Großoffensive gegen PKK:Welche Ziele verfolgt Recep Tayyip Erdogan?
von Jörg Brase
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Nur Stunden nach einem Anschlag in Ankara startete die Türkei eine Vergeltungsoperation gegen die kurdische Terrormiliz. Könnte das Attentat Schwedens Nato-Beitritt gefährden?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Und sie lautete so, wie viele es erwartet hatten: Als "Operation Helden" betitelte der türkische Innenminister Ali Yerlikaya die Großoffensive gegen PKK-Stellungen in Syrien und Irak.
Schon wenige Stunden, nachdem sich am vergangenen Sonntag vor dem Innenministerium in der türkischen Hauptstadt Ankara ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatte, flogen Kampfjets die ersten Einsätze. Zu dem Anschlag bekannte sich eine Splittergruppe der kurdischen Terrormiliz PKK. Mittlerweile wurden die beiden Attentäter, die bei dem Anschlag ums Leben gekommen waren, als PKK-Mitglieder identifiziert.
Türkei: Zivile Infrastruktur zu "legitimen Zielen" erklärt
Nach Informationen des Geheimdienstes seien beide in Syrien ausgebildet worden, vermeldete Verteidigungsminister Hakan Fidan und kündigte an, dass nun auch zivile Infrastruktur wie Energieanlagen, die von den Milizen genutzt würden, "legitime Ziele für unsere Sicherheitskräfte" seien.
Kurdische Nachrichtenagenturen meldeten kurz darauf Luftangriffe auf grenznahe Regionen im Norden Syriens und in den Kandil-Bergen im Nordirak. Dabei soll es mehrere Tote und viele Verletzte gegeben haben, darunter offenbar auch viele Zivilisten.
Festnahmen auch von HDP-Mitgliedern
Mitglieder der pro-kurdischen Partei HDP sagten bereits am Sonntag kurz nach dem Anschlag in Ankara voraus, dass der Vorfall sicher wieder Anlass für Massenverhaftungen sein werde. Gegen die HDP laufe seit einiger Zeit ein Parteiverbotsverfahren. Auch das könne nun wieder Fahrt aufnehmen, hieß es. Tatsächlich gab es noch in der Nacht zu Montag erste Razzien und Festnahmen. Es seien 20 Verdächtige, darunter auch HDP-Mitglieder, festgenommen worden, erklärte der türkische Innenminister.
Sie würden im Verdacht stehen, PKK-Mitglieder versteckt, bei deren Flucht ins Ausland geholfen und Nachwuchs für die Terrormiliz angeworben zu haben. Mittlerweile sollen mehrere hundert Personen festgenommen worden sein.
Kurden – Sieger über den IS, Terroristen in der PKK, kriminelle Clans. So die Schlagzeilen. Die Dokumentation zeigt die andere Wirklichkeit eines Volkes ohne Staat.24.07.2020 | 44:49 min
Ankaras Reaktion bereits sorgfältig vorbereitet?
Die Ereignisse der vergangenen Tage erinnern an ähnliche Militärkampagnen in der Vergangenheit, bei denen ein Attentat Aktionen auslöste, die bereits sorgfältig vorbereitet schienen. Auch die politische Reaktion erfolgte prompt und war in ihrer Aussage nicht überraschend.
Präsident Recep Tayyip Ergogan stellte am Dienstag erneut seine Forderungen an Europa: "Wir wollen außer der Verurteilung (des Anschlags, Anm.d.Red.) von unseren Freunden konkrete Schritte sehen." Und:
Erdogan kritisiert Asyl für Terrorverdächtige in Europa
Man habe Akten voller Beweise über die Anführer der Terrorgruppen, doch es sei nicht zu erklären, warum diese in Europa Schutz genießen würden.
Auslieferungsanträge der Türkei würden immer wieder abgelehnt, kritisierte Erdogan. Adressaten dieser Kritik sind Schweden, die USA, Nato und Europäische Union.
Nato-Beitritt Schwedens nur gegen Zollunion und Visafreiheit?
In den kommenden Wochen soll das türkische Parlament über den Nato-Beitritts Schwedens abstimmen. Nach den jüngsten Ereignissen ist nicht abgemacht, dass es ein positives Votum geben wird. Im Gegenteil. Die türkische Führung erwartet konkrete Schritte wie die Auslieferung von Terrorverdächtigen durch Schweden.
Die USA sollen die Unterstützung des syrischen PKK-Ablegers YPG einstellen, mit dem die Amerikaner gemeinsam gegen IS-Einheiten in Syrien und Irak vorgehen. Die EU soll endlich lange versprochene Zusagen in Sachen Zollunion und Visafreiheit für türkische Staatsangehörige umsetzen.
"Biden hat Erdoğan klar gemacht, wenn er F16-Kampfjets haben will, dann muss er ein klares Signal aussenden für einen Nato-Beitritt Schwedens", so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen.11.07.2023 | 3:08 min
Ohne Zugeständnisse in diesen Punkten scheint eine Zustimmung der Türkei zu Schwedens Nato-Beitritt seit vergangenen Sonntag wieder unwahrscheinlicher geworden zu sein.
Jörg Brase ist Leiter des ZDF-Studios in Istanbul.