Tote russische Soldaten in Ukraine: Wo bleibt der Aufschrei?

    Interview

    Schweigen in der Heimat:Russlands tote Soldaten: Wo bleibt der Aufschrei?

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    Der russische Soziologe und Meinungsforscher Denis Volkov über tote russische Soldaten, glorifizierte Kämpfer - und Russlands schweigende Bevölkerung.

    Russische Soldaten tragen einen Sarg
    Russische Soldaten tragen einen Sarg: Wie geht Russlands Gesellschaft mit den Verlustmeldungen um?
    Quelle: Imago

    Ihr Krieg in der Ukraine hat Zehntausenden russischen Soldaten das Leben gekostet. Wie die unabhängigen Medien "Meduza" und "Mediazona" berichten, soll es mittlerweile mehr als 120.000 Tote unter den russischen Streitkräften geben. Hinzu kommen noch deutlich mehr Verletzte und Verwundete.
    Trotz dieser hohen Verlust-Schätzungen bleibt der Aufschrei in Russlands Gesellschaft aus. Denis Volkov, Leiter des unabhängigen russischen Umfrage-Zentrums Lewada, hat Antworten.
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    ZDFheute: Die Zahl der getöteten Soldaten auf russischer Seite in der Ukraine steigt. Laut unabhängigen russischen Medien soll es mittlerweile etwa 120.000 Tote geben. Wie reagieren die Menschen in Russland darauf?
    Denis Volkov: Natürlich kennen die Menschen keine genauen Zahlen, niemand kennt genaue Zahlen. Aber wir sehen zum Beispiel in unseren Untersuchungsgruppen: Die Bevölkerung weiß, dass Menschen sterben, dass es Opfer gibt. Aber diese Zahlen werden nicht öffentlich diskutiert. Sie werden vielleicht nur im privaten Bereich diskutiert und haben daher keinen direkten Einfluss auf das tägliche Leben.

    Denis Volkov
    Quelle: picture alliance / Sipa USA

    ... ist russischer Soziologe und Meinungsforscher. Seit 2021 ist er Direktor des unabhängigen Meinungsforschungszentrums Lewada in Moskau.

    ZDFheute: Es wird also versucht, die getöteten russischen Soldaten nicht zu thematisieren?
    Volkov: Es ist nicht so, dass überhaupt nicht darüber gesprochen wird. Aber in der Öffentlichkeit redet die Regierung nur in einer Weise darüber, die die Kämpfer verherrlicht. Es gibt Parks zum Gedenken an die gefallenen Soldaten, Gedenktafeln an Schulen, Universitäten und anderen Orten.
    In der öffentlichen Sphäre gibt es also nur den Standpunkt der Verherrlichung der toten Soldaten. Nur diese Art des öffentlichen Redens darüber ist möglich.
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    ZDFheute: Warum ist der Aufschrei über die vielen Toten in der russischen Gesellschaft bisher so gering?
    Volkov: Um das zu verstehen, muss man wissen, dass der Staat den Hinterbliebenen der Soldaten ziemlich hohe Summen zahlt. Es gibt Leistungen für die Familien, Studienplätze für ihre Kinder und so weiter. Für die Menschen in den kleineren, abgehängten Gegenden, aus denen ein großer Teil der Rekruten kommt, ist das von großer Bedeutung.
    Ich denke auch, wenn wir über dieses Thema sprechen, müssen wir bedenken, dass die Mehrheit der Menschen, die für Russland an der Front in der Ukraine kämpfen, Freiwillige und Berufssoldaten sind.

    Und aus der Sicht der "normalen" Menschen ist es ihr Job, es ist ihre Wahl. Sie müssen diese "Arbeit" machen - und nicht wir.

    Denis Volkov, Direktor des Lewada-Zentrums

    Meiner Meinung nach trägt das mit dazu bei, dass auch die Regierung dafür nicht allzu sehr in die Kritik gerät. Man ist vielleicht auch erleichtert, dass es keine weitere Mobilisierungswelle gibt.
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    ZDFheute: Die Zurückhaltung halt also auch damit zu tun, dass viele Menschen in Russland nicht, beziehungsweise noch nicht, direkt vom Krieg betroffen sind?
    Volkov: Dass die Mehrheit der Menschen sich nicht an dem Krieg beteiligen muss und nicht von der Mobilisierung betroffen war, ist ein Hauptgrund. Die Möglichkeit für sie, ihr normales Leben wie gewohnt, ohne größere Veränderungen weiterführen zu können, ist entscheidend - auch dafür, dass die Zustimmung zum Regime stabil bleibt.

    Dazu trägt auch die stabile Wirtschaftslage bei.

    Denis Volkov, Direktor des Lewada-Zentrums

    Das andere ist natürlich, dass es eher ein eher kleiner Teil derer ist, die mobilisiert wurden, wenn man es mit der gesamten Bevölkerung Russlands vergleicht. Das hilft, alles ziemlich ruhig zu halten.
    Das Interview führte Katja Belousova.
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