Switlanas und Bohdans Wunsch trotzdem verstehen:
Bohdan Tlenyuk ist in seinem Heimatort begraben. Switlana streicht sich immer wieder über den Bauch, als sie an seinem Grab steht. Mit ihren Kindern will sie hierherkommen, ihnen vom Vater erzählen: der so auf sie gewartet hat, der sie so sehr wollte.
Russland unter Wladimir Putin führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es gibt Sanktionen gegen Moskau und Waffenlieferungen an Kiew. Aktuelle Nachrichten und Hintergründe.