Armut und Machtkämpfe: Syrien - ein zersplittertes Land

    Armut und politische Machtkämpfe:Syrien - ein zersplittertes Land

    Florence-Anne Kälble
    von Florence-Anne Kälble
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    Die Lage in Syrien ist kritisch: Vier Mächte kontrollieren verschiedenen Regionen des Landes. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind arm. Eine Bestandsaufnahme.

    Flüchtlingslager in Syrien mit zwei Kindern vor Zelten
    In Idlib im Norden Syriens nahe der türkischen Grenze leben viele Menschen in Flüchtlingslagern.
    Quelle: dpa/Anas Alkharboutli, Archivbild

    "Syrien ist zersplittert. Das Regime kontrolliert etwa die Hälfte des Landes territorial und die städtischen Zentren", erklärt Salim Cevik von der Stiftung Wissenschaft und Politik und vom CATS (Centrum für angewandte Türkei-Studien). Die zweitgrößte Gruppe sind die kurdischen Kräfte, die im Nordosten ansässig sind. Sie werden von der Türkei als verlängerter Arm der PKK angesehen, die die türkische Regierung als Terror-Organisation ansieht.
    "Um die feindliche Haltung der Türkei gegenüber dem Nordosten nicht weiter zu schüren, bezeichnet sich die Gruppe selbst als autonome Administration von Nord- und Ostsyrien, kurdisch Rojava", so der Wissenschaftler. Weitere Teile werden von der Freien Syrischen Armee sowie dem Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front kontrolliert.
    People and rescuers gather in front of a building destroyed in a reported Israeli strike in Damascus on January 20, 2024.
    Bei einem Luftangriff in der syrischen Hauptstadt Damaskus sind mutmaßlich zwei Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden getötet worden. Diese beschuldigten Israel.20.01.2024 | 0:18 min

    Syriens Regime finanziert sich durch Drogenhandel

    Laut dem Wissenschaftler ist das Land wirtschaftlich am Boden: "Es gibt wenige legale Aktivitäten; bekannt ist, dass das Regime im Drogenhandel im übrigen Nahen Osten tätig ist und sich darüber auch finanziert." Das hat massive Auswirkungen auf die Bevölkerung.

    Weite Teile des Landes sind von ausländischen Hilfen abhängig.

    Salim Cevik, Stiftung Wissenschaft und Politik

    Aktuellen Zahlen zufolge leben 19 der 22 Millionen Syrer unterhalb der Armutsgrenze.
    Die kurdischen Regionen erscheinen Salim Cevic stabiler. "Hier gibt es eine größere politische Stabilität, auch, weil die Regionen von den amerikanischen Sanktionen ausgenommen sind." Der von der Türkei geführte Drohnenkrieg stelle aber eine Bedrohung dar: "Wurde zunächst versucht, die Angriffe auf militärische Ziele zu beschränken, wird seit Oktober 2023 die Infrastruktur angegriffen."

    Experte: Türkei ahmt Israels Vorgehen in Gaza nach

    Gerade der Anschlag der PKK am Innenministerium im türkischen Ankara im Oktober 2023 sei für die Türkei eine Art Legitimation für ihren Krieg gegen die nordsyrischen Gebiete:

    Sie versuchen es als Vorwand zu nutzen, um weiter angreifen zu können und rechtfertigen ihre Angriffe auf die Infrastruktur damit, dass es sich nicht um zivile Infrastruktur, sondern um die einer Terrororganisation handle.

    Salim Cevik, Stiftung Wissenschaft und Politik

    Für Cevic ahmt die Türkei das, was Israel im Gazastreifen macht, nach. "Ich denke, die türkischen Angriffe werden mutiger, da sie in gewisser Weise versuchen, Israels Haltung als Rechtfertigung für diese zu nutzen. Wenn also jemand sagen würde, dass das, was sie tun, gegen internationales Recht verstößt, würde die Türkei fragen, was mit ihren Rechten sei." Diese für ihn "blinde" Unterstützung, die Israel erhalte, untergrabe die Glaubwürdigkeit des Westens, sollte dieser versuchen, die türkischen Aktionen in Nordsyrien zu begrenzen.
    Zwei geflüchtete Syrer sitzen in einem Café in der Türkei
    Der Druck auf die geschätzt vier Millionen Geflüchteten in der Türkei wächst. Viele wollen weiter nach Europa fliehen. Davon profitieren die Schleuser.19.01.2024 | 3:33 min

    3.000 Syrer in medizinischer Ambulanz in Kobane registriert

    Am ersten Weihnachtsfeiertag 2023 wurde eine medizinische Ambulanz in Kobane mutmaßlich von türkischen Drohnen zerstört. Die Einrichtung richtet sich vorwiegend an Patienten mit Diabetes und wurde 2018 vom Verein "Armut und Gesundheit e.V." des Mainzer Mediziners Gerhard Trabert gegründet. "Wegen des Feiertages, sind keine Menschen verletzt oder getötet worden", erklärt Ali Basrawi, Orthopäde und Leiter der Ambulanz.
    Archiv: Die zerstörte Diabetes-Ambulanz in Kobane, Syrien
    Zerstörte Diabetes-Ambulanz in Kobane.
    Quelle: Ali Nihad / Armut und Gesundheit e.V.

    Täglich kümmerte er sich mit seinem Team um chronisch-kranke Patienten: "3.000 Syrer sind bei uns registriert; die Menschen leben unter der Armutsgrenze, sie haben kein Geld für reguläre medizinische Versorgung."
    Der Arzt weiß nicht nur durch seine Arbeit im Land, wovon er spricht: Basrawi stammt aus Kobane und ist aufgrund der Krisen 2015 mit seiner Familie nach Deutschland geflüchtet. "Ich arbeite in Syrien, weil da der Bedarf am größten ist und das ist in keiner anderen Region, in der wir sonst tätig sind, aktuell der Fall", so der Orthopäde.

    Alle Menschen haben das Recht auf eine Gesundheitsversorgung und nicht nur die, die es sich leisten können.

    Ali Basrawi, Leiter medizinische Ambulanz Kobane

    Lebensmittelknappheit, Zerstörung, kein sauberes Wasser

    In den regimekontrollierten Regionen des Landes ist die christliche Hilfsorganisation Medair e.V. im Einsatz. "Die Sicherheitslage im Land ist komplex und durch die Geschehnisse in Gaza ist sie noch schwieriger geworden", erklärt Raija-Liisa Schmidt-Teigen, Country Director - Syrien.
    Verteilung von Kartons mit Hygieneartikeln in Syrien aus einem Laster.
    Medair verteilt in Syrien Hygienepakete an Bedürftige.
    Quelle: Medair

    Lebensmittelknappheit, von Erdbeben zerstörte Häuser sowie kaum Zugang zu sauberem Wasser sind nur einige der Probleme.

    Die Menschen leben in großer Unsicherheit.

    Raija-Liisa Schmidt-Teigen, Country Director – Syrien

    Neben Wiederaufbau-Hilfe in Erdbebengebieten unterstützt Medair das Sanieren des Wassernetzes, des Pumpensystems und rehabilitiert Zentren für die medizinische Grundversorgung.



    Bürokratie erschwert Arbeit von Medair

    Dass sie so erfolgreich wirken, liegt auch daran, dass Medair in Syrien einen guten Ruf hat: "Alle Organisationen, die in den Regierungsgebieten tätig sind, müssen sich unter einer Dachorganisation zusammenschließen wie dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond. Über sie erhalten wir unsere Genehmigungen."
    Zwei Kinder in Syrien mit Trinkwasserkanistern und eine Frau der Hilfsorganisation Medair
    Medair versorgt die Menschen in Syrien mit sauberem Trinkwasser.
    Quelle: Medair

    Kontakte und Vereinbarungen mit den Fachministerien ermöglichen, den Bedürftigen direkt Hilfe zukommen zu lassen. Problematisch sei nur die Bürokratie: "Bei Genehmigungen gibt es Zeitverzögerungen und wir sind viel am Warten - aber das war bereits zu stabileren Zeiten so; es ist ein kultureller Aspekt, dass die Führung sehr von oben nach unten geht und Kontrolle stets gegeben sein muss", fügt Schmidt-Teigen abschließend hinzu.
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